Ein Zimmer für sich allein. Virginia Woolf

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Ein Zimmer für sich allein - Virginia Woolf Reclam Taschenbuch

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All die Jahrhunderte zuvor wäre er das Eigentum ihres Gatten gewesen – ein Gedanke, der vielleicht dazu beigetragen hat, Mrs. Seton und ihre Mütter von der Börse fernzuhalten. Jeder Penny, den ich verdiene, mögen sie sich gesagt haben, wird mir weggenommen und nach Gutdünken meines Gatten verwendet – vielleicht, um am Balliol oder Kings26 Stipendien oder Forschungsgelder zu vergeben, so dass Geldverdienen, selbst wenn ich es könnte, keine Sache ist, die mich sonderlich interessiert. Das überlasse ich lieber meinem Mann.

      Auf jeden Fall konnte, ob die Schuld nun bei der alten Dame lag, die den Spaniel anblickte, oder nicht, kein Zweifel bestehen, dass unsere Mütter ihre Angelegenheiten aus dem einen oder anderen Grunde sträflich vernachlässigt hatten. Kein Penny blieb für »Annehmlichkeiten« übrig, für Rebhühner und Wein, Pedelle und gepflegten Rasen, Bücher und Zigarren, Bibliotheken und Muße. Kahle Mauern auf kargem Grund zu errichten, war das Äußerste, was sie zu tun vermochten.

      So standen wir am Fenster, redeten und schauten, wie so viele Tausend es jeden Abend tun, auf die Kuppeln und Türme der berühmten Stadt unter uns. Sie wirkte in dem herbstlichen Mondlicht sehr schön, sehr geheimnisvoll. Die alten Steine sahen sehr weiß und ehrwürdig aus. Man dachte an all die Bücher, die dort unten versammelt waren, an die Bilder der alten Prälaten und Honoratioren, die in den getäfelten Sälen hingen, an die bemalten Fenster, die seltsame Kugeln und Sicheln auf das Pflaster warfen, an die Gedenktafeln, Ehrenmale und Inschriften, an die Springbrunnen und den Zierrasen, an die ruhigen Zimmer, die auf die ruhigen Innenhöfe blickten. Und (man verzeihe mir diesen Gedanken) ich dachte auch an die vorzüglichen Rauchwaren und Drinks, die tiefen Lehnsessel und dicken Teppiche: an die Weltläufigkeit, herzliche Geselligkeit und Würde, die von Luxus und Ungestörtheit und Freiraum hervorgebracht werden. Unsere Mütter hatten uns gewiss nicht mit irgendetwas Vergleichbarem ausgestattet – unsere Mütter, denen es schwergefallen war, dreißigtausend Pfund zusammenzukratzen, unsere Mütter, die den Dienern der Kirche zu St. Andrews dreizehn Kinder gebaren.

      Also ging ich zurück zu meinem Gasthof, und als ich durch die dunklen Straßen lief, sann ich über dieses und jenes nach, wie man es am Ende seines Tagwerks zu tun pflegt. Ich überlegte, wie es kam, dass Mrs. Seton uns kein Geld hinterlassen konnte, und welche Auswirkungen Armut auf den Geist besitzt, und welche Auswirkung Reichtum auf den Geist besitzt; und ich dachte an die merkwürdigen alten Herren, die ich an diesem Morgen mit ihren Pelzbüscheln auf den Schultern27 gesehen hatte, und ich erinnerte mich daran, wie einer von denen immer losrannte, wenn jemand pfiff; und ich dachte an die dröhnende Orgel in der Kirche und an die verschlossenen Türen der Bibliothek; und ich dachte, wie unangenehm es ist, ausgesperrt zu sein; und ich dachte, wie viel schlimmer es vielleicht ist, eingesperrt zu sein; und als ich an die Sicherheit und den Wohlstand des einen Geschlechts und die Armut und Unsicherheit des anderen dachte und an die Auswirkungen der Tradition und das Fehlen der Tradition auf den Geist eines Schriftstellers, da dachte ich schließlich, es sei an der Zeit, die schrumpelige Haut des Tages mit all den Überlegungen, den Eindrücken, der Wut und dem Lachen zusammenzurollen und in die Hecke zu werfen. Tausend Sterne blinkten an der blauen Einöde des Himmels. Man wähnte sich allein mit einer unergründlichen Gesellschaft. Alle Menschen lagen im Schlaf – auf dem Bauch, ausgestreckt, stumm. Niemand schien sich in den Straßen von Oxbridge zu regen. Sogar die Tür des Hotels sprang durch die Berührung einer unsichtbaren Hand auf – kein Hausdiener saß noch wach, um mir ins Bett zu leuchten, so spät war es schon.

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