Entwicklungspsychologie. Werner Wicki

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Entwicklungspsychologie - Werner Wicki utb basics

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bzw. jungen Erwachsenen selbst.

      Thomas und Chess (1977) definierten das Temperament als einen Verhaltensstil: Es interessierte die Art und Weise, wie sich das Kind verhält und wie es handelt, und nicht weshalb oder wie gut es gewisse Dinge tun kann.

      Dimensionen bei Thomas und Chess

      Sie operationalisierten das Konstrukt durch 9 Temperamentsdimensionen:

       Kasten

       Temperamentsdimensionen nach Thomas und Chess:

      (1) Annäherung vs. Rückzug gegenüber neuen Erfahrungen (approach/withdrawal)

      (2) Anpassung an Veränderungen (adaptibility)

      (3) positive vs. negative Stimmungen (mood)

      (4) Intensität emotionaler Reaktionen (intensity)

      (5) Rhythmizität biologischer Funktionen (rhythmicity)

      (6) Beharrlichkeit gegenüber umweltbedingten Widerständen (persistence)

      (7) Ablenkbarkeit/Beruhigbarkeit (distractibility)

      (8) Aktivitätsniveau (activity)

      (9) Stimulationsschwelle für die Auslösung einer Reaktion (threshold)

       Kritik

      Die sich im Anschluss an NYLS entfaltende empirische Temperamentsforschung erfasste diese Verhaltensdimensionen meist mittels Elternfragebogen. Die Dimensionen erwiesen sich allerdings als zu wenig unabhängig voneinander und über die Zeit nur als moderat stabil.

      schwieriges Temperament

      Ein übergeordneter Faktor schwieriges Temperament (bei Thomas und Chess die Dimensionen 1–5) wurde zwar oft gefunden, enthielt jedoch in der Regel nur einzelne, aber nicht alle 5 postulierten Dimensionen (Bates 1989). Zum „schwierigen Temperament“ scheint v.a. der häufige Ausdruck negativer Affekte (Schreien) – weniger jedoch die Rhythmizität zu gehören. Thomas und Chess klassifizierten etwa bei 10% der Kinder ein „schwieriges“ und bei 40% der Kinder ein „einfaches“ Temperament.

      Weiterentwicklungen

      Da sich die postulierten Dimensionen nur bedingt bewährt haben, ist es nicht erstaunlich, dass das Konzept weiterentwickelt wurde.

      Rothbart und Derryberry (1981) gingen beispielweise aufgrund ihrer Forschung von 6 Dimensionen aus (→ Tab. 3.1), Buss und Plomin (1984) nur noch von 3 Dimensionen. Insgesamt wird deutlich, dass je nach Autorengruppe klar unterschiedliche Dimensionen vorgelegt wurden.

      negative Emotionalität

      Die Dimension der negativen Emotionalität (Buss/Plomin 1984) bezieht sich auf das Ausmaß der sich im Verhalten oder im Emotionsausdruck äußernden Erregung auf Ereignisse. Eine ausgeprägte Tendenz zur Erregung basiert auf der Dominanz des sympathischen Teils des vegetativen Nervensystems. Welche der negativen Affekte besonders ausgeprägt sind (Furcht, Ärger), ist einerseits von Erfahrungen, andererseits von weiteren Temperamentsausprägungen abhängig (z.B. von hoher Aktivität, die eher zu Ärger führt).

      Eng verwandt mit dem Konzept der Emotionalität ist das Konzept des „schwierigen“ Temperaments (vgl. Bates 1989; Thomas/Chess 1977).

      Aktivität

      Das Konzept der Aktivität bezieht sich auf das Tempo und die Energie, mit dem bzw. der das Kleinkind z.B. seine Umgebung exploriert oder beim Spielen agiert. Sehr aktive Kinder fordern die Kontrolle der Eltern stärker heraus, wodurch Konflikte in der Eltern-Kind-Interaktion wahrscheinlicher werden, dies allerdings in Abhängigkeit vom Temperament, den Ressourcen, Einstellungen etc. der Eltern. Die Richtung des Einflusses ist also wechselseitig. Hohe Aktivität muss somit kein Problem sein, sondern kann im Gegenteil zum Erwerb sozialer Kompetenzen und Privilegien führen.

       Tab. 3.1 | Vergleich der Temperamentsdimensionen von Rothbart / Derryberry und Buss / Plomin

Rothbart und Derryberry (1981)Buss und Plomin (1984)
(1) Aktivitätsniveau (grobmotorisch)(1) Aktivität
(2) Lächeln und Lachen (positiver Affekt)(3) Furcht (Vermeidung neuer Situationen)(4) Frustrationstoleranz(2) Negative Emotionalität
(5) Adaptation an neue Reize (Beruhigbarkeit)(6) Orientierungsdauer/Durchhaltevermögen(3) Soziabilität / Geselligkeit

      Soziabilität

      Soziabilität bezieht sich auf das Ausmaß der Präferenz für das Zusammensein mit anderen Personen, besonders mit Personen, zu denen bisher keine Beziehung bestand. Ein Kind mit hohen Werten auf dieser Dimension sucht häufig den Kontakt zu verschiedensten Personen, ist nicht gerne alleine und reagiert auf die Kontaktaufnahme anderer Personen freundlich. Auch hier sind wechselseitige Beziehungen zum familiären Hintergrund denkbar. Problematisch ist zum Beispiel eine hohe Soziabilität des Kindes, die auf eine geringe Kontaktbereitschaft der Eltern stößt.

      Erfassungsinstrumente

      Die Instrumente zur Erfassung des Temperamentes können hier nicht im Detail besprochen werden. Am häufigsten kamen bisher Fragebögen für die Eltern zur Anwendung (vgl. Übersicht in Bates 1989), seltener persönliche Interviews mit den Eltern oder anderen Kontaktpersonen der Kinder, z.B. den Lehrern. Noch seltener erfolgten Beobachtungen bei den Kindern zu Hause oder im Labor.

       Kritik

      Die Erfassung des Temperaments per Fragebogen wurde wiederholt kritisiert (Rothbart/Bates 2006). Die Angaben der Mütter in Bezug auf das schwierige Temperament des Kindes hängen nicht nur mit ihren Beobachtungen, sondern auch mit ihren Persönlichkeitseigenschaften und Erwartungen, gemessen bereits vor der Geburt des Kindes, zusammen (Vaughn et al. 1987).

      In einigen wenigen Studien kamen sowohl Fragebögen als auch Laborbeobachtungen zum Einsatz. Matheny et al. (1987) fanden mittlere Korrelationen zwischen der im Labor und per Fragebogen erhobenen Lenkbarkeit (tractability).

      Stabilität vs. Veränderung

      Ein kritisches Merkmal von Temperamentsunterschieden ist deren relative Stabilität über die Zeit. Als genereller Befund gilt: Je jünger die Kinder, desto geringer ist die Stabilität. Dies gilt insbesondere dann, wenn Beobachtungsmaße und nicht Fragebogenmaße eingesetzt werden (vgl. z.B. Saudino/Eaton 1995).

      Die noch geringe Stabilität im Verhalten Neugeborener sollte aus mehreren Gründen nicht erstaunen: In den ersten beiden Lebensmonaten reifen verschiedene Hirnstrukturen erst voll aus, insbesondere nimmt die Zahl der neuralen Verbindungen im Kortex stark zu (z.B. im visuellen Kortex, vgl. Banks/Salapatek 1983).

      Für die Irritabilität, beobachtet in den ersten 4 Lebenstagen, fand man allerdings eine gewisse Stabilität über die ersten 2 Jahre (Riese 1987). Irritierbare Kinder waren mit 2 Jahren häufiger emotional negativ, weniger aufmerksam und weniger sozial orientiert.

      Unterschiede zwischen Neugeborenen

      In den ersten Lebensmonaten können – z.B. mittels Brazelton-Test (Brazelton et al. 1987) – teilweise beträchtliche interindividuelle Unterschiede festgestellt werden. Das ist relevant, weil Besonderheiten im Neugeborenenverhalten, beispielsweise eine besonders ausgeprägte Irritierbarkeit, das Fürsorgeverhalten der Mutter nachweislich

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