Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Sibylle Berg

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Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot - Sibylle  Berg Reclam Taschenbuch

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      Ich esse nichts. Ab und zu esse ich Äpfel. Aber von denen wird mir inzwischen schlecht. Mir wird schlecht, wenn ich irgendwas Fremdes in mir habe. Vor ein paar Tagen bin ich mit einem Jungen mitgegangen, der hier wohnt. Wir waren in seinem Zimmer. Das war total staubig, und überall standen voll häßliche Pokale rum. Und dann hatte er ein Poster von so einer dicken Frau an der Wand. Pamela Anderson. Eigentlich hätte ich da schon wieder gehen sollen, wenn einer so dicke Frauen gut findet. Aber ich bin geblieben, weil er sich schon ausgezogen hat, und ich nicht wußte, wie ich sagen soll, daß ich doch besser gehe. Ich bin mitgegangen, weil ich dachte, es wäre ganz gut, in einem Bett zu schlafen, und weil ich sowieso keine Idee hatte, wo ich hingehen sollte. Weil es egal ist, wo ich hingehe. Der Junge hat mich nicht groß angefaßt. Wir haben nicht geredet. Ich weiß nicht, worüber ich mit einem Jungen so reden soll. Er hat es gemacht. Als er schlief, bin ich wieder weggegangen. Draußen war es noch ganz still. Ganz früh morgens in so einem kleinen Kaff am Meer. Ich dann so durch die leeren Straßen.

      Ich laufe. Wenn ich mich nicht bewege, dann sitze ich da und muß nachdenken, und dann habe ich das Gefühl, ich kann die Gedanken nicht im Kopf festhalten. Wenn ich mich bewege, ist es O. K.

      Aber ich muß schnell gehen. Wenn mich Leute ansehen, sehe ich weg.

      Ich war in einem Tierheim. Ich wollte einen Hund haben. Einen kleinen Hund. Ich dachte mir, es wäre schön, wenn er neben mir herlaufen würde. Ich könnte abends ein Lagerfeuer machen und Mundharmonika spielen. Der Hund hätte seinen Kopf auf meinen Beinen und würde mir zuhören. Und dann würden wir zusammen in den Schlafsack gehen, und ich würde sein Herz schlagen hören.

      Da war auch ein Hund. Er saß in einem Käfig. Er war ganz dünn. Wir haben uns in die Augen gesehen. Das war mein Hund.

      Aber sie haben ihn mir nicht gegeben. Als ich weggegangen bin, hat der Hund gejault. Ich wollte so gerne weinen, wegen dem Hund. Das ging aber nicht.

      Ich sitze am Meer. Es ist schon dunkel. Wenn ich viel laufe, werde ich noch dünner. Ich trinke abends immer Rotwein. Manchmal auch schon morgens. Dann ist mir nicht so kalt. Ich friere auch, wenn die Sonne scheint. Die scheint kaum. Es ist ja schon Herbst. Wenn ich Rotwein trinke, dann ist auch alles schön weich, und es macht total Sinn, daß ich weggefahren bin. Ich sehe mir die Wellen an, die in der Dunkelheit kommen. Sie kommen ganz klein und leise und dann werden sie groß und brüllen.

      Möcht ich irgendwie auch. Aber ich trau mich das

      nicht.

      HELGE geht ins Hotel

      Ich gehe ins Hotel. Wie jeden Abend. Wie jeden Abend, außer Dienstag und Mittwoch. Ich werde da, wie jeden Abend, Klavier spielen. Was sind Sie von Beruf? Pianist. Ah, interessant, in welchem Orchester, wenn man fragen darf? Oh, Sie dürfen. Im Marriott. Äh, was ist das? Das ist ein Hotel. Mit einer Bar und ich bin der gottverdammte Barpianist. Äh, oh. Interessant.

      Nein, Sie Arschgesicht, das ist nicht interessant. Das ist einfach nur Scheiße. Jeden Abend das Lied des eigenen Versagens spielen zu müssen kann ja nun wirklich nicht spannend sein.

      Ich werde erst all die Lieder spielen, die sie hören wollen. Und wenn sie betrunken sind, werde ich meine Lieder spielen. Spiel ich meine Lieder, wenn sie noch nüchtern sind, dann kann es sein, daß sie anfangen, ganz laut zu reden. Oder ein Mann mit rotem Gesicht »aufhören« brüllt. Und dann hör ich auf und spiele Karel Gott und so. Wenn sie dann betrunken sind, wird eine Frau an mein Klavier kommen. Vorher wird sie mir ein paar Getränke ans Klavier bringen lassen. Süße Cocktails. Die ich nicht mag. Ums Verrecken nicht. Aber ich werd die trinken, ich hab es mal nüchtern machen wollen. Da ging es nicht, und danach mußte ich mich erst recht betrinken. Also, trink ich diesen süßen Scheiß. Eine kommt immer. Sie sehen meistens aus, wie das Zeug, das sie mir ans Klavier bringen lassen. Ohne Kontur. Die Frau ist also angetrunken. Sie war auf einer Messe oder etwas ähnlich Nutzloses und sie ist alt. Sie ist alt für eine Frau, die sich mit ein paar Gläsern Alkohol nicht unter Kontrolle hat. Und sie hat mich die ganze Zeit angesehen. Sie hat meine wundervollen Hände angeguckt und sich vorgestellt, wie die über ihren blöden Körper wandern. Und dann steht sie am Klavier und ist nervös. Wir dann später an die Bar und erst mal ordentlich was getrunken. Dann sagt sie irgendwann, daß sie müde ist, auf ihr Zimmer will. 65 sagt sie. Und ich lächle sie an. Später, nicht zu spät, weil sonst ist sie eingeschlafen, so betrunken, wie sie ist, gehe ich auf Zimmer 65. Ich klopfe und sie macht auf. Ganz rot im Gesicht. Und dann sitzen wir auf dem Bett, und sie ist ganz heiß. Ich bring sie dann dazu, daß sie mir Geld anbieten. Oh, gnädige Frau, ich würde gerne bei Ihnen bleiben, aber der Verdienstausfall, Sie verstehen schon, ich werd ja fürs Spielen bezahlt. Fürs Klavierspielen. Und so laber ich, und die Damen sind schon so weit gegangen, daß sie nicht mehr zurückkönnen. Alle haben mir bis jetzt Geld gegeben. Und ich habe es genommen. Nicht weil ich es brauche. Ich weiß nicht, was ich mit Geld soll, außer es zu vertrinken. Nein, ich nehm das Geld, weil es konsequent ist. Wenn ich schon nichts anderes hinkriege, dann will ich wenigstens konsequent Scheiße bauen.

      VERA geht ins Büro

      Ich gehe ins Büro. Wie jeden Morgen. Ein kurzer Weg. Ein kleines Stück durch so eine städtische Grünanlage. Wo ich mir denke, jeden Morgen, es müßte richtig lässig sein, nicht ins Büro gehen zu müssen. Mich hinzusetzen. Unter einen Baum und ein Buch auspacken. Lesen, aber eher gucken, wie die anderen ins Büro gehen. Dann, wenn alle gegangen sind, aufstehen und irgendwo ganz anderes hinlaufen. Kaffee trinken und rauchen und vielleicht einfach nur warten, bis die anderen aus dem Büro kommen, in Richtung Abend. Dann denen die Kippe vor die Füße werfen. Ich weiß nicht, wer mein Leben eingerichtet hat. Vielleicht ist es beschissen, weil ich so früh ein Kind gekriegt habe. Vielleicht ist es aber auch nur beschissen, weil Leben beschissen ist. Und jetzt muß ich ins Büro. Mir ist nicht klar, wozu das gut ist. Das einzige, worauf ich mich freue, ist diese Idee, die mich dort erwartet. Die geht so, die Idee … Also, da kommt der Chef ganz aufgeregt ins Büro, weil er total wichtigen Besuch kriegt. Einen Multimillionär aus Brasilien. Wegen irgendwelcher Verträge. Und dann sagt der Chef: Ruhe meine Damen und frischen Kaffee, wenn ich bitten darf, Fräulein Vera. Ich dann rein ins Chefzimmer, mit dem Kaffee. Und da sehe ich diesen Mann. Der ist total schön. Wie Rutger Hauer sieht der aus. Ich habe keine Ahnung, ob Brasilianer so aussehen können wie Rutger Hauer. Auf jeden Fall fange ich direkt an, mit dem Mann zu küssen. Mein Chef bekommt einen Herzanfall und stirbt. Ich fahre mit dem Mann im Fahrstuhl, und dort vereinigen wir uns das erstemal. Das ist so, wie es im richtigen Leben noch nie war. Naja, um es kurz zu machen, ich fahre dann mit ihm auf seine Hacienda. Und das kann man sich ja vorstellen, daß das eine Idee ist, die für eine lange Zeit reicht. Meistens bin ich ziemlich traurig, wenn ich aufhören muß zu träumen. Manchmal denk ich, es wäre total gut, an irgendwas glauben zu können. An eine politische Idee oder so. Aber heute glaubt kaum wer noch was. Alle Leute laufen bloß noch so rum und warten darauf, daß ihnen jemand eine Idee gibt. Da sind auch Ideen, aber so richtig fehlt denen die Notwendigkeit. Und darum warten alle. Die Menschen, die ich kenne, sind entweder esoterisch geworden oder familiär. Unglücklich sind sie alle. Ich geh ins Büro. Ich werde erst mal Kaffee trinken, und dann werde ich an den Mann denken, der alles ändert.

      RUTH schminkt sich

      Ich habe mich schon immer geschminkt. Der Lippenstift ist blutrot. Nur die Lippen sind nicht mehr da. Die sind irgendwann einfach weggegangen. Vielleicht haben die Mundwinkel sie verjagt. Als die immer fester wurden. Und sich nach unten verzogen. Ich trage Make-up auf, es bleibt in den Falten meines Gesichts hängen. Ich sehe mein Gesicht damals. An diesem Morgen. Damals, in Paris. Im Hotelbett hinter mir schlief Wolfgang. Es war unser erstes Wochenende zusammen. Es hatte diesen Nebel draußen, den nur Herbste bringen. Ich sah auf die zinnfarbenen Dächer und wußte absolut nicht, was ich machen sollte, vor Glück. Ich zog mich also an und ging raus. Es war noch kühl. Ich saß in einem Straßencafé

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