Unter Extremisten. Ramazan Demir
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In solchen Augenblicken, da ich den Zweifel an der prinzipiellen Barmherzigkeit Allahs in den Augen meines Gegenübers aufblitzen sehe, muss ich an meinen Großvater denken. Daran, dass er es gewesen ist, der mich maßgeblich auf meinem Weg zum Imam geprägt und begleitet hat. An seine Anfänge im deutschen Ludwigshafen, wohin er – dreitausend Kilometer von der Heimat, einer anatolischen Kleinstadt, entfernt – in den Siebzigern gekommen ist. Als typischer Vertreter der Gastarbeitergeneration. Erst Jobs am Bau. Später beim Chemieriesen BASF. Der mühselige Aufbau eines Stückchens Lebenswelt. Erst der Mann als Vorhut aus der Türkei ins Ausland, später Frau und Kinder nachgeholt. Wie man es kennt.
Großvater ist seit jeher ein Mann der Tat, und als solcher lerne ich ihn auch kennen. Er bringt seinen Sohn, meinen Vater, ebenfalls bei BASF unter. Und auch mir, Ramazan, soll dergleichen widerfahren. »Sie suchen Mechatroniker«, sagt Vater eines Tages, als er von der Arbeit heimkehrt. Für ihn liegt der Fall, mein Fall, klar auf der Hand.
Meine Pläne indes sind andere. Sowohl eine Jobmöglichkeit dort wie auch ein Angebot von der Universitätsklinik zu Heidelberg, wo man mich als aktenschleppenden Zivildiener kennengelernt hat und auch übernehmen will, schlage ich zum Entsetzen meines Vaters aus. Auch Halal-Metzger will ich nicht werden. Eine Marktlücke, braust mein Vater auf. Ich würde Millionen machen. Ich lehne entschieden ab, denn mir steht anders im Sinn. Auch bin ich meilenweit entfernt, ein einziges Huhn schlachten zu können. Obwohl ich Huhn für mein Leben gerne esse, und es auch nicht frei von humorvoller Pikanterie ist – aus heutiger Sicht –, dass meine Eltern mich ausgerechnet Ramazan genannt haben, benannt nach dem Fastenmonat Ramadan.
Das Thema Halal-Metzger scheint vom Tisch. Bis mein Vater mich am Vorabend meiner Abreise nach Wien (wohin es mich der Liebe wegen verschlägt) vom Abschiedfeiern mit meinen Freunden nachhause holt. Im Wohnzimmer blicke ich in sieben todernste Mienen. Mein Vater schweigt die ganze Zeit, die anderen jedoch, allesamt seine Freunde, beginnen, auf mich einzureden. Teils blumige, teils eindringliche Worte. Der Druck wächst und wächst. Ein Argument stichhaltiger als das andere. Ich müsse bloß die Ausbildung machen, sie würden den Rest organisieren. Alles würden sie auf die Beine stellen. Bis hin zum Schlachthof.
Ab und zu, wenn ich einen jungen Muslim vor mir sitzen habe, mir seine Geschichte anhöre – Abkehr vom Weg, Werdegang der Radikalisierung –, muss ich genau daran denken. An die grimmig entschlossenen Gesichter der Freunde meines Vaters, die dann erneut vor mir erstehen. An die Flut ihrer Argumente, die mich rumkriegen sollen. Natürlich ist die Karriere eines angehenden Halal-Metzgers mit der eines Extremisten nicht gleichzusetzen, doch ich sehe es als Parabel auf das Leben – dafür, wie wichtig es ist, sich nicht leichtfertig den Vorstellungen von Einflüste rern zu ergeben. Niemand kommt als Radikaler zur Welt. Erst die Umstände machen einen Menschen dazu, insbesondere aber die Aufgabe der Treue zu sich selbst und die Missachtung einer natürlichen inneren Stimme, die zur Vorsicht mahnt.
Nein, Halal-Metzger ist nicht mein. Stattdessen fliege ich nach Wien, folge dem Vorschlag eines Freundes, Islam zu studieren. Sein Rat fällt bei mir auf einen Boden, den mein Großvater da schon längst zu bestellen begonnen hat. Zwanzig Jahre zuvor, als er mir die ersten Prophetengeschichten vorgelesen oder aus dem Gedächtnis erzählt hat. Großvater ist selbst Imam. Wenngleich ehrenamtlich. Er lehrte mir: »Bete nicht aus Angst vor der Hölle. Bete nicht aus Gier zum Paradies. Bete aus Liebe zu Allah.« Unvergessliche Worte – im Übrigen der Leitsatz von Rabia Al Adawiyya, einer großen muslimischen Mystikerin, die einige Jahrhunderte nach Muhammad gelebt und gewirkt hat.
In ihm, Großvater, habe ich schon als kleiner Junge meinen privaten Religionslehrer erster Güte. Und diese Güte ist es auch, mit der er mir von Anfang an zur Seite steht, als sich mein Weg zu manifestieren beginnt. Auch heute noch schwingen die spirituellen Reden meines Großvaters über den Islam in mir fort. Als ich eines Tages, selbst längst Imam, offenbare, mit einem Rabbiner nach Jerusalem reisen zu wollen im Sinne einer interkonfessionellen Verständigung, raten Teile der Familie mir ab, allen voran mein Vater aus Angst, mir könnte im Nahen Osten etwas zustoßen. Abermals ist es Großvater, der mich bestärkt. Er hat mein Bild von Religion, von Zusammengehörigkeit aller Menschen früh geformt. Wie auch jenes eines barmherzigen, ganz und gar nicht »Nur-Strafenden« Gottes. Und auch, dass Allah all jenen vergibt, die aufrichtige Reue zeigen. Was immer sie getan haben.
Wenn du Reue zeigst, wird dir Allah vergeben.
Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Musa diese Schwelle zur Reue, zur uneingeschränkten Einsicht überwunden hat oder nicht. Das Gericht hat ihn zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, als einen, der sich in Österreich nach § 278b des Strafgesetzbuches zu verantworten haben, dem so genannten Terrorparagraphen, der Schlagworte wie Hochverrat, Verhetzung, Terrorismus führt. Tage nach dem Richterspruch wird Musa in ein anderes Gefängnis verlegt, in Gemäuer außerhalb Wiens. Ich habe ihn bis zum heutigen Tage nicht wiedergesehen – und doch wird er noch einmal in mein Leben treten. Auf eine hochdramatische, mein Dasein als Gefängnisseelsorger massiv beeinflussende Art und Weise.
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