Wissenschaftsethik. Thomas Reydon

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Wissenschaftsethik - Thomas Reydon

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für die zerstörerischen Folgen dessen Anwendung verantwortlich. Diesbezüglich ist eine wichtige Frage, ob einzelnen Wissenschaftlern oder der wissenschaftlichen Gemeinschaft tatsächlich eine solche Verantwortung zugesprochen werden kann: Kann die Wissenschaft in einer sinnvollen Weise für die Opfer der im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Atombomben oder für den auf den Zweiten Weltkrieg folgenden nuklearen Rüstungswettlauf verantwortlich gehalten werden? Oder ist nicht sie, aber die Gesellschaft selbst für diese Folgen verantwortlich? Und wie steht es um die Risiken der Gentechnologie? Diesbezüglich haben mehrere Autoren darauf hingewiesen, dass die Wissenschaft zumindest eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber dafür hat, der Gesellschaft bei der Entscheidungsfindung über die Implementierung solcher Technologien beratend zur Seite zu stehen (siehe dazu Kapitel 5).

      Der vierte Arbeitsbereich der Wissenschaftsethik ist, mit einem Begriff des Wissenschaftsphilosophen Paul Hoyningen-Huene, die Sozialphilosophie der Wissenschaft (Hoyningen-Huene, 2009, S. 11–13; Hoyningen-Huene und Tarkian, 2010, S. 3030). Hier steht, so Hoyningen-Huene (2009, S. 13; Hoyningen-Huene und Tarkian, 2010, S. 3030), die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft im Mittelpunkt. Die Fragen, die in diesem Arbeitsbereich erörtert werden, beziehen sich u. a. auf die Selbstbeschränkung der Forschungsfreiheit durch die wissenschaftliche Gemeinschaft, z. B. wenn es um Forschungsprojekte geht, deren Ergebnisse gravierende negative soziale Effekte herbeiführen könnten. Auch wäre eine im Rahmen dieses Arbeitsbereichs zu verortende Frage, ob sich die Wissenschaft als „Dienerin der Menschheit“ sehen sollte – d. h., inwiefern sie ihre Forschungsthemen auf die Bedürfnisse der Gesellschaft ausrichten sollte oder sich autonom ihre Forschungsziele setzen kann. Diesbezüglich überlappt sich dieser Arbeitsbereich zumindest teilweise mit dem oben angesprochenen dritten Arbeitsbereich.

      Der erste Bereich der Wissenschaftsethik soll im vorliegenden Buch nicht angesprochen werden, da für diesen Arbeitsbereich primär einige der anderen Bereichsethiken innerhalb der Ethik, wie die Bioethik und die Medizinethik, zuständig sind. Die Frage, wie mit Versuchspersonen in der Medizinforschung (Patienten in klinischen Studien) umgegangen werden soll, ist vielmehr eine medizinethische als eine allgemein wissenschaftsethische Frage. Der Fokus dieses Buchs liegt hauptsächlich auf Fragen, die dem oben diskutierten zweiten und dritten Bereich der Wissenschaftsethik zuzuordnen sind, also auf Fragen, die für alle Wissenschaften gleichermaßen oder zumindest für den Großteil der Wissenschaften auftreten. Fragen und Probleme aus dem zweiten Bereich finden sich überwiegend in den Kapiteln 3, 4 und 6, Fragen und Probleme aus dem dritten Bereich in den Kapiteln 4 und 5. Dass Kapitel 4 mit dem unterschiedenen zweiten und dritten Bereich überlappt, zeigt, dass sich die Fragen nach der wissenschaftlichen Verantwortung und nach der guten wissenschaftlichen Praxis nicht gut voneinander trennen lassen. (Andere Autoren fassen beide Bereiche unter dem Titel der wissenschaftlichen Verantwortung; z. B. Lenk und Maring, 1998, S. 295.) Die Thematik aus dem vierten Bereich soll in Kapitel 7 kurz angesprochen werden.

      Als Teilbereich der Philosophie und insbesondere der Wissenschaftsphilosophie teilt die Wissenschaftsethik die Ziele dieser Fächer. Die Ziele dieser Fächer werden jedoch von verschiedenen Philosophen sehr unterschiedlich gesehen. Ein Ziel der Wissenschaftsphilosophie ist es auf jeden Fall, zu verstehen, wie die verschiedenen Wissenschaften funktionieren und was sie charakterisiert, d. h. was Wissenschaft zur Wissenschaft macht. Die theoretische Wissenschaftsphilosophie richtet sich auf die theoretisch-philosophischen Aspekte dieser Fragestellung, wie die Überprüfungs- und Begründungsweisen von wissenschaftlichem Wissen, die Struktur wissenschaftlicher Erklärungen, die Rolle von Naturgesetzen in den Wissenschaften, die Interpretation wissenschaftlicher Theorien, die Analyse wissenschaftlicher Kernbegriffe usw. Durch Klärung dieser Fragen soll ein gutes Bild davon entstehen, was Wissenschaft genau ist und wie sie in der Lage ist, verlässliches Wissen zu produzieren. Ein weiteres Ziel der theoretischen Wissenschaftsphilosophie liegt darin, das von den Wissenschaften produzierte Wissen sowie die gebrauchten Produktionsmethoden kritisch zu reflektieren, Schwächen aufzudecken und in dieser Weise die Wissenschaften bei ihrer Arbeit zu unterstützen (Reydon und Hoyningen-Huene, 2011). In diesem Bild stellt die Wissenschaftsphilosophie die „Selbstverständlichkeiten“ der Wissenschaften – das als verlässlich angenommene Wissen sowie die als gut funktionierend angesehenen Forschungsmethoden – in Frage (ebd.). Die Wissenschaftsethik hat ähnliche Ziele, bezieht sich aber bei deren Erarbeitung auf die moralischen und gesellschaftlichen Aspekte der Wissenschaftspraxis.

      Wie alle Teilgebiete der Philosophie muss sich die Wissenschaftsethik jedoch bezüglich ihrer Ziele bescheiden geben. Die Philosophie produziert selbst kein positives Wissen über die Beschaffenheit der natürlichen und sozialen Welt, wie es die Natur- und Sozialwissenschaften tun (ebd.). Vielmehr zeigt sie uns die unterschiedlichen Aspekte der Dinge, d. h. die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt, in der wir leben. Der berühmte Philosoph Bertrand Russell schreibt in seinem Buch Probleme der Philosophie (1912) diesbezüglich:

      „Die Philosophie kann uns zwar nicht mit Sicherheit sagen, wie die richtigen Antworten auf die gestellten Fragen heißen, aber sie kann uns viele Möglichkeiten zu bedenken geben, die unser Blickfeld erweitern und uns von der Tyrannei des Gewohnten befreien. Sie vermindert unsere Gewissheiten darüber, was die Dinge sind, aber sie vermehrt unser Wissen darüber, was die Dinge sein könnten.“ (Russell, 1967, S. 138).

      Mit anderen Worten: Die Philosophie bietet keine endgültigen Antworten auf die Fragen an, die sie stellt, sondern zeigt uns lediglich mögliche Antworten und Positionen und analysiert, was gute Argumente für bzw. gegen diese möglichen Antworten und Positionen sein könnten.

      Gleiches gilt auch für die Wissenschaftsethik: Sie kann auf mögliche moralische Probleme bezüglich der Wissenschaften und ihre möglichen Ursachen hinweisen, unterschiedliche Sichtweisen auf solche Probleme vorschlagen und erörtern, was für bzw. gegen diese verschiedenen Sichtweisen gesagt werden könnte. Sie kann jedoch diese Probleme für die Wissenschaften nicht lösen. Hier sind die einzelnen Wissenschaftler selbst gefragt, wie auch die verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen und die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft als Ganzes. Wie im Verlauf dieses Buchs deutlich werden sollte, soll sich die Wissenschaft als (zumindest teilweise) autonomer Bereich selbst ihre Werte und Normen geben. Die Wissenschaftsethik kann den Wissenschaften lediglich als beratende Instanz zur Seite stehen – sie kann nicht für sie ihre Werte und Normen festsetzen.

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