Das Gemeindekind. Marie von Ebner-Eschenbach

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Das Gemeindekind - Marie von Ebner-Eschenbach Reclams Universal-Bibliothek

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aus und stellte dieselben vor Pavel hin. »Da hast sie, Geizhals! Ich brauch sie nicht! – ich brauch nur dem Peter ein Wort zu sagen, so kauft er mir andere, viel schönere.«

      Pavel brüllte förmlich auf: »Nein, nein! nimm die meinen, behalt sie, ich schenk sie dir. Nur geh nicht mehr mit dem Peter … Versprich’s!« Er fasste sie an den Achseln und schüttelte sie, dass ihr Hören und Sehen verging: »Versprich’s, versprich’s!«

      »Sei ruhig – ich verspreche es«, antwortete Vinska; doch war der Ton, in dem sie es sagte, so wenig überzeugend, und es flog ein so seltsamer Ausdruck über ihr Gesicht, dass Pavel die Faust ballend drohte: »Nimm dich in Acht!«

      6

      Die nächste Woche brachte viele Regentage, und an jedem trüben Morgen packte Pavel seine Schulsachen zusammen und ging zum Gelächter aller, die ihm auf dem Wege dahin begegneten, in die Schule. Dort saß er, der Einzige seines Alters, unter lauter Kindern und immer auf demselben Platz, dem letzten auf der letzten Bank. Anfangs tat der Lehrer, als ob er ihn nicht bemerke; erst nach längerer Zeit begann er wieder, sich mit ihm zu beschäftigen. Einmal, als die Stunde beendet war, die Stube sich geleert hatte, Pavel [46]aber fortzugehen zögerte, fragte ihn der Lehrer: »Was willst du eigentlich? In deinem Beruf kannst du dich bei mir nicht ausbilden.«

      Pavel machte verwunderte Augen, und der Lehrer fuhr fort: »Hast du mir nicht gesagt, dass du ein Dieb werden willst? Nun, Unglücksbub – Unterricht im Stehlen geb ich nicht.«

      Dem Pavel schwebte schon die Antwort auf der Zunge: Darum ist mir’s auch nicht zu tun, versteh’s ohnehin. Aber er bezwang sich und sagte nur: »Lesen und Schreiben möcht ich lernen.«

      »Zur Not kannst du’s ja.«

      »Just zur Not kann ich’s nicht.«

      »Musst dir halt Müh geben.«

      »Geb mir Müh, kann’s doch nicht.«

      »Gib dein Buch her.«

      Pavel schüttelte den Kopf: »Aus dem Buch kann ich’s schon, aber da –« er fuhr mit der Hand, die heftig zitterte, zwischen sein Hemd und seine Brust und zog einen zerknitterten Brief hervor, »da hat mir der Bote etwas von der Post gebracht …«

      »Geschriebenes? Ja so! das ist freilich eine andere Sache, da würde ich wohl selber Mühe haben.«

      Sein Scherz reute ihn, als Pavel denselben für Ernst nahm und zum ersten Male im Leben demütig sprach: »Ich möcht den Herrn Lehrer doch bitten, dass er’s probiert.«

      Pavel küsste, wenn man so sagen darf, das Blatt mit den Augen und reichte es dem Alten hin, sorgfältig, ängstlich, wie ein leicht zu beschädigendes Kleinod.

      Der Lehrer entfaltete es und überflog die Zeilen: »Es ist ein Brief, Pavel – und weißt du von wem?«

      [47]»Er wird von meiner Schwester Milada sein, aus dem Kloster.«

      »Nein, er ist nicht von deiner Schwester aus dem Kloster.«

      »Nicht?«

      »Er ist von deiner Mutter aus dem –« er stockte, und der Bursche ergänzte mit plötzlich veränderter Miene und rauer Stimme: »Aus dem Zuchthaus.«

      »Willst du ihn hören?«

      Pavel hatte den Kopf sinken lassen und antwortete durch ein stummes Nicken.

      Der Lehrer las:

      »Mein Sohn Pavel!

      Vor drei monat habe ich Meine feder an das papier gesetzt und meiner Tochter Milada einige Parzeilen in das Kloster geschrieben meine Tochter Milada hat sie aber nicht bekommen die Klosterfrauen haben Ihr ihn nicht gegeben sie haben Mir sagen lassen das beste ist wenn sie von der mutter nichts hört so weiß Ich nicht ob Ich recht tu wenn Ich dir schreibe Pavel mein lieber sohn mit der bitte dass du mir antworten sollst ob meine Parzeilen dich und Milada deine liebe schwester in guter gesundheit antreffen was Mich betrifft ich bin gesund und so weit zu frieden in meinem platz.

      deine Mutter.

      Meine zwei kinder tag und nacht Bete Ich für euch zum Liebengott glaube auch dass meine tochter Milada eine kleine klosterfrau werden wird wenn es die Zeit sein wird und arbeite fleißig hier imhause was mir zurückgelegt wird für meine kinder …

      [48]In sechs Jahren mein lieber sohn Pavel werde ich wieder Nachhaus kommen und bitt euch noch dass ihr manchesmal inguten an die Mutter denkt die ärmste auf der welt.«

      Die Lettern des Briefes waren steif und ruhig hingemalt, bei der Nachschrift hatte die Hand gezittert; große matte Flecken auf dem Papier verrieten, dass sie unter Tränen geschrieben worden waren. Mit Mühe entzifferte der Vorleser die halb verwischten Züge, und ihn ergriff die Fülle des Leids und der Liebe, die sich in dieser armseligen Kundgebung aussprach.

      »Pavel«, sagte er, »du musst deiner Mutter sogleich antworten.«

      Der Junge hatte sich abgewendet und starrte finster zu Boden. »Was soll ich ihr antworten?« murmelte er.

      »Was dein Herz dir eingibt für die unglückliche Frau.«

      Pavel verzog den Mund: »Es geht ihr ja gut.«

      »Gut, du dummer Bub? gut im Kerker?«

      Der alte Mann geriet in Eifer, er wurde warm und beredsam; die schönen und vortrefflichen Dinge, die er sagte, ergriffen ihn selbst, ließen Pavel jedoch kühl. Er hatte auf die Vorstellungen des Lehrers zwei Antworten, die er hartnäckig wiederholte, ob sie passten oder nicht: »Sie sagt ja selbst, dass es ihr gut geht«, und: »Die Schwester schreibt ihr nicht, warum soll ich ihr schreiben?«

      »Hast du denn gar kein Gefühl für deine Mutter?« fragte der Lehrer endlich.

      »Nein«, erwiderte Pavel.

      Der Alte schüttelte sich vor Ungeduld: »Ich denk der Zeit, wo du ein Kind warst«, sprach er, »und brav unter der Obhut deiner braven Mutter, die dich zur Arbeit angehalten [49]hat … Glotz du nur! – Brav und rechtschaffen, sag ich. Das war sie; aber leider gar zu geschreckt und immer halb närrisch aus Angst vor dem niederträchtigen … Na!« unterbrach er sich – »jeder Mensch hat Mitleid mit ihr gehabt, sogar den Richtern hat sie Erbarmen eingeflößt, nur du, ihr Sohn, bist mitleidlos gegen sie. Warum denn, warum? Ich frage dich, gib Antwort, sprich!« Er schob die Brille in die Höhe und näherte die kurzsichtigen Augen dem Gesichte Pavels. In den Zügen desselben malte sich ein eiserner Widerstand; aus den düsteren Augen funkelte ein Abglanz jener Entschlossenheit, die, auf eine große Sache gestellt, den Märtyrer macht. –

      Der Alte seufzte, trat zurück und sagte: »Geh, mit dir ist nichts anzufangen.« Als Pavel schon an der Tür war, rief er ihm aber doch Halt zu: – »Eins nur will ich dir sagen. Es ist dir nicht alles eins; ich hab es bemerkt, wenn die Leute dich schimpfen; eine Zeit kann kommen, in welcher du froh wärst, gut zu stehen mit den Leuten, und gerne hören möchtest: In seiner Jugend war der Pavel ein Nichtsnutz, aber jetzt hält er sich ordentlich. Für den Fall merk dir, merk dir, Pavel«, wiederholte er nachdrücklich, und eine schwache Röte schimmerte durch das fahle Grau seiner Wangen: »Mach dich nicht zu deinem eignen Verleumder. Das Schlechte, das die andern von dir aussagen, kann bezweifelt, kann vergessen werden; du kannst es niederleben. Das Schlechte, ja sogar das Widersinnige

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