Auf den Geschmack des Lebens kommen. Cornelius Bohl

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Auf den Geschmack des Lebens kommen - Cornelius Bohl Franziskanische Akzente

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um ihn zu entdecken. Seit Jesus in einer Krippe außerhalb der Stadt geboren und außerhalb der Stadt, mitten unter Verbrechern, hingerichtet wurde, gibt es keinen Ort mehr, der gottlos wäre. Spiritualität ist nicht (nur) der Aufstieg der Seele zu Gott, so schön dieses Bild auch ist. Spiritualität ist vor allem der Abstieg Gottes zu uns, die überraschende Erfahrung, dass er zu uns herunterkommt, alltäglich wird, klein und „normal“. Auch die Berufung der Jünger ereignet sich im Alltag, beim Fischfang, als sie ihre Netze richten (vgl. Mt 4,18–22), oder im Zollbüro (vgl. Mt 9,9). Und noch der Auferstandene gibt sich während der alltäglichen Arbeit, ja in der Vergeblichkeit des Gewöhnlichen zu erfahren (vgl. Joh 21,1–14).

       Ich finde Gott – und ich finde mich!

      Christliche Spiritualität hat immer zwei Pole: Es geht um Gott – und es geht um mich. Es geht um Gott. Darum erschöpft sich spirituelles Leben nicht in frommen Übungen, auch wenn ich sie noch so überzeugt und eifrig praktiziere. Natürlich ist es wichtig, dass ich an mir arbeite, meinem Alltag eine Ordnung gebe, bestimmte Gebetsformen pflege. Aber es besteht immer die Gefahr, dass all das nur mein eigenes Tun ist, mit dem ich um mich selbst kreise und letztlich in mir gefangen bleibe. Christliche Spiritualität ist wesentlich und vor allem ein Tun Gottes: Er begegnet mir, er macht etwas mit mir, er beschenkt mich, er tröstet mich, er fordert mich heraus, er sendet mich. Es geht also immer um Gott! Aber natürlich darf es andererseits auch nicht um Gott allein gehen. Spiritualität hat stets mit mir zu tun: Ich werde von Gott angerührt und angesprochen. Ich spüre, wie er etwas mit mir macht. An mir hat Gott Interesse. Es geht ihm tatsächlich um mich. Gott bringt mich zu mir selbst. Spirituelles Leben ist nur dann gesund, wenn ich Gott finde und wenn ich zugleich mich finde.

      Als Mensch erfahre ich mich selbst wesentlich in der Beziehung zum Du, zum Du des Nächsten und zum Du Gottes. Mein Ich erwacht erst am Du. „Du“ sagen können und „Ich“ sagen können, das ist die doppelte Freude des Menschseins. Es gibt allerdings verzerrte Formen christlicher Spiritualität, die jede Beschäftigung mit dem Ich sogleich als Form von Egoismus abtun. Eine solche Ich-Vergessenheit aber ist geistlich ungesund. Natürlich geht es nicht um einen Ego-Kult auf Kosten des anderen. Aber es geht um Ich-Werdung in der Beziehung zum Du Gottes: Gott hat mich gewollt und geschaffen nach seinem Bild. Ich trage die Züge Gottes (vgl. Gen 1,26 f.)! Gott wohnt in mir (vgl. z. B. Joh 14,23 ; 15,4 ; Gal 2,20). Ich selbst, mein Leib, meine Geschichte, meine Beziehungen sind ein Tempel seines Geistes, wie es Paulus einmal sagt (vgl. 1 Kor 6,19). Er hat einen Plan mit mir. Ich darf immer mehr der oder die werden, der oder die ich in seinen Augen schon bin. Diese Art von Selbstverwirklichung, von Beschäftigung mit mir selbst gehört ebenso ins Zentrum christlicher Spiritualität wie die Zuwendung zu Gott und zum Nächsten. Die Begegnung mit Gott, die Begegnung mit dem anderen und die Begegnung mit mir selbst bilden eine einzige geistliche Wirklichkeit.

      Die spirituelle Tradition hat den tiefen Zusammenhang zwischen Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis immer gesehen. „Die wichtigste Erkenntnis besteht darin, sich selbst zu erkennen ; denn wenn sich jemand selbst erkennt, dann wird er Gott erkennen“, sagt Clemens von Alexandrien. Und Bernhard von Clairvaux meint: „Erkenne dich, weil du mein Bild bist, und so wirst du mich erkennen, dessen Bild es ist. Bei dir wirst du mich finden.“ Die Begegnung mit sich selbst führt zu Gott. Und umgekehrt finde ich in der Begegnung mit Gott auch mich selbst: „Lasst uns nur unaufhaltsam um die Erkenntnis Gottes ringen, denn dadurch wird uns die echteste Erkenntnis von uns selbst erwachsen“, so Teresa von Avila.

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