Franziskus und Luther. Nicole Grochowina

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Franziskus und Luther - Nicole Grochowina Franziskanische Akzente

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– und ihre Antworten tun dies ebenso. Beide entdeckten einen Gott, der aus Liebe für sie alles tut und selbst den Weg in den Tod nicht scheute. Beide entdeckten also einen Gott, der in seinem Sohn Jesus Christus dauerhaft das Tor zum ewigen Leben aufstößt und so die Verheißung einlöst, dass niemand verloren geht, keiner, nicht ein Einziger. Und: Beide entdeckten einen Gott, der auch heute liebevoll auf uns Menschen schaut und um unsere Herzen wirbt, indem er uns einlädt, ihm in seinem Handeln an uns zu vertrauen und auf sein Erbarmen zu hoffen.

      In diesem Glaubenswissen treffen sich Franziskus und Luther über die Zeiten, auch wenn sie sich in vielen Punkten theologisch nicht einig waren oder Luther zwar viel mit Franziskus, aber nur wenig mit den Franziskanern anfangen konnte. Insofern ist der Weg mit Franziskus und Luther ein Abenteuer, denn er führt nicht nur in die Geschichte und in Hoffnungen und Glaubenskämpfe von Franziskus und Luther, sondern er führt auch zu uns selbst, zu unseren Fragen, zu unseren Gottesbildern, zu unserem Lebensgespräch mit Gott.

      Im Jahr 1532 erschien es so, als wenn Martin Luther Franziskus von Assisi niemals als einen verdienstvollen Ordensgründer und Heiligen verstehen könnte, denn: In diesem Jahr kommentierte Luther bei einer – nachträglich verschriftlichten – Tischrede in ablehnender Weise ein Buch, in dem die Gleichförmigkeit von Franziskus und Christus betont wird („Liber conformitatum S. Francisci cum Jesu Christo“). Dieses Werk, das ursprünglich zwischen 1385 und 1390 von Bartholomäus von Pisa verfasst worden ist, wurde 1510 neu herausgegeben – und stand vermutlich auch in Luthers Bibliothek. Der Text war geleitet von dem ganz klaren, bereits im Titel akzentuierten Gedanken, dass es sich bei Franziskus um den „zweiten Christus“ handelte: Ähnliches Leiden, ein ähnlicher Vorbildcharakter und eine ähnliche Radikalität in der Nachfolge wurden hier benannt; aber all dies wollte Luther nicht überzeugen, im Gegenteil: Es erboste ihn zutiefst. Einen Vergleich zwischen Christus und Franziskus herzustellen, ja Christus gar durch Franziskus und dann in einem zweiten Atemzug auch noch das Evangelium durch die Regel der Franziskaner zu ersetzen grenzte für ihn an Vermessenheit, an Gotteslästerung und an Frechheit (WA TR 2, Nr. 1692, 184).

      Doch damit nicht genug, denn das Thema verebbte anschließend keineswegs: 1542 verfasste Martin Luther die Vorrede zur Schrift „Der Barfüßermönche Eulenspiegel und Alkoran“ (und damit eine gekürzte und polemisch aufgeladene Fassung des „Liber“), die vom Pfarrer und Superintendenten Erasmus Albertus erstellt worden ist (WA 53, 409–411). In seiner Vorrede lässt Luther kein gutes Haar am Papsttum, dem die Buße und damit die Umkehr zu Gott vollkommen fremd seien und das sich zugleich in der gegenwärtigen Zeit (also um 1542) „schmücken“ und „putzen“ und überdies seine Lehre inzwischen auch auf Reichstagen darstellen und verteidigen würde. Und mehr noch: Den Franziskanern sei zudem vorzuwerfen, dass sie die Regel des „Barfussers“ für das Evangelium hielten und auf diese Weise Christus explizit durch Franziskus ersetzten. Dies käme einer „großen Lügenden“ gleich. Dabei sei Franziskus ebenso wie Benedikt ein schwacher Mensch gewesen. Dies macht Luther an zwei Punkten fest: Erstens musste Franziskus seine sexuellen Begierden „in den Schnee treten“ und Frau und Kind durch sieben „Schneeballen“ ersetzen, um seine „jugendliche Brunst“ einzudämmen. Dieses Verhalten legt Luther als Schwäche von Franziskus aus, die er – und das meinte Luther ganz ernst – hätte vermeiden können, wenn er sich für das Ehe- und nicht für das Klostergelübde entschieden hätte, denn dann hätten seine Begierden in aller Freiheit ihren Ort gehabt.

      Als zweite Schwäche von Franziskus erkennt Luther in seiner Vorrede von 1542, dass Franziskus des „weltlichen oder Kirchen regiments … viel zu geringe“ sei, denn er sei „unerfahren“ und zugleich auch „ungelernt“ gewesen und habe gerade wegen dieser Unkenntnis durch sein „narren werck … Christum und sein Reich verfinstert“ (WA 53, 411). Ein verfinstertes Christentum – das ist ein massiver Vorwurf, den Luther hier formulierte.

      Doch indem Luther diese zwei Schwächen von Franziskus benennt, leuchtet zugleich etwas von dem auf, was ebenfalls sein gesamtes Franziskusbild durchzieht: Bei aller Kritik an dem, was über Franziskus gesagt wurde, wollte Luther den Ordensgründer doch nicht ungeschützt im Hagel der Kritik stehenlassen, im Gegenteil: Es gehört zu Luthers ambivalenter Sichtweise auf Franziskus und die Franziskaner, dass er Letztere in aller Schärfe verurteilte, während er Ersteren von dieser Kritik weitgehend ausnahm.1 Und so zeigt sich, dass die Rede von den Schwächen von Franziskus, die Luther führte, nicht als Anschuldigung verstanden wurde, sondern dem Schutz von Franziskus dienen sollte. Das heißt: Der Hinweis, dass Franziskus unerfahren und ungelernt sei, zielte darauf, dass Franziskus es in all seinem Denken und Tun schlicht nicht besser gewusst hatte, weil er kein ausgebildeter Theologe war. Insofern hätte er zwar ein „narren werck“ betrieben, aber dies könnte man ihm wegen seiner Ungelerntheit nicht zur Last legen. Vor diesem Hintergrund kommt dann auch Luthers Hinweis, dass Franziskus besser eine Ehe eingegangen wäre, eine andere Bedeutung zu, weil dieser nun einen eher fürsorglichen Klang erhält, der für einen Menschen gilt, der wohl glaubend, aber in diesem Glauben nicht universitär ausgebildet war.

      Bewertete Luther Franziskus, schienen eigene Gesetze zu gelten, denn: Gott selbst rückte nun bei den Einlassungen Luthers in die Mitte, der sich in seiner Barmherzigkeit Franziskus’ – und im Übrigen auch Benedikts und aller weiteren Ordensgründer – erbarmt hätte, als er ihr Ringen gesehen hatte. Stand Gott also in der Mitte, wurde es plötzlich möglich, Menschen anderer Frömmigkeitsrichtungen und Glaubensauffassungen in einem neuen Licht zu sehen und dabei zu verstehen, dass alle Unterschiede hinter dem gemeinsamen Glauben an das Heilswirken Gottes zurücktreten können. Dieser Grundzug, der auch heute gelingende ökumenische Gespräche charakterisiert, erweitert das eigene Gottesbild, weil er auf einen Gott verweist, dessen Liebe auch da nicht endet, wo sich das menschliche Vermögen erschöpft, andere anzunehmen und zu lieben. In dieser Haltung in Gespräche etwa mit anderen Konfessionen zu gehen hat oft schon aus Gesprächspartner/-innen Beschenkte werden lassen.

      Im Wissen um den gemeinsamen Glauben an den barmherzigen Gott konnte Luther Franziskus also leichten Herzens als einen „frommen Mann“ (WA TR 3, Nr. 3626, 466 f) bezeichnen, weil dieser eben in erkennbarer und beeindruckender Weise auf das Wort Gottes vertraute. So formulierte Luther es bei den Tischreden aus den 1540er Jahren – und daran wollte er auch in der Zeit festhalten, in der er das „Liber“ und damit die Erzählungen über Franziskus scharf kritisierte (WA TR 5, Nr. 6352, 616).

      Und weil Luther Franziskus nicht entheiligte, konnte er ihn auch – ebenso wie den Ordensgründer Benedikt – als ein zeitloses Exempel für das heilvolle Handeln Gottes verstehen. Deshalb erscheint auch die Folgerung für die Lesenden der Vorrede zum „Liber“ in einem geradezu versöhnlichen Ton, wenn es heißt: „Sind sie [i. e. die Ordensgründer, d. Verf.] selig geworden, … so sollen wir auch nicht verzweifeln“ (WA 53, 411). Beiden seien also Schwächen zu attestieren, aber beide lebten zugleich gestützt auf das Wort Gottes – und damit in einer Art und Weise, die Luther durchaus auch für sich in Anspruch nahm, so dass hier eine Nähe entstand. Die Sympathien für Franziskus waren also bei Luther groß, übertrugen sich aber letztlich nicht auf den Franziskanerorden als solchen.

      Luther und Franziskus hatten also offenbar mehr miteinander zu tun, als es der erste Blick auf die Aussagen Luthers aus den Jahren 1532 und 1542 nahelegt. Deshalb soll in einem ersten Teil Luther noch einmal deutlicher in all seiner Ambivalenz zur Sprache kommen, wenn er ausgehend von seinem Blick auf Franziskus und auf die Franziskaner über Armut, das Ordenswesen an sich und den wachsenden politischen Einfluss der Franziskaner in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts streitet, dabei aber gleichzeitig versucht, den Ordensgründer weiterhin als Heiligen zu sehen und zu schätzen. Konkret heißt dies, dass Luther einerseits Franziskus für einen bewundernswerten Mann hielt, der durch den Geist geradezu brannte („vir admirabilis et spiritu ferventissimus“, WA 8, 579). Andererseits hielt ihn dies aber nicht

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