Hat China schon gewonnen?. Kishore Mahbubani

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Hat China schon gewonnen? - Kishore Mahbubani

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Ziele lässt sich erreichen. Warum das so ist, erklärt dieses Buch.

      Die Amerikaner müssen ein Paradoxon begreifen, um die tatsächlich von China ausgehende Bedrohung zu verstehen: Chinas Aufstieg ist unaufhaltsam, aber Chinas Aufstieg bedroht Amerika nicht. Diese harten Wahrheiten können im politischen Diskurs Amerikas jedoch nicht angesprochen werden.

      Chinas Aufstieg ist unaufhaltsam, weil diese 4.000 Jahre alte Zivilisation nach über 100 Jahren der schmerzhaften Erniedrigung nunmehr eine natürliche Phase der Verjüngung durchläuft. Das chinesische Volk ist darüber sehr glücklich und das unterscheidet die Herausforderung, die China darstellt, sehr stark von der Herausforderung, die die Sowjetunion darstellte. Als ich in den 1970er-Jahren die Sowjetunion besuchte, konnte ich aus erster Hand die trübsinnige und düstere Stimmung der Menschen dort erleben. In China dagegen erlebt man erstaunlichen Optimismus. Wie kommt das? Was die menschliche Entwicklung angeht, hat Chinas Bevölkerung gerade die besten 40 Jahre in ihrer 4.000 Jahre währenden Geschichte durchlaufen. Eine Studie der Harvard Kennedy School bestätigte kürzlich, dass zwischen 2003 und 2016 der Rückhalt der KPCh bei der chinesischen Bevölkerung von 86 auf 93 Prozent gestiegen ist. Das heutige China ist eine glückliche Gesellschaft. Das ist auch der Grund, warum die 130 Millionen chinesischen Touristen, die 2019 ins Ausland reisten, freiwillig und mit einem guten Gefühl in ihre Heimat zurückkehrten. Doch in Amerika wird der politische Kurs gegenüber China von einer düsteren Betrachtungsweise dominiert – von China als Unterdrücker, ein Bild, das durch eine sehr reale unterbewusste Furcht verstärkt wird, eine Furcht, die die amerikanische Öffentlichkeit früher als „gelbe Gefahr“ bezeichnete. Die Bezeichnung selbst hört man heute nicht mehr häufig, aber das Gefühl schwingt weiterhin stark mit.

      Die Furcht der amerikanischen Politik vor China ist real. Praktisch jeder in Washington vertritt die Auffassung, dass China eine „Bedrohung“ darstellt. Aber stimmt das? Was zeigen die Fakten? Amerikas große Stärke ist die, dass es ein stolzes Produkt der westlichen Erleuchtung ist. Diese Schule hat uns gelehrt, dass es keine besseren Werkzeuge als Vernunft und wissenschaftliche Beweise gibt, will man ein vertracktes Problem begreifen. Wenden wir diese westlichen Analyse-Werkzeuge doch auf die „chinesische Bedrohung“ an.

      „China stellt eine Bedrohung für unsere Sicherheit dar, für unseren Wohlstand und über eine breite Spanne von Themen hinweg für unsere Werte“, sagte Avril Haines, Präsident Bidens Direktorin der nationalen Nachrichtendienste. Viele Amerikaner dürften ihr dafür applaudiert haben, die Wahrheit so unverblümt ausgesprochen zu haben. Tatsächlich jedoch ist jeder einzelne Aspekt ihrer Aussage faktisch falsch.

      Zunächst einmal bedroht China Amerikas Wohlstand nicht. Dafür sind die Chinesen zu klug. Amerikas Wohlstand ist für sie ein Mittel zum Zweck, ein Faktor, der Chinas Wirtschaft zu Wohlstand verhalf und es auch in Zukunft tun wird. Amerikas Wirtschaft war die Zugmaschine, die es möglich gemacht hat, dass Chinas Volkswirtschaft, die 1980 (kaufkraftbereinigt) noch ein Zehntel der amerikanischen Volkswirtschaft ausmachte, 2014 an den USA vorbeizog. Es ist also anders, als Avril Haines sagt: Sollte Präsident Biden China ein Wirtschaftsabkommen vorschlagen, das sowohl der amerikanischen Wirtschaft (und damit den amerikanischen Arbeitern) als auch China hilft, dann würde China ein derartiges Abkommen begeistert begrüßen. Amerikas Wohlstand ist für China ein Pluspunkt und kein negativer Aspekt.

      Zweitens stellt China keine Bedrohung für Amerikas Sicherheit dar. China droht Amerika nicht mit einer militärischen Invasion (und seine Streitkräfte sind einen Ozean entfernt) oder mit einem Atomschlag (Amerikas Arsenal an Atomsprengköpfen ist 20-mal so groß). China bedroht auch nicht Amerikas militärische Überlegenheit in Gebieten wie dem Nahen Osten. Nicht einmal beim Rüstungshaushalt stellt China ansatzweise eine Bedrohung für Amerika dar. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte, Amerika habe sich 20 Jahre lang auf den Nahen Osten konzentriert und China habe in dieser Zeit sein Militär modernisiert. „Wir werden den Vorsprung halten“, sagte er, „und wir werden den Vorsprung zukünftig noch ausweiten.“ Fareed Zakaria hat absolut recht mit seinem Kommentar: „Was Austin als Amerikas ‚Vorsprung‘ gegenüber China bezeichnet, ist mehr eine tiefe Kluft. Die Vereinigten Staaten besitzen etwa 20-mal so viele Atomsprengköpfe wie China. Ihre Kriegsmarine kommt auf etwa die doppelte Tonnage wie die chinesische und darunter sind elf atomar betriebene Flugzeugträger, während China zwei besitzt (noch dazu weitaus weniger moderne). ‚Washington verfügt über 2.000 Kampfflugzeuge, Peking über etwa 600‘, sagt Sebastien Roblin, Analyst für nationale Sicherheit. ‚Und die Vereinigten Staaten können diese Macht über ein gewaltiges Netzwerk aus rund 800 Auslandsstützpunkten verteilt zum Tragen bringen. China hat drei. Chinas Rüstungshaushalt beträgt um die 200 Milliarden Dollar, nicht einmal ein Drittel dessen, was die USA ausgeben.‘“

      Hätte Avril Haines recht mit ihrer Aussage, dass China eine Bedrohung für Amerikas Sicherheit darstellt, würde es die Logik diktieren, dass China es nur zu gern sehen würde, dass Amerika seinen Rüstungshaushalt, die Flugzeugträgerflotte, die Kampfflugzeuge und die Zahl der Flottenstützpunkte reduziert. Tatsächlich jedoch wäre China unglücklich über eine derartige Entwicklung. Chinas strategische Planer finden es großartig, dass Amerika dermaßen viel Geld für unnötige Kriege verschwendet und währenddessen einen aufgeblähten Rüstungshaushalt unterhält, der in wichtigeren Bereichen – etwa dem Bildungswesen oder bei der Forschung und Entwicklung – Amerikas Wettbewerbsvorteil schmälert. Amerikas gewaltiger Rüstungshaushalt verleiht dem Land denselben Vorteil, den ein Dinosaurier von seinem gewaltigen Leib hat – keinen sehr großen.

      Und schließlich: Wenn Haines sagt, China bedrohe amerikanische Werte „über eine breite Spanne von Themen“ hinweg, dann würde das nur dann zutreffen, wenn China damit drohte, seine Ideologie nach Amerika zu exportieren oder den dortigen Wahlprozess zu untergraben. Beides ist nicht der Fall. Und dennoch ist eine erstaunliche Zahl von Amerikanern – sogar besonnene, gut informierte Amerikaner – überzeugt, dass China beabsichtigt, amerikanische Werte zu untergraben. Dieser Glaube beruht möglicherweise auf zwei großen Fehleinschätzungen bezüglich China. Erstens: In China ist eine kommunistische Partei an der Macht, das Land muss also, genauso wie früher die Sowjetunion, darauf aus sein, zu beweisen, dass der Kommunismus der Demokratie überlegen ist. Empirische Beweise zeigen jedoch, dass China bereits vor Jahrzehnten aufgehört hat, andere kommunistische Parteien zu unterstützen. Chinas größter Traum besteht darin, die chinesische Zivilisation zu verjüngen. Zeit verschwenden, indem man kommunistische Ideologie exportiert, will man nicht. Zweitens: Wenn China Amerika überholt und zur weltgrößten Wirtschaftsmacht aufsteigt, wird es sich, so wie Amerika es mit dem „amerikanischen Modell“ getan hat, zur Aufgabe machen, das „chinesische Modell“ in alle Welt zu exportieren. Hier haben wir es mit einem perfekten Beispiel dafür zu tun, wie ignorant Amerika gegenüber seinem strategischen Rivalen ist. Amerikaner mögen glauben, dass jeder Mensch ein Amerikaner sein kann, aber die Chinesen glauben nicht, dass jeder Mensch ein Chinese sein kann. Die Chinesen glauben schlicht, dass nur Chinesen Chinesen sein können. Und sie wären verwirrt, sollte jemand anderes versuchen, chinesisch zu werden.

      Könnten Amerikas strategische Denker akzeptieren, dass China nicht versucht, mit einem „chinesischen Modell“ das „amerikanische Modell“ abzulösen, könnten sie vielleicht auch einen Schritt zurücktreten und eine besser durchdachte und tragfähigere Reaktion auf die von China ausgehenden Herausforderungen entwickeln. Aktuell sind die meisten politischen Entscheider und Fachleute in Amerika insgeheim von der Angst erfüllt, dass Chinas Wirtschaft, die im Hinblick auf das reale BIP bereits größer als die amerikanische ist, sich innerhalb eines Jahrzehnts auch im Hinblick auf das nominale BIP an die Spitze setzen könnte.

      Dennoch spricht überhaupt nichts dagegen, dass Amerika auch als zweitgrößte Volkswirtschaft das „am meisten bewunderte und einflussreichste“ Land der Welt bleibt (wie es das beispielsweise unter Präsident John F. Kennedy war). Das ist das Kriterium, dem Amerikas Politiker Aufmerksamkeit schenken sollten, nicht die Größe des amerikanischen BIP. Zum Glück gab George Kennan, einer von Amerikas klügsten strategischen Denkern, Amerika exakt diesen Rat, als er Empfehlungen für den Umgang mit der Herausforderung durch die Sowjets

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