Janowitz. Rolf Schneider
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Rolf Schneider
Janowitz
Roman
Erste Auflage 2021
© Osburg Verlag Hamburg 2021
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Lektorat: Bernd Henninger, Heidelberg
Umschlaggestaltung: Therese Schneider, Berlin
Satz: Hans-Jürgen Paasch, Oeste
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-95510-256-2
eISBN 978-3-95510-265-4
WIESE IM PARK
(Schloss Janowitz)
Wie wird mir zeitlos. Rückwärts hingebannt
weil’ ich und stehe fest im Wiesenplan,
wie in dem grünen Spiegel hier der Schwan.
Und dieses war mein Land.
Die vielen Glockenblumen! Horch und schau!
Wie lange steht er schon auf diesem Stein,
der Admiral. Es muss ein Sonntag sein
und alles läutet blau.
Nicht weiter will ich. Eitler Fuß, mach Halt!
Vor diesem Wunder ende deinen Lauf.
Ein toter Tag schlägt seine Augen auf.
Und alles bleibt so alt.
Karl Kraus
Inhalt
Der Zug fuhr vorüber an den letzten Vorstadthäusern von Prag. Rilke sah sie, hinter dem Fenster, hinter dünnen Schlieren weißgrauen Dampfes der Lokomotive, die flüchtig das Glas beleckten. Er sah niedrige, von Moos besetzte Ziegeldächer und verwilderte Gärten. Auf den Blättern der Bäume lag flimmernde Nachmittagssonne. Der Himmel war blank.
Er hatte das Abteil für sich allein, was ihm sehr behagte. Er reiste gerne und reiste gerne allein. Die Strecke hier war ihm vertraut, böhmisches Hügelland, mit Wiesen, Feldern und Gebüschen, eine anmutige Szenerie, die er, aber das war lange her, in Versen beschrieben hatte. Dann unterbricht nur hier und da ein Baum die falbe Fläche hoher Ährenfelder. Frühe Texte. Sie waren, das wusste er, nicht vollkommen. Andere Gedichte des damaligen Bandes benannten Einzelheiten von Prag, Gebäude, Gotteshäuser, den Fluss, eine Brücke, dazu Stimmungen, Ereignisse, Personen, darunter die seiner Mutter. Sie lebte längst nicht mehr in Prag.
Er selbst kam inzwischen bloß noch gelegentlich in diese Stadt, wie eben jetzt, aus Anlass einer Lesung. Das Publikum war nicht groß gewesen, überwiegend Frauen, erkennbar wohlhabend und die meisten nicht mehr jung. Er hatte aus seinen Dinggedichten gelesen und aus seinem Roman. Er hatte parfümierte Hände gedrückt, Auskünfte gegeben, Schmeicheleien vernommen und seine Zuneigung zu Prag und zu Böhmen bekundet, die er, da er sie aussprach, als völlig wahrhaftig empfand. Aber liebte er diese Stadt? War es nicht vielmehr Hass, was er für sie fühlte? Ein Begriff wie Hass war seinem Wortschatze fremd. Er stammte aus Prag, er war dort aufgewachsen, war, nach seinen Internatsjahren, dorthin zurückgekehrt, er hatte dort Verse verfasst, sie öffentlich vorgelesen und zum Druck gegeben, hatte Pläne verfolgt und seine erste große erotische Passion dort erlebt. Das Kind René Maria. Gestern am Nachmittag war er noch, vor der abendlichen Veranstaltung, die einst vertrauten Wege schaudernd abgeschritten, Heinrichsgasse, Wenzelsplatz, Wassergasse, Graben, das Haus mit der Wohnung der Mutter, das Haus mit der Wohnung des Vaters, das Haus mit der Wohnung von Onkel Jaroslav, dem er damals einiges zu verdanken gehabt hatte, der angesehen gewesen war, als Anwalt und Politiker, den der Kaiser für seine Verdienste nobilitiert hatte. Das »von« im Namen, dazu der Titel Ritter. Er selbst hätte beides gerne getragen, er hatte viel Mühe darauf verwendet, unter seinen Vorfahren einen Adeligen zu finden, vergeblich, dabei war er sicher gewesen und war es immer noch, dass es einen ebensolchen gegeben habe.
Vor dem Abteilfenster hing die gleichbleibende Landschaft, höchst ansehnlich und ein wenig monoton. Der Samt der Polster roch schwach ranzig, nach altem Tabak, offenbar hatten vor ihm Raucher hier gesessen, er selbst nahm kein Nikotin.
Er fuhr jetzt nicht nach Lautschin, jenes andere böhmische Schloss, das er gut kannte, da er dort zu Gast gewesen war. Derzeit lebte dessen Besitzerin anderswo, in Paris oder Venedig oder Duino. Wenn sie sich in Lautschin aufhielte, hätte sie ihm ihr Automobil mit Chauffeur geschickt. Der Reichtum der Prinzessin war immens, so wie ihr Adel uralt war: geborene Prinzessin Marie Elisabeth Karoline zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst, eingeheiratet in die böhmische Linie der Thurn und Taxis. Sie war zwanzig Jahre älter als er, Mutter von drei Kindern und eine Person von äußerstem Kunstsinn, sie nannte ihn Dottor serafico, sie verwöhnte ihn, was er mit ausführlichen Briefen und hochgestimmten Versen zu erwidern wusste. Die Prinzessin hatte ihm ihr Schloss hoch über der Adria überlassen, für ein halbes Jahr, dass er sich dort seinen Elegien widmen konnte, dreien bislang, die Arbeit daran stockte, nun schon im zweiten Jahr, vielleicht war Janowitz der Ort, an dem er sie fortzusetzen vermochte.
Der Adel der Nádherný von Borutín war nicht so alt wie jener der Thurn und Taxis, kaum älter als der des Onkels Jaroslav, und auch der Reichtum der Nádhernýs