Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit. F.W.J. Schelling
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Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe wurde auf Schellings Naturphilosophie aufmerksam, und auf seine Empfehlung ist es letztlich zurückzuführen dass Schelling nach Jena berufen wird. Dort hat er intensiven Kontakt zu den Romantikern, aus deren Kreis er auch seine Gattin (Karoline, zunächst mit Schlegel verheiratet) wählt. Bis heute gilt Schelling als der Philosoph der Romantik. Nach mehreren Stationen (Würzburg, München) wird Schelling, der sich inzwischen mit seiner Philosophie der Offenbarung ausdrücklich den positiven Inhalten der christlichen Dogmatik zugewandt hat, schließlich vom reaktionären preußischen König Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berufen, um die „Drachensaat des Hegel’schen Pantheismus“ auszutilgen. Seine Berliner Lehrtätigkeit scheint allerdings wenig erfolgsgekrönt gewesen zu sein, und zeitgenössische Berichte von Burckhardt bis Engels stellen eher die kuriosen Seiten seines Auftretens heraus. Das Fehlen einer systematischen Darstellung fördert die Missverständnisse um Schellings Philosophie, und so zieht er sich schließlich bis zu seinem Tod im Jahr 1854 resigniert von seiner Lehrtätigkeit zurück.
Schellings hier vorliegende Freiheitsschrift markiert den entscheidenden Wendepunkt. Vernunft und Freiheit waren die entscheidenden Stichworte des Deutschen Idealismus. Für Hegel war die Weltgeschichte insgesamt ein „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“, und im selben Sinne schreibt Schelling selbst noch im Jahr 1795 an seinen Freund Hegel, dass Freiheit das A und O aller Philosophie sei. Allerdings wirft gerade Hegels Geistmonismus die Frage auf, ob sein umfassendes, alles in den dialektischen Prozess des absoluten Geistes einbeziehendes System den Grundimpetus der Freiheit nicht letztlich aufhebt in die pure „Einsicht in die Notwendigkeit“. Gerade der Systemanspruch der Philosophie macht den Anspruch der Freiheit letztlich zunichte und lässt ihn in Fatalismus münden.
Der Ausgangspunkt von Schellings Überlegungen ist, dass das unabweisbare Gefühl der Freiheit nur dann wirklich begründet ist, wenn es in der Natur und in einer Kosmogonie verankert werden kann und nicht bloß – gegen die Natur – postuliert werden soll. Im Ursprung der Welt selbst muss Freiheit, soll sie denn tragfähig sein, angelegt sein. Was Schelling jedoch vom Fortschrittsoptimismus eines Hegel grundlegend unterscheidet, ist: Er lässt sich irritieren von der faktischen Unvernünftigkeit von Welt und Geschichte, seinem Denken merkt man das Erschrecken an vor der Negativität. Er beginnt radikal die Frage nach dem Woher und der Natur des Bösen zu stellen. So wie er früher in den vielfältigen Phänomenen der Natur die Vorformen des Geistes erblickte, sieht er nun auch das Bizarre, die Dysfunktionalitäten, das Sinnwidrige, das sich beim Menschen schließlich zu Perversion und Grausamkeit steigert. Man kann Schellings Freiheitsschrift durchaus als Versuch einer Theodizee, einer Rechtfertigung Gottes angesichts der Negativität, lesen, wobei er unverkennbar Gedanken des Görlitzer Schusters und Mystikers Jakob Böhme aufgreift, der das Böse selbst in Gott einbezieht. Die radikale Frage nach dem Ursprung des Bösen beantwortet Schelling durch eine originelle Spekulation: Der Mensch kann nur dadurch von Gott unabhängig sein, dass er in dem wird, was in Gott nicht Gott selbst ist. Gott kann sich nur in Wesen offenbaren, die ihm ähnlich, also frei und für sich handelnde Wesen sind. Schelling unterscheidet das Selbst Gottes vom Grund seiner Existenz: Da Gott nichts vorausgehen kann und da nichts außerhalb Gottes sein kann (was ihn ja letztlich begrenzen würde), muss er in sich selbst der Grund seiner Existenz sein. Gott wird zu Gott, indem er sich von seinem eigenen dunklen Grund scheidet. Die Seienden haben ihr Dasein nicht im Selbst Gottes, sondern im davon unterschiedenen, wenn auch nicht davon abzutrennenden Grund seiner Existenz. Diesen Grund der Existenz beschreibt Schelling als Drang, Wille und Sehnsucht. Von daher fasst Schelling das Wesen der Natur überhaupt neu. Er „naturalisiert“ den Willen nun im Sinne einer Kraft, die allem Seienden in Form von Impulsivität, Drang, Durchsetzungskraft, Selbstbehauptungswillen innewohnt. Das Böse, das es im eigentlichen Sinne nur auf der Ebene der Freiheit, also im Menschen, geben kann, ist eine Aktualisierung dessen, was in der Natur als Drang, Begierde, angelegt ist. Das Böse entsteht, wenn der Mensch die so beschriebene Natur gegen den Geist zum Prinzip erhebt. Der Mensch ist nun nicht länger der Schlüssel, der die Welt in ihrer Vernünftigkeit insgesamt erschließt, sondern im Gegenteil: Die Pervertierung seiner Freiheit wird zur Infragestellung der Vernünftigkeit der Welt insgesamt: „Weit entfernt, dass der Mensch und sein Tun die Welt begreiflich mache, ist er selbst das Unbegreiflichste und treibt mich unausbleiblich zu der Meinung von der Unseligkeit alles Seins, einer Meinung, die in so vielen schmerzlichen Lauten aus alter und neuer Zeit sich kundgegeben. Gerade er, der Mensch, treibt mich zur letzten verzweiflungsvollen Frage: Warum ist überhaupt etwas? Warum nicht nichts?“ (Sämtliche Werke Bd. 13, 7)
Mögen auch die theosophischen Spekulationen Schellings oder der Rückgriff auf eine christliche Metaphysik in seiner Spätphilosophie für viele heute schwer nachvollziehbar sein: In seinem Erschrecken vor der Unvernunft und dem Bösen, in seiner bereits existenzialistisch anmutenden Rede von der „Angst des Lebens“, der Angst davor, dass das Dunkle und Chaotische durchbricht, in seiner subversiven Infragestellung eines ungebrochenen Vernunftglaubens erweist er sich gerade heute als glaubwürdiger und anschlussfähiger als jedes Freiheits- und Vernunftpathos einer „halbierten Aufklärung“.
Bruno Kern
Vorrede
Die fünfte Abhandlung dieses Bandes: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, ist neu, und erscheint hier zum erstenmale gedruckt.
Über dieselbe findet der Verfasser nur weniges zu bemerken.
Da zum Wesen der geistigen Natur zunächst Vernunft, Denken und Erkennen gerechnet werden, so wurde der Gegensatz von Natur und Geist billig zuerst von dieser Seite betrachtet. Der feste Glaube an eine bloß menschliche Vernunft, die Überzeugung von der vollkommnen Subjektivität alles Denkens und Erkennens und der gänzlichen Vernunft- und Gedankenlosigkeit der Natur, samt der überall herrschenden mechanischen Vorstellungsart, indem auch das durch Kant wiedergeweckte Dynamische wieder nur in ein höheres Mechanisches überging und in seiner Identität mit dem Geistigen keineswegs erkannt wurde, rechtfertigen hinlänglich diesen Gang der Betrachtung. Jene Wurzel des Gegensatzes ist nun ausgerissen, und die Befestigung richtigerer Einsicht kann ruhig dem allgemeinen Fortgang zu besserer Erkenntnis überlassen werden.
Es ist Zeit, daß der höhere oder vielmehr der eigentliche Gegensatz hervortrete, der von Notwendigkeit und Freiheit, mit welchem erst der innerste Mittelpunkt der Philosophie zur Betrachtung kommt.