SchattenHaut & SchattenWolf. Nané Lénard

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SchattenHaut & SchattenWolf - Nané Lénard

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das Heute ins Morgen

      und tötet die Seele aus Leid.

      Denn was am Anfang geborgen,

      geliebt und bewahrt war vor Sorgen,

      muss weichen den Zeichen der Zeit.

      Was schmerzlich als Fluch nur dem Träger vertraut,

      lebt schweigend und lichtlos als Schattenhaut.

      Anfang und Ende

       16. Juli 1963, 21:30 Uhr

      Sie konnte ihr eigenes Blut riechen. Der Schmerz, dieser unglaubliche Schmerz wollte nicht von ihr verschwinden. Er ließ ihr kaum die Möglichkeit zum Atmen. Sie schrie, doch es kam nur noch ein heiseres Krächzen. Noch während sie gegen das Messer ankämpfte, das in ihr zu stecken schien, war plötzlich alles vorbei.

      Ende und Anfang.

      Und während der Tag und ihre Kraft dahindämmerten, hörte sie wie von Ferne, dass ihr jemand etwas zurief.

       16. Juli 1963, 22:25 Uhr

      „Es ist ein Mädchen!“, sagte die Hebamme und strahlte die Mutter an.

      Ein Glück, dachte sie, er hatte sich so sehr ein Mädchen gewünscht. Allmählich kehrten ihre Kräfte zurück. Der kurze Schlaf hatte ihr gut getan.

      „Hier ist Ihre Tochter. Wie soll sie denn heißen?“

      Vorsichtig bettete Hebamme Ute die Kleine in die Armbeuge der Mutter.

      „Wir wollten sie gerne Susanne Michaela nennen“, antwortete Gisela abwesend und hatte nur Augen für das winzige Gesicht. Sie bemerkte nicht einmal, wie sich leise die Tür schloss und sie plötzlich allein im Raum war. Nein, nicht ganz allein. Susi machte auf sich aufmerksam. Sie schmatzte und gluckste im Schlaf.

       Herbst 2010, Der Kommissar

      Unter der Frankenburg war der Herbst eingezogen. Wolf Hetzer streckte sich gemütlich vor seinem Kaminofen aus und hielt die feuchten Wollsocken in die Wärme. Er hätte Gummistiefel anziehen sollen, dachte er, aber wie gewöhnlich war er in seine Lieblingsschuhe gestiegen und hatte nicht weiter darüber nachgedacht, dass Waldwege feucht sein könnten. Vor allem Wege, wie Gaga sie liebte. Seine Schäferhündin war in allem eine Lady, aber eben ein bisschen gaga. Die Sängerin war nach ihr benannt. Darauf bestand Hetzer, denn seine Hündin trug den Namen zuerst.

      Mittlerweile waren die Socken zwar warm, feucht waren sie aber immer noch. Mit einem Seufzer stand Hetzer auf, streifte sie sich von den Füßen und ging auf Zehenspitzen nach oben ins Schlafzimmer. Der Steinfußboden war trotz des Ofens kalt, da waren die Holzdielen im Schlafzimmer eindeutig angenehmer. In der Schublade ging der Sockenvorrat gegen null. Mist, ich muss waschen, dachte er und torkelte auf einem Bein, weil er mit dem Bund an der Hacke hängen geblieben war. Dabei wäre er fast auf Gagas Pfote gestiegen. Sie folgte ihm immer.

      Hetzer wohnte erst seit ein paar Wochen in Todenmann. Hinter dem Berg hatte er alles zurückgelassen. Die alte Kate am Waldesrand war ein wenig baufällig gewesen, als er sie Anfang des Sommers zu einem Spottpreis kaufte. Jetzt war er weit weg von allem, von der Vergangenheit und über den Berg, wenn man so wollte. Nach und nach hatte er Altes restauriert und Kaputtes ersetzt. Das hatte ihn abgelenkt von sich selbst. Dreieinhalb Räume mit Küche und Bad waren jetzt sein neues Zuhause. Er teilte sie mit Gaga, Emil und den beiden Katern. Letztere waren ihm geblieben – von ihr. Zwei Kater als Halbwaisen. Emil, der Ganter, hielt draußen Wache, darin stand er Gaga in nichts nach.

      Als es zu dämmern begann, streckte sich Hetzer gemütlich auf seinem Sofa aus und strich sich die krausen Haare aus dem Gesicht. Er hatte eben noch Holz nachgelegt und Emil in den Stall gebracht. Die Flammen tanzten hinter der Scheibe. Auf Gaga und ihm lag immer noch der Duft des Herbstes, feucht, leicht modrig und rau von der Nebelluft. Er dachte an den Wald, den er liebte und verdrängte das, was dahinter lag. Das Feuer machte ihn schläfrig und so döste er seinem ersten Arbeitstag im Rintelner Kommissariat entgegen.

       Der Pfarrer

       Am selben Abend, 21:56 Uhr

      Es klingelte. Josef war in seinem Ohrensessel über einem Buch und einem Glas Rotwein eingenickt. Jetzt streckte er sich, sah, dass die Standuhr beinahe zehn zeigte. Schwerfällig quälte er sich aus dem Sessel, alle Knochen taten ihm weh.

      Wer rief denn jetzt noch an? Weil er noch nicht ganz wach war, wäre ihm der Hörer fast wieder aus der Hand gefallen. Aber er erwischte ihn noch und riss ihn ans Ohr.

      „Guten Abend“, sagte die sanfte Stimme in der Leitung, „spreche ich mit Pfarrer Josef Fraas?“

      „Am Apparat!“

      „Ich werde mich umbringen.“

      Jetzt war Josef mit einem Schlag wach. Er war im Ruhestand. Dachte, dass er diese menschlichen Katastrophen hinter sich gelassen hatte.

      „Hören Sie, bitte, es gibt für alles eine Lösung, einen Ausweg. Wie heißen Sie?“

      „Es gibt nicht immer einen Ausweg, und wie ich heiße, tut nichts zur Sache. Mein Name gehört ohnehin nicht zu mir.“

      „Wer ist Ihr Seelsorger? Soll ich ihn für Sie anrufen? Gehören Sie zur Hamelner Gemeinde?“

      „In diesem Fall sind auf jeden Fall Sie mein ,Seelsorger’. Sorgen Sie sich um meine Seele?“

      „Dann kennen wir uns? Sind wir uns schon begegnet? Natürlich sorge ich mich um Ihre Seele, ich sorge mich um die Seele eines jeden Menschen. Vielleicht will Ihre heute gerettet werden.“

      „Wenn Sie wirklich etwas für meine Seele tun wollen, dann kommen Sie runter zur Weser. Ich bin direkt am Ende der Fontanestraße den Trampelpfad heruntergegangen und dann ein Stück flussabwärts. Hier ist es so schön einsam, wie geschaffen für einen Freitod. Aber lassen Sie sich nicht allzu viel Zeit. Ich stehe schon mit den Füßen im Wasser, ich will nur die letzte Ölung.“

      „Warten Sie, es ist viel zu kalt, wir haben Oktober. Herrgott, Maria und Josef. Tun sie nichts Unüberlegtes. Ich bin gleich da und dann reden wir. Ich habe es nicht weit. Ich muss nur schnell was anziehen. In fünf, maximal zehn Minuten bin ich da. Ich bringe Ihnen eine Decke mit.“

      „Das wird nicht mehr nötig sein“, sagte die Stimme und legte auf.

      Jetzt hatte es Fraas eilig. Der Fremde meinte es ernst, er hatte keine Zeit mehr. Den Notruf wollte und konnte er auch nicht mehr verständigen, außerdem kamen die immer mit so viel Trara. Wer weiß, ob der Mann verschreckt werden würde. Dann konnte es zu einer Kurzschlussreaktion kommen. Nein, er musste da allein hin, und zwar schnell. Im Keller stieg er in seine Schuhe und seinen Wintermantel, griff die große Taschenlampe, warf sich eine Decke über die Schulter und ging so schnell er konnte in Richtung Fluss. Früher hätte er rennen können, aber das ließen seine alten Knochen

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