Soziale Arbeit. Johannes Schilling

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Soziale Arbeit - Johannes Schilling

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Eltern zu übernehmen; diese werden auch besonders deshalb schriftlich erfaßt, um ihnen durch die Pfleger und ihre Helfer in den Handwerken oder sonstwo Anstellungen zu verschaffen, damit sie mit Arbeit aufwachsen und mit der Zeit ohne Almosen auskommen können. Dazu haben sich die genannten vier Knechte bei den umwohnenden Nachbarn dieser Bettler und Armen zu erkundigen und sorgfältig zu notieren, was für einen guten oder schlechten Leumund diese Armen besaßen und noch besitzen, (...).“ (Sachße/Tennstedt 1980, 68 f.)

      Die Höhe der Unterstützung richtete sich nach dem jeweiligen Personenstand. Wenn das Almosen wegen „unchristlichem“ Lebenswandel oder anderer Defizite verweigert werden musste, wirkten die Armenpfleger erzieherisch darauf hin, dass die Bedürftigen wieder auf die „rechte Bahn“ kamen. In der Nürnberger Armenordnung sind sogar schon Vorformen von Evaluationen zu erkennen. So berichteten Armenpfleger beispielsweise, dass sie bei Hausbesuchen Erfolge feststellen konnten, wenn ehemalige Bettler und Müßiggänger wieder in ihren alten Handwerksberufen tätig waren und auch deren Kinder das Betteln aufgegeben hatten. Von einem beruflich „korrekt“ arbeitenden Armenpfleger erwartete die Stadtverwaltung ebenso den sorgfältigen Umgang mit öffentlichen Geldern (Zeller 2006, 133–139).

      Das Konzept der Nürnberger Armenordnung von 1522 zur Durchsetzung der Bettelverbote

      – Anstellung von Armenpflegern

      – Gemeinsame Beratungen

      – Hausbesuche/Bedürftigkeitsüberprüfung

      – Verteilung von Bettelabzeichen

      – Feststellung der Arbeitsfähigkeit

      – Arbeitsbeschaffung

      – Aktenführung

      – Kassenverwaltung

      – Genaue Festlegung der Höhe der Unterstützung

      – Erziehungsmaßnahmen

      – Besorgen von Arzneien

      – Überprüfungen der geleisteten Maßnahmen

      (Zeller 2006, 140)

      1.3.1 Industrielle Entwicklung – Pauperismus

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      Die rapide Umgestaltung Deutschlands zu einer Industriegesellschaft nach der Reichsgründung von 1871 hatte weitreichende soziale Folgen. Können Sie sich vorstellen, um welche es sich handelt?

      Mit zunehmend sozialpolitisch ausgerichteten Konzepten und den im 19. Jahrhundert hinzukommenden neuhumanistischen Bildungs- und Erziehungsidealen auch für die unteren Schichten sowie im Zuge der Verweltlichung der Armenpflege wurde der alte polizeiliche Armenpflegebegriff schließlich immer mehr von dem Begriff Armenfürsorge, noch später Wohlfahrtspflege abgelöst. So wurden Sozialpolitisierung, Sozialdisziplinierung und im 19. Jahrhundert durch die Entstehung von freien Wohlfahrtsverbänden auch Konfessionalisierung wesentliche Meilensteine des Armen- und Fürsorgewesens in die europäische Moderne.

      Der Pauperismus ist keine Folge der Industrialisierung, sondern bereits früher durch folgende Entwicklung entstanden: Mit der Bauernbefreiung (1807–1811) und der Einführung der Gewerbefreiheit (1810/11) wird den abhängigen Bevölkerungsschichten erstmals die Möglichkeit zu ungehinderter Familiengründung gegeben, was bei gleichzeitiger Abnahme der Sterblichkeit als Folge hygienischer Maßnahmen zu einem erheblichen Geburtenüberschuss und damit zu einer Überbevölkerung führte. Überbevölkerung und große Geldknappheit des Staates führten zu einem Mangel an Arbeitsplätzen und zu einer bis dahin nie gekannten Massenverarmung. Das bedeutete, dass nicht die Industrialisierung, sondern gerade ihre Verzögerung bei gleichzeitiger Überbevölkerung zum Pauperismus oder zur Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten führte. Mit der Entstehung der Industriezentren kam es zu einer Binnenwanderung unbekannten Ausmaßes.

      Seit etwa 1820 verläuft die industrielle Revolution in einem rasanten Tempo. Die rapide Umgestaltung Deutschlands zu einer Industriegesellschaft nach der Reichsgründung (1871) hatte weitreichende soziale Folgen. Gab es zu Beginn des Jahrhunderts etwa 300.000 Fabrikarbeiter, so waren es 1872 bereits sechs Millionen und um 1900 sogar zwölf Millionen.

      Sachße und Tennstedt belegen den sozioökonomischen Strukturwandel dieses Jahrhunderts mit empirischen Daten:

      1. Um 1750 lebten in Deutschland um 16–18 Millionen Einwohner, um 1900 waren es 56 Millionen.

      2. Um 1800 lebte der größte Teil der Bevölkerung auf dem Lande. Von den 1016 Städten waren 998 noch typische Ackerbürgerstädte, d.h. Einwohner, die von landwirtschaftlichen Betrieben lebten. 1910 hatten 66 % der Bevölkerung ihren Wohnsitz in der Stadt (Sachße/Tennstedt 1980, 179–180).

      3. „Die Anteile der Beschäftigten innerhalb der einzelnen Wirtschaftssektoren verschoben sich entscheidend vom primären Sektor (Landwirtschaft, Gartenbau, Forstwirtschaft, Fischerei) zum sekundären Sektor (Industrie, Handwerk, Verlag, Bergbau, ...) und tertiären Sektor (Dienstleistungen, Handel, Verkehr, Banken, ...). 1800 waren von 10,5 Mio. Beschäftigten 62 v. H. im primären, 21 v. H. im sekundären und 17 v. H. im tertiären Wirtschaftssektor beschäftigt, 1914 waren von 31,3 Mio. Beschäftigten 34 v. H. im primären Sektor, 38 v. H. im sekundären und 28 v. H. im tertiären Sektor beschäftigt.“ (Sachße/Tennstedt 1980, 179 f.)

      Die städtischen Ballungszentren boten ein Bild der Armut, des Elends und der Verwahrlosung. Industrie und Markt brachte nicht Harmonie und Wohlstand, sondern spalteten die Gesellschaft.

      Das Bevölkerungswachstum war für den Übergang vom agrarisch-handwerklichen zum kapitalistisch-industriellen Wirtschaftssystem, für die Wandlungen im Bereich von Armut und Armenwesen deshalb von entscheidender Bedeutung, weil zunächst die Bevölkerung schneller wuchs als die Wirtschaft (Sachße/Tennstedt 1980, 181).

      Einstellung zu den Armen

      Bezüglich der Armenfürsorge handelte der Staat weniger im Interesse der Armen, als vielmehr in seinem eigenen Interesse. Die Einstellung zu den Armen fassen Christoph Sachße und Florian Tennstedt in drei Punkten zusammen:

      1. Die Armen hatten keinen Rechtsanspruch auf Unterstützung. Die Unterstützung galt mehr im Sinne Polizeirecht vor Fürsorgerecht. Es ging um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, um Gefahrenabwehr.

      2. Die Armen, d.h. wer öffentliche Hilfe in Anspruch nahm, war von der Mitwirkung an den drei Gewalten des konstitutionellen Rechtsstaates (Legislative, Exekutive, Judikative) ausgeschlossen.

      3. Neben diesen allgemeinen diskriminierenden Beschränkungen der Armen konnten die einzelnen Staaten des Deutschen Reiches weitere, ergänzende Eingriffe vornehmen. So durften z. B. in Bayern Ordnungskräfte die Wohnung der Armen jederzeit betreten, in Sachsen über Tun und Lassen im häuslichen Leben Rechenschaft fordern (Sachße/Tennstedt 1980, 212 f.). Arme mussten die ihnen zugewiesene Arbeit verrichten, im Weigerungsfall wurde Arbeitsscheu unterstellt und Haftstrafen verhängt.

      Bettelvögte, Armenpfleger

      Interessant ist aus heutiger Sicht, dass bis zu Beginn des 20. Jahrhundert die Versorgung wie auch die Disziplinierung und Kontrolle Hilfsbedürftiger durch öffentliche Armenverwaltungen nicht von Frauen, sondern ausschließlich von Bürgern mit Wahlrecht, also nur von ehrenamtlich tätigen Männern durchgeführt werden durften. In der Regel waren es ausgediente Soldaten oder Polizeidiener,

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