Tatorte 3. Thomas Schade

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Tatorte 3 - Thomas Schade

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      Seidel versucht zunächst die Funktionsfähigkeit der Zündvorrichtung festzustellen. Der Bombenbauer hat die Drahtverbindungen nicht gelötet, sondern die Drahtenden nur zusammengewickelt. Messungen des Widerstands ergeben, dass genügend elektrischer Strom für die Sprengzünder bereitgestellt werden konnte. Aber warum war der Zeiger bei etwa „Fünf Minuten vor Zwölf “ stehen geblieben? Seidel stellt fest, dass der Zeiger auf der Welle des Uhrwerkes einem Schlupf ausgesetzt ist und stehen bleibt, wenn er auf mechanischen Widerstand stößt. Der etwas steife, durch das Zifferblatt gezogene Litzedraht reichte als Widerstand, um den Zeiger anzuhalten. Alle diese Messungen werden Bestandteil von Seidels Gutachten zur Funktionsfähigkeit der Sprengvorrichtung.

      Gemeinsam mit einem Team von Sprengstoffexperten und Kriminaltechnikern misst Seidel, welche Sprenggeschwindigkeit der im Koffer eingebaute Sprengsatz entwickeln könnte. Er nimmt einen baugleichen Topf und füllt ihn ebenso mit Sprengschnur und Sprengstoff wie im Original. Hinzu kommt ein Plastikbeutel, in dem ebenfalls die gleiche Art und Menge Sprengstoff ist. Dazu kommt die gleiche Menge Steine gleicher Beschaffenheit. Diesen Sprengsatz umgibt er mit Blechen, an denen Kontakte den Aufschlag registrieren. Am 1. September findet die Sprengung statt. Die Splittergeschwindigkeit beträgt 2666 Meter pro Sekunde. Das heißt, die Splitter des Topfes und die Steine fliegen nach der Explosion schneller als das Projektil einer Schusswaffe.

      

       Spezialisten des Landeskriminalamtes bauten die Kofferbombe nach und brachten sie kontrolliert zur Explosion, um die Wirkung zu testen. Das Fazit danach: Es hätte Tote geben können.

      Am Ende baut Seidel exakt die gleiche Bombe, wie sie auf Bahnsteig 14 im ALDI-Reisekoffer gefunden wurde. Es soll die Wirkung der Explosion festgestellt und dokumentiert werden. Das Experiment soll am 5. September auf dem Sprengplatz des Kampfmittelbeseitigungsdienstes in Jacobsthal bei Zeithain stattfinden und per Video dokumentiert werden. Drei Videokameras sollen den Versuch aus verschiedenen Richtungen festhalten – aber die Technik liefert keine Zeitlupe. Daran hatte Seidel nicht gedacht. Doch er will alle Phasen der Explosion exakt auf Video aufgezeichnet haben. Eine dafür notwendige Hochgeschwindigkeitskamera hat das sächsische Landeskriminalamt nicht. Seidel verschiebt den Versuch und bittet das Bundeskriminalamt um Hilfe, zwei Beamte aus Wiesbaden kommen mit der Superkamera nach Sachsen. Sie haben Sorge, dass ihr teures Gerät Schaden nehmen könnte. Deshalb wird eine Schutzscheibe aus Acryl davor aufgebaut. Die Kamera wird auf tausend Bilder pro Sekunde eingestellt, sie steht 50 Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Da sie jedoch nur eine Sekunde läuft, muss die Auslösung der Sprengung mit der Kamera synchronisiert werden. Die Techniker des BKA fragen Seidel, wie viele Versuche es denn geben solle. Seidel antwortet: „Wir haben nur einen Versuch, es muss beim ersten Mal klappen.“ Der Koffer wird mit 1,5 Millimeter dicken Stahlblechen in zwei Ringen umgeben. Der erste Ring steht im Abstand von einem Meter, der zweite Ring in 2,5 Meter Abstand. An den Blechen soll die Splitterwirkung festgestellt werden.

      Dann gehen alle Beteiligten in Deckung und Joachim Seidel zündet den Sprengsatz. Die Explosion entwickelt eine Druckwelle, die einige der Stahlbleche wegschleudert. Danach entwickelt sich im Abstand von Millisekunden ein Feuerball mit einem Durchmesser von etwa zehn Metern. Nachdem sich der Qualm verzogen hat, wird der Zustand der Stahlbleche dokumentiert. Sie sind deformiert, teilweise weggeschleudert. Bombensplitter haben alle Bleche durchlöchert. Die Splittergeschwindigkeit wurde mit 1090 Meter pro Sekunde gemessen. Für sein Gutachten zieht Seidel folgende Schlussfolgerung: Die Bombe hätte im Hauptbahnhof bei Menschen im Umkreis bis zu zehn Metern durch die Splitterwirkung tödliche Wirkung haben können, im größeren Abstand zumindest schwere Verletzungen verursacht.

      Obwohl seine Bombe im Hauptbahnhof nicht explodiert ist, bleibt auch der Erpresser und Bombenbauer während der Sommermonate nicht untätig. Am 13. August trifft wieder ein Brief von „Hannnibal“ bei der Deutschen Bank ein. Der Erpresser fordert nun wieder 50 Millionen Euro, bleibt jedoch bei seiner Gewinnspielvariante zur Übermittlung. Diesmal droht er: „Es gibt jetzt keine Pyrotechnik und unscharfe Koffergeschichten mehr!“ Die Ermittler der Soko „Bahnhof “ fragen sich, ob er an einer weiteren Bombe baut.

      Die Deutsche Bahn unterstützt die Ermittlungen so gut es geht. Sie setzt am 4. September 2003 eine Belohnung von 10.000 Euro für die Person aus, die brauchbare Hinweise auf den Bombenbauer gibt. Diese Auslobung führt schneller als gedacht zum Erfolg: Schon am 8. September trifft bei der Soko „Bahnhof “ eine Nachricht vom Bayerischen Landeskriminalamt ein. Die Kollegen in München berichten, einer ihrer V-Männer hätte Namen und Wohnort des Mannes genannt, der die Bombe gebaut und im Dresdner Hauptbahnhof deponiert habe. Es sei ein alter Bekannter von ihm und er sei sich ziemlich sicher. Der Mann heiße Ulrich Vogel und wohne in der Nähe von Auerbach.

      Ertle, Silex und die anderen Ermittler fragen sich: Ist das wirklich ein brauchbarer Hinweis oder will sich hier nur jemand wichtig tun? Wird da vielleicht ein Mann angeschwärzt, um alte Rechnungen zu begleichen? Aber auch alle Spuren, die die Soko bisher hat, führen nach Westsachsen, ins Vogtland oder nach Nordbayern. Und Auerbach liegt im Vogtland. Die Beamten beschließen, sich mit diesem Ulrich Vogel näher zu beschäftigen. Wer ist dieser Mann?

      Ulrich Vogel ist 62 Jahre alt, selbständiger Immobilien- und Finanzmakler und wohnt in seinem eigenen Haus in Ellefeld bei Auerbach auf der Hauptstraße 11.

      Er hatte 1956 die DDR in Richtung Bundesrepublik verlassen und war Anfang der 90er Jahre ins Vogtland zurückgekehrt. Ihm und seiner Schwester wurden zwei enteignete Häuser zurück übertragen, die er in den folgenden Jahren sanieren ließ. Vogel ist gelernter Werkzeugmacher und hat einen Fachhochschulabschluss im Bereich Maschinenbau und Konstruktionstechnik. Er ist unverheiratet, soll aber eine Freundin in Hessen haben. Die Fassade des ehrbaren Geschäftsmannes bröckelt jedoch bei einer Anfrage im Bundeszentralregister. Dort erfuhr die Staatsanwaltschaft: Ulrich Vogel ist mehrfach vorbestraft. Seit 1970 ist er in neun Fällen schuldig gesprochen und verurteilt worden, unter anderem wegen Diebstahls, Steuerhinterziehung und Verstoßes gegen das Waffengesetz. Im Jahr 1989 verurteilte ihn das Amtsgericht Wiesbaden zu drei Monaten auf Bewährung wegen Erwerbs explosiver Stoffe. Diese Erkenntnisse lassen die Ermittler aufhorchen, sie sind an sich jedoch noch kein Beweis. Rüdiger Ertle und Alexander Silex glauben trotzdem, eine ganz heiße Spur zu haben. Dieser Ulrich Vogel aus Ellefeld könnte ihr Täter sein!

      Ermittler der Soko „Bahnhof “ klappern unterdessen Geschäfte und Märkte in Westsachsen nach einem weiteren Vergleichsstück des Weckers aus dem Koffer ab. Sie werden im Kaufland Auerbach fündig. Am 12. September kaufen die Beamten für 1,49 Euro den gleichen blauen Reisewecker „Made in China“ und nehmen ihn zu den Beweisstücken.

      Die Soko zieht ein Resümee ihrer Herkunftsermittlungen zum Kofferinhalt. Die Steine stammen aus Westsachsen und dem Nordosten Bayerns. Die Pappe vom Kalender ist in Amtsberg bei Zschopau oder in Hof verkauft worden. Die Schraubgläser stammen von Aldi-Nord und Aldi-Süd, deren Grenze verläuft genau zwischen Sachsen und Bayern bzw. Thüringen und Bayern. Es deutet vieles auf einen Wohnort in Westsachsen oder Nordbayern hin.

      Das Landeskriminalamt Sachsen löst am 18. September 2003 eine Recherche in der Falldatei des Bundeskriminalamtes aus. Als Recherchekriterien geben die sächsischen Ermittler vor: Vorbestraft wegen illegalem Waffenbesitz, Sprengstoffdelikten, Erpressung oder Nötigung, wohnhaft in Nordbayern oder Westsachsen. Das Ergebnis der Recherche liegt am 19. September vor. Der Computer des BKA hat insgesamt 102 Personen gefunden, die diese genannten Kriterien erfüllen. Nur eine Person von den 102 lebt im Vogtland: Ulrich Vogel in Ellefeld.

      Am selben Tag trifft ein neuer Brief von „Hannnibal“ bei der Deutschen Bank in Frankfurt am Main ein. Der Verfasser fordert wieder 50 Millionen Euro und droht mit Konsequenzen. Wörtlich schreibt er: „Sie wollen es also auf die harte Tour!“. Ertle und Silex fragen sich, ob der Erpresser an einer weiteren Bombe baut. Wird

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