Janowitz. Rolf Schneider

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Janowitz - Rolf  Schneider

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um jene politische Initiative, über die seit mehreren Tagen spekuliert wurde. Die Ermordung des Kronprinzen lag inzwischen fast einen Monat zurück. Dass die Serben sich zu keinerlei Maßnahme entschlossen hatten, war ebenso merkwürdig wie die vierwöchige Zurückhaltung Österreich-Ungarns. Der alte Kaiser weilte, wie um diese Jahreszeit üblich, in Bad Ischl, seinem Sommeraufenthalt. Dies ließ sich als ein Zeichen prinzipieller Friedfertigkeit deuten. Zugleich war zu lesen von auffälligem Kommen und Gehen höchstrangiger Regierungsleute bei Franz Joseph, der seinen Aufenthalt im Salzkammergut jederzeit abbrechen konnte.

      Charlie legte die Zeitung beiseite. Er nahm seine Tabakspfeife und stopfte sie. Er dachte an das Gespräch, das er mit May-May über die politische Situation geführt hatte. Der Krieg war nun wahrscheinlicher geworden. Was, wenn er tatsächlich ausbrach? Aktiv würde er, Charlie, daran nicht teilnehmen können, da er keinerlei militärische Ausbildung besaß.

      Musste er sich deswegen grämen? Er war eine friedfertige Natur. Seine Familie stand allem Soldatischen eher fern. Mit ihrem slawischen Herkommen hatte das wenig zu tun, der auf staatliche Eigenstaatlichkeit drängende Radikalismus der Jungtschechen war ihr fremd. Er selbst hatte in Graz studiert, Rechtswissenschaften, er war dort promoviert worden und hatte danach in einem Prager Amtsgericht gearbeitet, für einige Zeit, bis er der Bitte seines Bruders Johannes nachkam, an der Verwaltung von Janowitz mitzuwirken. Er war Jurist, und Juristen waren patriotische Gesellen.

      Karl Kraus kam vorbei, sah die Zeitung und fragte, ob er sie lesen dürfe. Natürlich durfte er.

      Ich hasse das Blatt, sagte Kraus. Um es hassen zu können, muss ich es ausführlich zur Kenntnis nehmen.

      Sie reden von Hass?

      Ja. Der muss produktiv machen. Sonst ist es gleich gescheiter, zu lieben.

      Kraus griff nach der Zeitung und hielt sich die Titelseite nahe an die kurzsichtigen Augen.

      Oh, sagte er. Ziemlich dramatisch, was ich lese. Schlampig formuliert, so wie immer.

      Es könnte zum Krieg kommen, sagte Charlie. Oder sehen Sie das anders?

      Ich sehe es nicht anders.

      Vielleicht brauchen wir diesen Krieg?

      Das ist nicht Ihr Ernst.

      Ich denke darüber nach. Vielleicht brauchen wir so was wie einen Aufbruch.

      Einen Aufbruch? So. Und was soll er uns bringen? Die Erlösung? Den Untergang?

      Um das zu erfahren, müsste man ihn angehen.

      Auch wenn es den Kopf kostet?

      Krieg hat immer mit Tod zu tun hat.

      Vorgefasstes Töten heißt Morden. Die Mörder sitzen an der Kassa der Weltgeschichte, sozusagen, sie nehmen Siege ein und notieren den Umsatz in Blut. Wenn dieser Krieg ausbricht, lieber Charlie, werden wir alle auf einem blutigen Schlachtfeld aufwachen.

      Charlie hätte hier antworten können, dass der Krieg vielleicht eine nationale Prüfung sei. Alles Kranke, Überflüssige, Verderbte, das existiere, könne durch ihn beseitigt werden. Er stärke die Kräfte. Er setze neue Ziele. Er schaffe ein anderes Bewusstsein. Das alles sagte Charlie nicht. Im Disput war er Kraus unterlegen. Der war gegen diesen Krieg, und vielleicht war er gegen jeden Krieg. Wie in allen seinen Haltungen und Meiningen verhielt er sich auch hier wieder radikal.

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