Die Meyerschen – Geschichte in Geschichten. Werner Hetzschold
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Glücklich ist er. Heiß brennt die Sonne. Bei diesen Temperaturen fühlt er sich unschlagbar. Er weiß, er wird ein gutes Rennen laufen, vielleicht seine persönliche Bestzeit. Er kennt seinen Körper. Er schaut sich um. Vor ihm viele Läufer, hinter ihm nur wenige. Er weiß, es ist unklug, sich hinten zu platzieren. Bei den so genannten Volksläufen gibt es keine feststehende Aufstellung. Hier darf sich jeder so positionieren, wie er sich persönlich einschätzt. Er fühlt sich stark. Er hat trainiert, fast täglich, auch kontinuierlich an den Wochenenden. Er spürt, er ist in bester Form, auch wenn ihm bewusst ist, seine früheren Bestzeiten wird er nie mehr erreichen. Er weiß, er kann sich leistungsmäßig nicht mehr steigern. Er ist über Fünfzig. Seinen persönlichen Zenit hat er längst überschritten. Je älter er wird, desto mehr baut er ab. Aber heute will er allen noch einmal beweisen, was in ihm steckt. Lange hat er sich nicht mehr so leistungsstark gefühlt wie heute. Heute wird er seinen Altersrekord übertreffen. Er wird laufen, nur laufen, bis zur völligen Erschöpfung. Er will wissen, was er zu leisten noch imstande ist. Er will wissen, wer er ist, was in ihm steckt, auch im Sport. Er verlässt seinen Platz, übernimmt die Rolle des Schlusslichtes. Er ist überzeugt, einige werden dieses Verhalten als Eitelkeit deuten. Er weiß, wer als letzter startet, kann sich nur verbessern oder seinen Platz verteidigen. Aus dem kleinen Jungen aus den Meyerschen ist ein alter Mann geworden, der viel erlebt hat, privat und beruflich, der zeit seines Lebens ein Zugereister, ein Fremder, ein Ausgegrenzter war, ganz gleich, wo er seine Zelte aufgeschlagen hatte. Wenn vom Klimawandel die Rede ist, fallen Jan die Geschichten seines Großvaters ein. »Das hat es schon immer gegeben. Zumindest solange es unseren Planeten gibt, gibt es Veränderungen. Alles ist in Bewegung, nichts bleibt so, wie es einmal war. Erst bekamen die chemischen Prozesse diese ständigen Veränderungen zu spüren; seitdem es Lebewesen gibt, waren auch diese von den sich immer wiederholenden Veränderungen betroffen«, lehrte mich der Großvater. »Und das hat sich bis heute nicht verändert und wird sich auch nicht ändern, solange unser Planet um die Sonne kreist.« Ein kluger Mann war sein Großvater. Er kannte das Leben, hatte viel erlebt. Und nur überlebt, weil er vorsichtig war wie die Tiere. Jan entsinnt sich der Worte des großen Jungen, der dem kleinen Jungen sagte: »Er hat an deiner Nasenspitze erkannt, dass du ein Fremder bist, ein Zugereister, ein Zugewanderter. Genauso wie die Türkentauben!« Jetzt wusste Jan, dass er für viele ein Fremder war wie die Türkentaube.