Kopfsache schlank. Marion Reddy

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kopfsache schlank - Marion Reddy страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
Kopfsache schlank - Marion Reddy

Скачать книгу

sehr dick sind, ist das ihre Sache. Wenn sie sich mit etwas mehr Kurven oder einem gemütlichen Bäuchlein wohl fühlen, gut so. Bloß fühlte ich mich eben nicht wohl. Ich war einfach zu schwer, da halfen auch keine beruhigenden Worte. Wenn mich jemand damit trösten wollte, dass richtig dick sein doch etwas ganz Anderes wäre, konnte ich richtig wütend werden. Dann fühlte ich mich unverstanden, war enttäuscht und aß noch mehr.

      Die Situation im Job entspannte sich mit Jahreswechsel etwas. Die Leitung des Krankenhauses genehmigte mehr Stellen für unsere Abteilung und mehr Ärzte kamen. Ich musste weniger Nachtdienste und Überstunden machen und die Routinearbeit war schneller erledigt. Manchmal kam ich jetzt sogar wieder pünktlich nach Hause.

      Der erhoffte Effekt, dass das etwas an meinem Gewicht verändern würde, trat jedoch nicht ein. Nicht von selbst und auch nicht, als ich nachhalf. Ich scheiterte weiterhin an jeder Diät, auch wenn sie noch so neu und vielversprechend klang. Denn obwohl ich jetzt wieder viel mehr Freizeit hatte, konnte ich nicht mehr damit aufhören, ständig zu essen. Es war wie eine Sucht. Ich musste mich weiterhin ständig mit Essen beruhigen und betäuben.

      Besonders schlimm war es, wenn mir Freunde und Bekannte, die meine äußerliche Veränderung inzwischen nicht mehr so leicht wegreden konnten, gut gemeinte Tipps gaben.

      Warum isst du nicht einfach weniger?

      Lass nur die Schokolade weg!

      Ich habe mehr als sieben Kilo mit »Dinner Cancelling« abgenommen.

      Laufen hilft super. Lauf einfach morgens eine Runde, dann hast du auch weniger Hunger!

      Iss einfach kein Fleisch!

      Iss einfach kein weißes Mehl!

      Lass einfach die Milchprodukte weg!

      Immer war da dieser Imperativ. Ich wusste, dass sie alle es gut meinten, aber es war trotzdem schrecklich. Ich wusste das ja alles schon. Ich wusste ganz genau, welches Nahrungsmittel wie viele Kalorien hatte. Weniger essen, mehr Bewegung, weniger Stress, weniger Kilos. Ursache, Wirkung, Lösung. Die Theorie war ganz einfach. Bloß half mir das nichts, wenn ich mich hässlich fühlte und traurig war und nur eines wollte: allein sein mit einer riesigen Tafel Schokolade.

      Keiner meiner Freunde und Bekannten bemerkte, dass das ständige Gequatsche über meine Figur und die vielen gut gemeinten Tipps mich nur noch mehr unter Druck setzten. Dass sie nur das Gegenteil von dem bewirkten, was sie sollten und mitschuldig an weiteren Fressattacken waren. Doch das Schlimmste war: Als das Jahr in der inzwischen gar nicht mehr so ungemütlichen Abteilung vorbei war und ich zurück an meine ursprüngliche Klinik durfte, änderte sich rein gar nichts. Ich nahm mein neues Gewicht und meine Fressattacken mitsamt meiner Unfähigkeit, etwas dagegen zu tun, in mein altes Leben mit. Selbst als ich im Sommer eine Stelle als Psychiaterin an einer Wiener Klinik bekam, also meinen Traumjob, blieb mein Gewicht gleich.

      Schließlich kam dieser kühle Herbsttag. Es war nebelig und es nieselte leicht. Ein perfekter Tag, um sich daheim zu verkriechen, um zu lesen oder ein bisschen aufzuräumen, doch ich musste zum Zahnarzt. Der Bus war wie immer knallvoll. Ich fuhr mit der Linie 13A, die Wiens beliebteste Einkaufsmeile, die Mariahilfer Straße, quert. Dementsprechend gedrängt standen in dem Bus Menschen mit ihren Einkaufstaschen und übler Laune. Ich war noch nie gerne mit dem 13A gefahren. Ich hatte sogar meine einzige Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio beendet, weil ich es nur mit dieser Linie erreichen konnte.

      Ich stand in dem schmalen Gang zwischen den Sitzen und hielt mich an einer Stange fest. Ein etwa dreißigjähriger Typ wollte sich an mir vorbei quetschen, um in den hinteren Teil des Busses zu gelangen. Dabei sagte er diesen Satz.

      Weich aus, Blade!

      »Blad« ist ein abfälliges wienerisches Wort für »dick«. »Blad« ist noch schlimmer als dick. Es ist eine ganz schlimme Art von dick, eigentlich die schlimmste, und ich konnte mich umsehen, so viel ich wollte: Er hatte wirklich mich gemeint. Denn es stand niemand neben mir, der noch »blader« war als ich. Eine alte Frau war da noch mit einem Kleinkind an der Hand. Sie war wohlbeleibt, aber sie war dem Typen nicht richtig im Weg gestanden. Ich merkte gar nicht, wie ich Platz machte, dermaßen getroffen war ich von diesem Satz.

      Weich aus, Blade!

      Dieser Satz löste ein mulmiges Gefühl in meinem Magen aus, das ich den restlichen Tag nicht mehr loswurde. Ich fühlte mich elend.

      Es gibt Momente im Leben, in denen wir an einer Kreuzung stehen. Wir wissen, dass wir geradeaus weitergehen können wie bisher. Es gibt aber auch einen Weg nach rechts und einen nach links und beide führen ganz woanders hin.

      An jenem Nachmittag stand ich an so einer Kreuzung. Ich wusste, dass ich nicht einfach geradeaus weitergehen konnte. Der Satz, gesprochen von einem Mann, der mich bestimmt in der gleichen Sekunde wieder vergessen hatte, markierte in Sachen Figur und Ernährung meine Stunde Null. Es reichte. Ich wollte nicht mit diesem Gewicht weiterleben. Ich musste etwas dagegen tun.

      Ich hatte bloß keine Ahnung, was das sein konnte, eine weitere Diät jedenfalls nicht. Nach meinen Erfahrungen damit erschöpfte mich schon der bloße Gedanke daran psychisch. Ich hatte wirklich keine Lust auf noch ein Buch von irgendeinem Fitnesstrainer, der einen Zwei-Wochen-Plan mit Knäckebrot, gegrilltem Hühnchen und frisch-fröhlichen Joggingrunden morgens um fünf empfahl. Aber was konnte ich sonst tun?

      Der Rest dieses grauen und nasskalten Herbsttages verlief zunächst unspektakulär. Nach meinem Termin beim Zahnarzt wollte ich die Wintersachen für meine jüngste Tochter heraussuchen, um mich mental darauf einzustimmen, dass der Sommer nun endgültig vorbei war.

      Ich wohne in einer Altbauwohnung mit hohen Räumen. Im Kinderzimmer steht ein über drei Meter hoher Jugendstilschrank. In dessen oberen Fächern lagerten neben einigem anderen Kram, in einer Plastiktasche, die Sachen, die ich suchte.

      Ich war zu faul, die Leiter zu holen und hochzuklettern. Deshalb streckte ich mich und fischte nach den Trageschlaufen der Tasche. Als ich sie endlich zu fassen bekam, zog ich daran, bis sich die Tasche bewegte. Sie kam mir entgegen, doch es rutschten noch ein paar andere Sachen mit, die anscheinend oben drauf gelegen waren. Etwas Schweres traf mich an der rechten Schläfe und polterte zu Boden. Es war ein Buch. Ich sprang zurück, während die Tasche mitsamt dem übrigen Kram vor meinen Füßen landete.

      Verärgert versetzte ich dem Buch einen Tritt. Es flog nicht weit, denn es war dick und schwer. In der Mitte des Kinderzimmers blieb es aufgeschlagen liegen. Ich griff mir an die Schläfe und hatte keine Lust mehr, Winterkleidung zu sortieren. Zuerst die Sache im Bus und jetzt auch noch das. Es war einfach nicht mein Tag. Morgen ist dafür auch noch Zeit, dachte ich, und stopfte alles zurück in den Schrank.

      Als ich auf dem Weg nach draußen schon das Licht abdrehen wollte, lag da noch immer das Buch. Es war ein Fachbuch aus meiner Anfangszeit an der Neurochirurgie. Ich bückte mich danach und sah das Kapitel, an dem es aufgeschlagen war. »Die Basalganglien«, so lautete es. Der Titel rief in mir Erinnerungen an alte Zeiten wach und so saß ich bald auf dem Boden neben einer Lego-Antarktis-Basisstation und blätterte darin.

      Wie lange das alles her war! Es war so ähnlich, wie nach zehn Jahren Fotos einer alten Liebe wiederzufinden. Das Buch war ein Teil von vier Bänden über operative Neurochirurgie und ich hatte alle vier geliebt. Ich sah mir die Abbildungen der Basalganglien an, die mich schon als Studentin fasziniert hatten, weil sie längst nicht restlos erforscht waren und immer wieder neue Informationen darüber auftauchten. Ich hatte sie in der Neurochirurgie und in meiner Ausbildung

Скачать книгу