Nach Gott fragen zwischen Dunkel und Licht. Mirjam Schambeck
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Dass da einer ist, der versprochen hat, bei den Menschen zu sein, mit ihnen zu gehen (vgl. Ex 3,7), weil er die Klage seines Volkes gehört hat, ist für viele Menschen zu einer fremden Erfahrung geworden. Vermuteten Theologen und Theologinnen noch, dass sich der Indifferentismus von selbst auflösen wird, wenn Menschen mit leidvollen Situationen oder gar mit dem Tod konfrontiert werden, so erweist sich diese Annahme zunehmend als hinfällig. Gerade in den neuen Bundesländern verstehen sich Menschen nun schon über mehrere Generationen hinweg als a-religiös und nicht weniger glücklich, aber auch nicht weniger moralisch, als das Menschen tun, für die Gott im Leben wichtig ist. Gott ist aus dem Horizont vieler Menschen verschwunden. Und es scheint auch fraglich, ob er dorthin wieder zurückkehrt.
Auf der Suche nach dem Ultimaten – mäandernde Religiositäten
Andererseits erstaunte es nicht nur Kirchenleute, dass die von Religionssoziolog/-innen noch in den 1960er und 1970er Jahren vertretene These, dass sich Religion mit der fortschreitenden Moderne notwendigerweise mehr und mehr verflüchtigen wird (Säkularisierungstheorem), nicht bewahrheitet hat. Im Gegenteil : Studien sprechen heute von einem „Megatrend“ Religion. Auffällig ist allerdings, dass sich diese religionsfreundliche Stimmung jenseits des jüdisch-christlichen Gottesverständnisses abspielt. Die kirchliche Sprache ist zu entleert, die Worte über den Gott Jesu Christi zu lebensfern geworden, als dass sie Menschen in Anspruch nehmen, um darin ihren Lebenssinn zu artikulieren und nach Transzendenz zu fragen.
Dahinter verbirgt sich einer der Gründe, warum für viele Menschen eher das abstrakte Ultimate als Bestimmung des Transzendenten in Frage kommt als ein Gott, der sich als Du des Menschen zu erkennen gibt. Das Verhalten zur Transzendenz erfolgt religionslos. Es gibt kaum einen Rückbezug auf kirchliche Traditionen. Was das Transzendente ist, wird von der Instanz des Ich entschieden. Das ist nicht einfach schlechtzureden. Es bleibt aber die Frage, wie solche mäandernde Religiositäten nicht zu Alibis verkommen, um sich in sich selbst zu verkapseln. Mit welcher Garantie führt das, was sich jede und jeder Einzelne als Lebenshaltung zusammenbastelt, wirklich zur Freiheit, die den anderen erreicht ? Wie ermöglicht eine Lebenseinstellung de facto, Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu erstreiten und nicht nur für das eigene Ich ?
Theologie und kirchliche Traditionen sind von daher dringend gefordert, die freimachende Botschaft Jesu wieder so zu sagen, dass Menschen die Rede von einem Gott, der sich den Menschen zugewendet, ihn gesucht und aufgerichtet hat, auch für ihr Leben als kraftspendend erfahren.
Die Sehnsucht nach mehr
Inmitten der vielfältigen Wege, die Gottesfrage zu stellen, ist für nicht wenige Menschen die Sehnsucht zum Auslöser geworden, nach einem „Mehr“ zu fragen. Das zieht sich quer durch die Generationen : Junge Leute wie auch Menschen in den mittleren und fortgeschrittenen Lebensaltern sprechen davon, dass es nicht sein kann, dass das Leben in dem aufgeht, was uns ringsherum von Gesellschaft, Politik und den konsumorientierten Wirtschaftsideologien angepriesen wird. Die Sehnsucht als unstillbarer Antrieb im Menschen geht nicht in Bedürfnissen auf, die die Märkte vorgeben. Sie ist eine Kraft, die über den Menschen hinausreicht und ihn antreibt, weiter zu fragen und tiefer zu suchen.
Von daher ist die Sehnsucht auch ein ambivalentes Phänomen. Der in Frankfurt lebende Schriftsteller Wilhelm Genanzino wird beispielsweise nicht müde, in seinen Romanen die Sehnsucht des Menschen als unstete Kraft zu beschreiben. Seine Protagonisten rasen von hier nach da, immer auf der Suche, endlich zu leben, anzukommen, und sei es unter dem Pullover der Freundin, um dort in einem kurzen Augenblick zu empfinden, was da sein bedeutet.1 Die Sehnsucht lässt den Menschen nie genug haben und wird dort, wo sie ihre eigentliche Akzentuierung verliert und sich im Plural der Sehnsüchte verliert, zur zerstörerischen Kraft, die den Menschen zum Flüchtigen und Gehetzten verkommen lässt.
Ganz anders ist die Sehnsucht, die in der christlichen Mütter- und Väterliteratur der ersten Jahrhunderte als desiderium (lat. Sehnsucht) beschrieben wird. Als solche ist sie nicht einfach eine vom Menschen gemachte Kraft. Sie ist vielmehr die Weise, wie Gottes Geist im Menschen wirkt, ihn anstiftet, sich nicht mit dem Vorletzten zufriedenzugeben, sondern in allem tiefer zu sehen und das Auge des Herzens auf Gott ausgerichtet zu halten. Gregor der Große gilt in der westlichen Spiritualitätsgeschichte als der große Lehrer der Sehnsucht.2 Er verdeutlicht, dass die Sehnsucht wie der Atem Gaben Gottes an den Menschen sind. Beide markieren sowohl den Weg Gottes zum Menschen, als sie auch umgekehrt Wege des Menschen zu Gott sind. Von daher verwenden nicht wenige Meditationstechniken ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit auf den Atem. Er ist nicht nur Weg in die Tiefe, sondern Weise, in dieser Tiefe Gott zu vernehmen, der im Menschen schon längst Wohnung genommen hat. Und wer weiß nicht aus eigener Erfahrung, wie Atem und innere Ausgeglichenheit zusammenhängen beziehungsweise wie sich Hetze und Stress auf den Atem auswirken.
Die christlich verstandene Sehnsucht kennt insofern zwar das Unterwegssein auch in der Ausprägung des Unstetseins. Sie verdeutlicht aber, dass dieses nicht um seiner selbst willen wichtig ist und schon gar nicht das Ziel oder auch nur die eigentliche Weise der Sehnsucht darstellt. Die christlich verstandene Sehnsucht bezeichnet vielmehr eine Haltung, die uneingelöste Erwartung von Leben nicht selbst einlösen zu wollen, sondern dem noch Erwarteten, und das heißt dem noch ausstehenden Gott, Raum zu geben, so dass Gott selbst immer mehr im Menschen und in der Welt ankommen kann.
Diese Sehnsucht wird schließlich auch für Franz von Assisi zum Auslöser, sich nicht mit dem zufriedenzugeben, was ihm sein reicher Vater und die in Stände aufgegliederte Gesellschaft des Hochmittelalters bieten konnten. Seine Weise, Gott zu suchen und immer wieder von ihm an überraschenden Orten gefunden zu werden, wird von daher sowohl zum Dispositiv, auf dem eigene Erfahrungen nochmals in einem anderen Licht gesehen werden können, als es sich auch als Kontrastiv zeigt, das so manche eingeschliffenen Denkgewohnheiten, wie Gott ist und wie er zu sein hat, anfragt.
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