Unter Extremisten. Ramazan Demir
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Ramazan Demir:
Unter Extremisten
Alle Rechte vorbehalten
©2017 edition a, Wien
Cover: JaeHee Lee
Gestaltung: Lucas Reisigl
ISBN 978-3-99001-260-4
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
INHALT
Sind Extremisten auch nur Menschen wie du und ich?
Auserwählt vom Bösen: Wie Muslime radikal werden.
Beten am Handtuch: Der Blick in die Seele
Kopf an die Wand: De-Radikalisierung und Reue.
Mauer der Ignoranz: Die Arbeit mit den Unverbesserlichen.
Die zwanzig klassischen Irrtümer der Extremisten
Das Frauenbild der Extremisten
MUSA
Sie töten dich, wenn sie dich finden.
Musa kauert in einer Ecke, den Kopf zwischen den Knien, die Hände flach an die Ohren gepresst. Ein Bild von Geborgenheit, auf einen ersten, flüchtigen Blick. Ähnlich dem eines Kindes, das beim Versteckspiel die Augen schließt im Glauben, für sich zu sein, selbst nicht gesehen zu werden. Doch Musas Kauern ist das genaue Gegenteil von Geborgenheit. Der untaugliche Versuch zur Abwehr einer Welt, die nicht länger sein darf. Auch ist Musa kein Kind. Und es ist auch nicht länger ein Spiel. Das ist es nie gewesen. Um ihn herum das erkaltete Gemäuer eines Einfamilienhauses oder das, was einmal vorgegeben hat, ein Einfamilienhaus zu sein.
Stockdunkel umhüllt den jungen Mann. Nicht weit von seinem löchrigen Unterschlupf, vielleicht fünfzig Schritte voraus, zerreißt Maschinengewehrfeuer die schwarze Luft. Nur allmählich verebbt das arrhythmische Tackern der Salven. Zögerlich. Als müsste die Luft erst für sich selbst befinden, ob sie diesem so schwer misshandelten Land eine Pause zum Verschnaufen gönnt oder nicht.
Sie töten dich, wenn sie dich finden.
Ja, denkt Musa, das werden sie. Denn Musa ist um keinen Deut besser als einer von denen, um nichts besser als ein kāfir, ein Ungläubiger, deren es unzählige gibt auf dieser Welt und die zu unterwerfen, zu bekehren oder am besten gleich auszurotten ist. Seinerzeit. Acht Monate liegt dieses Seinerzeit gerademal zurück. Seinerzeit hat er ernst gemacht, hat den theoretischen Beschwörungen der guten, gottgerechten Sache die Krone der Praxis aufgesetzt, ist endlich angetreten an der Front. Als Krieger Allahs. Hier in Syrien.
Wie viele hast du seither getötet?
Musa weiß es nicht. Bloß, dass ihm das MG 3, das sie ihm verpasst haben, zum treuesten Gefährten in diesen Monaten herangewachsen ist. Ein aalglattes, kühles Stück deutschen Maschinengewehrstahls, erbeutet in einem der blutigen Raubzüge des IS und von Anfang an hart am Mann. Unausgesetzt. Tagsüber. Nachtsüber. Ausschweifend lange Einweisungen am Gerät vor Ort hat es nicht gebraucht. Alles hundertfach trainiert. Und dann: einfach drauf losballern, Ego-Shooter-Routine. Ego-Shooter-Kitzel. Bloß in echt. Das Gute auf der Jagd nach dem Bösen. Das blindlings erfolgte Hinausjagen einer Salve um die andere. Ins Licht. Ins Dunkel. Bald schon hat er aufgehört, ihren satten Donner zu hören. Bald schon sieht er nur noch die Blitze, die von seinem stählernen Gefährten losfahren, ins Weiß, ins Schwarz, und bisweilen, wie zum bestätigenden Echo, als verzerrtes Wehklagen wiederkehren. Bizarre Schreie klingen auf. Als würden sie aus einer Spielkonsole generiert. Als wären sie nicht von dieser Welt. Und doch sind sie Bezeugungen eines im Hier und Jetzt gezeitigten Erfolges.
Musa nimmt die eine Hand vom Ohr, betastet die aufgeschürften Knie. Eben noch hat er in einem Haufen aus Schutt, Glas, zersplittertem Metall gekniet. Doch da ist kein Schmerz. Nur ein dumpfes Fühlen. Die Kälte kann seinem ausgemergelten Körper nicht an. Dünne Jacke hin, zerschlissene Hose her. Ebenso wenig Hunger oder Durst. Ströme von Adrenalin pumpen jedes Empfinden hinfort.
Stattdessen wehen Fetzen loser Gedanken heran, schütteln Musa durch. Wie Rückstöße der unkontrollierten Salven, die er eben noch in die Nacht gejagt hat. Hat er denn überhaupt? Er greift nach den Gedanken, bekommt eine Handvoll zu fassen. Andere lässt er unformuliert ziehen, spürt ihnen in einer Mischung aus Wehmut und Schaudern nach. Und auf einmal gewahrt er, dass er am ganzen Leib zittert. Ein Bibbern wie von Schüttelfrost. Ein Krampf durchfährt seinen Leib. Auch er kommt und geht frei von Schmerz. Abgetönt, wie in Watte. Der Tod ist nahe gerückt, verdammt nahe, sagt er sich. Und er weiß, dass es nicht jener Tod ist, auf den man ihn so lange so eindringlich vorbereitet und den zu fürchten er sich versagt hat. Es ist ein friendly fire, dem er ins Auge blickt, eines, das so gar nicht friendly daherkommt, so gar nicht unbeabsichtigt aus den eigenen Reihen erfolgt und auch nicht konform geht mit den Verheißungen.
Sie töten dich, wenn sie dich finden. Erst foltern sie dich. Endlos lange. Dann, irgendwann, richten sie dich hin.
Natürlich weiß einer wie Musa, was ihm blüht. Er kennt die eisernen Gesetze, die unerbittliche Härte nach außen und die noch um vieles unerbittlichere nach innen, kennt die Mechanismen der gnadenlosen Abrechnung mit jenen, die vom großen Traum der großen Sache abfallen. Die Abtrünnigen. Die Verräter. Sie sind schlimmer noch als jeder gottverdammte kāfir auf diesem Planeten. Und genau das ist er: ein Abtrünniger. Ein Verräter.
Musa hat seinen Traum bis ans Äußerste gelebt. Die Blase seines Traumes. Doch dann, in einem sehr bestimmten Augenblick, ist es zu viel gewesen. Und an die Stelle des unverrückbaren Guten in ihm ist die Fratze des Bösen getreten. Das Böse hat sich ihm zum Spiegelbild gemacht. Jenes Böse, das er mit