Auf sie mit Idyll. Wiglaf Droste

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Auf sie mit Idyll - Wiglaf Droste

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vernehmlich. Er muss auch nichts wissen; er ist ja schon da, das genügt ihm vollständig – und sollte auch jedem anderen ein hinreichender Grund zur Freude sein. So taucht er im Städtchen auf, gern in großer Schaumacherkarre oder auch auf dem heftig pött-pötternden Motorrad, jedenfalls dergestalt, dass man ihn optisch und akustisch wahrnehmen muss, ob man das nun möchte oder nicht. Hat er sein Sieht-mich-auch-jeder?-Vehikel abgestellt, walzt er in Zweier- oder in Viererreihe übers Trottoir wie ein gemächliches Breitwandgesäß, lässt niemanden passieren und hat demonstrativ jede Menge Zeit. Etwas Konturloses, Matschiges umweht ihn; ohne sich eine Form zu geben, würgt und wirscht er durch die Gegend und teilt der Welt in Körpersprache mit: Ist es nicht herrlich, dass ICH jetzt frei habe? Mag sein – aber geht das die Welt irgendetwas an? Und ist es nicht erstaunlich, wie brüllend laut die angeblich stumme Körpersprache sein kann?

      Dezente Zurückhaltung überlässt der ausflügelnde Berliner anderen. Er ist inzwischen im Lokal angekommen und verlangt Bedienung. Die steht ihm zu, aber zack-zack. Ungläubig und widerwillig muss dieser Vertreter der Ausflugssorte Mensch zur Kenntnis nehmen, dass nicht allein er und die Seinen auf die singulär außergewöhnliche Idee einer Ausfahrt kamen; viele, viele andere sind ausgeflogen, manche sogar schon vor ihm. Bekommt er jetzt vielleicht nicht sofort einen Platz und alles, worauf er ein Anrecht hat? Skandal! Verrat! Ja, auch – vor allem aber Frechheit, jawohl: »’ne Frechheit is dett!«

      Mürrisch und kurz vor maulen steht der ausflugszielfixierte Berliner im Lokal und hühnert mit den Füßen. Beinahe schon hat er ein abschließend wegwerfendes »Also hier kannste ja ooch jarnisch mehr hinjehn!« auf den Lippen, als er doch noch einen freien Tisch erspäht. Allerdings steht dieser recht entlegen halb um die Ecke, und die Rückenlehnen der Stühle sind gegen die Tischkanten gekippt. Über diese kleinen Zeichen sieht und geht der Ausflügler großzügig hinweg, eilt mitsamt seinem Tross hinzu, rückt und ruckelt sich das Gestühl allseits gut vernehmlich zurecht, macht es sich bequem und schaut mit erwartungsvoll gerundetem Karpfenmund zu Kellnerin und Kellner.

      Die allerdings haben gut zu tun, und ihre Wegschneisen liegen abseits des Tisches, an dem Familie Sitzsack Platz genommen hat. Die Stimmung am Tisch verdüstert sich; wie kann das sein? Wir sind schon zwei Minuten hier, und das Essen steht noch nicht auf dem Tisch? Es wird nach Bedienung gewinkt, gerufen, mit den Fingern geschnipst und sogar gepfiffen; auch diese groben Regelverstöße bleiben folgenlos, in jeder Hinsicht. Nun macht der Ausflugsfamilienvorstand die Angelegenheit zur Chefsache, steht auf, strafft sich, sandalettet in einen weniger dezentral gelegenen Bereich des Gartenlokals hinüber und stellt sich entschlossen und mutig einer Kellnerin in den Weg. Die, ein volles Tablett in den Händen, erklärt ihm dennoch geduldig, dass an jenem Tisch leider nicht bedient werde, weswegen sie ja auch die Stühle gegen den Tisch gelehnt habe.

      Das Gesicht des Ausflüglers wird zur Bühne, auf der ein faszinierendes Schauspiel sich ereignet: Zehntelsekunde für Zehntelsekunde kann man dabei zusehen, wie lange es dauert, bis der Groschen fällt. Als er durchgerutscht ist, klappt dem Ausflügler der Mund auf. In wortloser Wut starrt er die Kellnerin an, dreht sich um und macht seinem Klüngel ein Handzeichen, aufzustehen. Geräuschvoll rauscht die Truppe ab. Im Gesicht des Chefausflüglers arbeitet es weiter. Er dreht sich noch einmal um, schwillt zu voller Bedeutung an und entlässt den Inhalt seines Triumphatorenkopfes in den Tag: »So kann ditt ja nüscht wern im Osten!« – Nein, da muss erst einer wie er kommen, bis alles so schön ist wie überall.

      Was ist der Unterschied zwischen Terroristen und Touristen? Terroristen haben Sympathisanten.

      Aus der Mückengaststätte

      Von der Perspektive einer Mücke aus betrachtet ist der Mensch eine Mischung aus Tankstelle und Gastwirtschaft. Für einen Einzelmück oder eine Solo-Mücke ist ein menschliches Wesen ein Schnellimbiss, an dem der kleine Blutdurst zwischendurch mal eben rasch im Vorbeifliegen gestillt werden kann. Einem Mückenschwarm dagegen gilt der Homo sapiens als eine Art Großraumkantine, an deren Tischen alle Platz finden. Zwar gibt es weder ein Menü noch kann man à la carte bestellen – ausgeschenkt wird Einheitskost –, aber satt immerhin werden hier alle.

      »Stammessen Eins!« sirrt routiniert das Personal, ein rot gesprenkeltes, schon etwas angeschmuddeltes Tuch um die gerundeten Küchenbullenhüften geschlungen. Die Mitglieder der hungrigen Mückenmeute binden sich erwartungsfroh die Servietten vor, klopfen mit den vorfreudig gehärteten Saugrüsseln in rhythmischem Stakkato auf die Tische und verlangen im Chor: »Bsss! Bsss! Blutsuppe à la nature! Bsss! Bsss!«

      Der ohne sein Einverständnis zur Speisegaststätte umfunktionierte Mensch aber will der Mücke nicht als Freibank dienen. Fluchend schlägt er um sich und versucht, die auf seinen Gliedmaßen oder in seinem Gesichte sitzenden Vampire zu verjagen oder sie mit der flachen Hand am eigenen Leib oder auf der eigenen Wange zu zerquetschen.

      Die andere Wange hinhalten? Nein, das kommt im Fall des Mückenbefalls auch für Christen längst nicht mehr in Frage, hier wird mit der Eigenohrfeige schnell und unerbittlich Selbstjustiz geübt. Die übrigen Delinquenten werden im Eilverfahren dem Insektenbeauftragten, Kardinal flache Hand, überstellt, und der macht kurzen Prozess, urteilt die lästigen Säuglinge ab und weihräuchert sie aus, bevor er saftig klatschend zulangt.

      Doch der Mücken sind viele; die Hoffnung des Menschen, ein langer und frostiger, beißend kalter Winter hätte die stechenden Insekten schon im Larvenstadium vernichtet oder doch entscheidend dezimiert, war trügerisch und erfüllte sich nicht. Zerstochen und zerschunden, sich überall die scheußlich juckenden Mückenstiche kratzend, muss der Mensch einsehen, dass der kommode Platz am Ende der Nahrungskette ihm nicht automatisch und selbstverständlich, nicht unbedingt und unangefochten gehört. Selbst sichtlich passiver Teil des Ernährungskreislaufs geworden, muss er kleinlaut einräumen: Wer nichts wird, wird Zwischenwirt.

      Der gesättigte Mückenschwarm erhebt sich; einige wenige Angehörige der Großgruppe haben mit ihrem Leben bezahlt, der Rest prellt frech die Zeche und surrt davon, die nächste Raststätte schon im Blick: Ein Trupp älterer Ausflügler rentnert am Seeufer herum; viele von ihnen stützen sich mit einer Hand auf einen Stock oder halten sich mit beiden Händen an einem Rollwägelchen fest. Drei erfahrene Mücken, die als Vorhut und Späher unterwegs sind, reiben sich die Flügel, machen kehrt, fliegen zu den anderen retour und können frohgemut vermelden: »Leichte Beute voraus!«

      Grausam und unerbittlich ist die Natur. Die Kleinen fressen die Großen – zumindest dann, wenn die Großen nur noch mit Kölnisch Wasser bewaffnet sind. So erlitt eine Seniorengruppe in Rheinsberg noch einmal das Schicksal von Flucht und Vertreibung.

      Denn mit Rollator und Krücke

      Erschlägst du keine Mücke.

      Anmerkungen über die Übergangsjacken

      Bösartig lang und düster ist der deutsche Winter. In dicke, nasse oder angefrorene Mäntel gehüllt, strickbemützt und in Schals gewickelt, stehen Menschenklumpen wie Falschgeld in der Welt; triefnasig, rotäugig und vergrippt starren sie aus der grauen Wäsche. Was sie verströmen, ist das, was sie fürchten und mit dem sie zugleich liebäugeln: Untergang.

      Doch pünktlich zum Termin kommt der Frühling und streichelt mit zarten Sonnenstrahlenfingern vorsichtig die verwinterten Gesichter und Gemüter. Das Signal wird gleich richtig verstanden: Ihre Behausungen, in denen die Menschen eben noch in Agonie ausharrten, schmücken sie nun und tauchen sie in Meere von Blumen. Das Leben fügt sich wieder, es reimt sich Luft auf Duft, allenthalben wird froh und albern gedichtet und mit den Vögeln geträllert:

      Im Frühling walten Gefühle,

      die treiben mich aus dem Haus.

      Denn die Wirte stellen die Stühle

      und

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