Befreite Schöpfung. Leonardo Boff

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Befreite Schöpfung - Leonardo Boff

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einem Jahrzehnt haben Forscher der Yale University und zweier größerer botanischer Gärten in den USA eine Studie über den Wert der sogenannten kleineren Waldprodukte veröffentlicht, die in einem intakten Regenwald geerntet werden. Im Durchschnitt belief sich der Wert von Naturkautschuk, essbaren Früchten und anderen Gütern pro Hektar auf etwa 6000 US-Dollar. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was man mit Viehwirtschaft auf durch Rodung gewonnenem Weideland oder mit Holz aus schnell wachsenden Baumpflanzungen erzielen kann.

      Und dennoch werden zehn Millionen Hektar Regenwald jedes Jahr abgeholzt oder einfach abgebrannt. Oftmals bieten Regierungen wie etwa die von Brasilien oder Indonesien direkte oder indirekte Anreize dafür. Warum? Im Gegensatz zu traditionellen Produkten aus dem Regenwald, die weitgehend auf lokalen Märkten feilgeboten werden, kann Großvieh, Soja und Bauholz auf dem Weltmarkt verkauft werden, wo sie „bedeutende Mengen an Devisen“ einbringen. Es sind „herausragende Exportgüter, die von der Regierung kontrolliert und mit großzügigen Bundesmitteln unterstützt werden“ (zitiert bei Adams 1991, 36). Diese Fähigkeit, auf dem Weltmarkt Devisen zu erwirtschaften, ist entscheidend, denn man braucht harte Währungen, um die riesigen Auslandsschulden zu bedienen.

      Tatsächlich wird auf verschuldete Länder immenser Druck ausgeübt, damit sie ihren Schuldendienst leisten. Internationale Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank verhängen harte Maßnahmen – die sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen – als Bedingung für neue Kredite. Ziel dieser Strukturanpassungsmaßnahmen ist es, die Devisenerwirtschaftung für den Schuldendienst sicherzustellen. Zu diesem Zweck müssen die Regierungen der betroffenen Länder die Inflation unter Kontrolle halten (durch die Beschränkung des Konsums im eigenen Land), Regierungsausgaben kürzen, eine exportorientierte Landwirtschaft und Industrien fördern, die Ressourcen ausbeuten, die Position der Arbeiter schwächen und den Schutz der Umwelt begrenzen, sowie Auslandsinvestitionen (meistens vonseiten transnationaler Konzerne) erleichtern. Kurioserweise kann die Auslandsverschuldung, deren Bekämpfung ja das erklärte Ziel der Strukturanpassungsmaßnahmen ist, weitgehend auf diese Art von Mammutprojekten zurückgeführt werden, die mit der Praxis der „Fehlentwicklung“ zusammenhängen. Dazu kommen die Auswirkungen schlechter Kreditbedingungen und hoher Zinssätze.

      In der Praxis führen die Strukturanpassungsmaßnahmen selten zu einer Verringerung der Schuldenlast, wie sie es eigentlich sollten. In Wirklichkeit können sie das Problem sehr wohl verschärfen. Die Strukturanpassungsmaßnahmen führen oftmals durch die Erhöhung der internen Zinssätze zwecks Eindämmung der Inflation zu einer Rezession. Da der Konsum im Land, die Beschäftigungsrate und die Löhne sinken, verringern sich auch die Steuereinnahmen. Da immer mehr Länder die Produktion derselben Exportgüter steigern, wachsen Angebot und internationaler Wettbewerb, was die Preise, die Einkünfte und die Löhne letztlich nach unten drückt. Man benötigt neue Kredite, lediglich um die Zinsen für die alten Schulden zu bezahlen (was oft mit weiteren Strukturanpassungsmaßnahmen verbunden ist), und oftmals müssen die Zinsen im Land noch stärker erhöht werden, um noch mehr Geld anzulocken.

      Als Strategie, um die Rückzahlung der Schulden zu gewährleisten, haben Strukturanpassungsmaßnahmen also hoffnungslos versagt. Und dennoch haben die Gläubiger aus dem Norden als Bedingung für neue Kredite darauf bestanden, dass sie durchgesetzt werden. Warum? Die tatsächliche Absicht hinter den Strukturanpassungsmaßnahmen scheint es gewesen zu sein, ein billiges Heer von Arbeitern zu schaffen, das verzweifelt um Jobs bettelt, billige Rohstoffe für den internationalen Markt sicherzustellen und den transnationalen Konzernen neue Märkte zu erschließen. Diesen Prozess bezeichnet man üblicherweise als die Durchsetzung der „neoliberalen Wirtschaft“. Das ist ein Modell eines ungezügelten Kapitalismus, das den Wohlstand der großen Mehrheit der Menschen genauso opfert wie die Erde, nur um einige Wenige reicher zu machen. In vieler Hinsicht kann man die Strukturanpassungsmaßnahmen als eine Art moderne Schuldnerhaft betrachten, die ganze Völker und Ökosysteme gefangen nimmt.

      In einem Interview mit dem New Internationalist im Jahr 1999 beschrieb der frühere Präsident von Tansania, Julius Nyerere, kurz vor seinem Tod, auf welche Weise die Strukturanpassungsmaßnahmen zur Verarmung von Millionen geführt und die tatsächlichen Fortschritte einer echten menschlichen Entwicklung zunichte gemacht haben.

      „Im vergangenen Jahr war ich in Washington. Bei der Weltbank war die erste Frage, die sie mir stellten: ‚Wie kam es zu Ihrem Scheitern?‘ Ich antwortete, dass wir ein Land übernommen hatten, dessen Bevölkerung zu 85 % Analphabeten waren. Die Briten hatten uns 43 Jahre lang regiert. Als sie abzogen, gab es zwei ausgebildete Ingenieure und zwölf Ärzte. Das war das Land, das wir geerbt hatten. Als ich abtrat, gab es eine Alphabetisierungsrate von 91 %, und fast jedes Kind ging zur Schule. Wir bildeten Tausende Ingenieure, Ärzte und Lehrer aus. Im Jahr 1988 betrug das Pro-Kopf-Einkommen in Tansania 280 US-Dollar. Jetzt, im Jahr 1998, ist es auf 180 US-Dollar gesunken. Also fragte ich die Leute von der Weltbank, was falsch gelaufen war. Denn in den letzen Jahren hatte Tansania formell seine Zustimmung gegeben und alles getan, was der IWF und die Weltbank wünschten. Der Schulbesuch fiel auf 63 % zurück, und die Bedingungen im Gesundheitswesen und anderen sozialer Einrichtungen haben sich verschlechtert. Ich gab die Frage nun an sie zurück: ‚Was lief schief?‘“ (Bunting 1999, http://www.newint.org/features/1999/=1/anticolonialism/)

      Das Versagen der Strukturanpassungsmaßnahmen drückt sich nicht nur in der Verarmung eines großen Teils der Menschheit aus, sondern auch in der Verwüstung der Erde selbst. Die landwirtschaftliche Exportproduktion erfordert den massiven Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden; Regenwälder werden für den Holzexport abgeholzt; empfindliche Mangrowensümpfe werden in Garnelenzüchtungen verwandelt; Bergbau und Schmelzöfen erzeugen ein tödliches Gebräu giftiger Chemikalien.

      Die Strukturanpassungsmaßnahmen setzen tatsächlich auch den einzigen Marktmechanismus außer kraft, der die Erhaltung des natürlichen Reichtums der Erde fördern könnte. Wenn Waren knapper werden, dann sollte theoretisch der Preis steigen und die Produzenten zwingen, effizienter zu werden und nach ökologisch sinnvolleren Alternativen zu suchen. Genauso sollte bei steigenden Preisen der Konsum abnehmen und so für die Erhaltung sorgen.

      Doch die Strukturanpassungsmaßnahmen haben leider diese Art von Regulierung auf der Basis von Marktbeziehungen schwer beeinträchtigt. Das neoliberale Modell, das mittels Strukturanpassungsmaßnahmen durchgesetzt wurde, zwingt die Länder in einen Wettbewerb der Exportprodukte hi­nein, um Devisen zu erwirtschaften. Da Holz, mineralische Rohstoffe, Öl und landwirtschaftliche Produkte in einem nicht nachhaltigen Ausmaß exportiert werden, entsteht vorübergehend ein künstliches „Überangebot“, und die Preise werden niedrig gehalten. Auf diese Weise können Marktmechanismen, die ansonsten die Erhaltung oder ökologisch verträglichere Alternativen fördern würden, nicht mehr effektiv wirken. Es sieht so aus, als würden die Preise erst dann steigen, wenn viele der Ressourcen der Erde praktisch erschöpft sind, was tatsächlich die Gefahr eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs anstelle eines allmählichen Übergangs zu einer nachhaltigeren Wirtschaft heraufbeschwört.

      Entwicklung neu denken

      Sowohl die Strukturanpassungsmaßnahmen als auch die Praktiken einer fehlgeleiteten Entwicklung erzeugen eine riesige und nicht abtragbare Schuld gegenüber der armgemachten Mehrheit der Menschheit und gegenüber der gesamten Lebensgemeinschaft, welche die Erde mit uns teilt. Wenn wir diese Schuld sühnen sollen, dann müssen wir vieles von dem, was heute unter dem Namen Entwicklung geläufig ist, neu überdenken und infrage stellen. Insbesondere müssen wir alles in hinterfragen, was traditionelle Kulturen und traditionelles Wissen gefährdet, alles, was Teilhabe und Demokratie schwächt, alles, was die Gesundheit der Ökosysteme untergräbt.

      Selbst Projekte, die menschliche Grundbedürfnisse zum Ziel haben, müssen von Zeit zu Zeit hinterfragt werden. So kann zum Beispiel der Bau von Schulen schlechte Auswirkungen haben, wenn das Erziehungssystem die Menschen dazu verleitet, ihre traditionelle Lebensweise zugunsten von Konsumismus und Geldwirtschaft aufzugeben. Krankenhäuser und Kliniken können dazu

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