Völkerrecht. Bernhard Kempen
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I. Einleitung
Das Römische Statut für den → Internationalen Strafgerichtshof (IStGH/ICC) vom 17.7.1998 (IStGH-Statut, Sart. II, Nr. 35) dient nach seinem Präambelsatz 3 dazu, „den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt“ zu schützen. Hierzu wurde nach Artikel 5 Abs. 1 des Statuts (Artikel ohne besondere Bezeichnung sind in diesem Beitrag solche des IStGH-Statuts) die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs auf die vier schwersten Verbrechen beschränkt, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, nämlich → Völkermord, → Verbrechen gegen die Menschlichkeit, → Kriegsverbrechen und das hier behandelte Verbrechen der Aggression. Es ist seit Langem anerkannt, dass das Verbrechen der Aggression ein sog. „Führungsverbrechen“ darstellt. Anders als im Falle der drei anderen Völkerrechtsverbrechen soll nach dem Aggressionstatbestand nur derjenige bestraft werden, der an einem Verstoß gegen das ius ad bellum beteiligt ist, und dies auch nur dann, wenn er zu den Kräften gehört, die eine effektive Kontrolle oder die Leitung über die politischen oder militärischen Handlungen eines Staates ausüben.
II. Die Entwicklung zum Aggressionstatbestand
Die Normierung des Aggressionstatbestandes erweist sich als eine rund hundert Jahre dauernde und von langen Pausen und scheinbar unüberwindlichen Hindernissen geprägte völkerrechtliche Entwicklung. Solange das Völkerrecht davon ausging, dass souveränen Staaten das Mittel eines Krieges als selbstverständliches Attribut zukam (ius ad bellum) und das Völkerrecht die Frage der Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Einsatzes militärischer Mittel gar nicht zu regeln beabsichtigte, bestand weder für ein völkerrechtliches Verbot des Krieges als ultimatives Mittel der Politik noch gar für die Strafbarkeit des Einsatzes bewaffneter Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen überhaupt Raum. Wie kein anderer Straftatbestand des Völkerrechts berührt das Aggressionsverbrechen die staatliche → Souveränität und liegt damit an der Schnittstelle zwischen Politik und Recht. Anders als die anderen drei Völkerrechtsstraftatbestände ist das Verbrechen der Aggression (künftig Art. 8 bis) zudem als reines Führungsverbrechen ratione personae auf solche Täter beschränkt, die aufgrund ihrer faktischen oder rechtlichen Stellung in einem Staat in der Lage sind, die effektive Kontrolle über die politischen oder militärischen Staatshandlungen auszuüben oder entsprechende Anordnungen zu treffen (Art. 8 bis Abs. 1).
1. Vorgaben zur friedlichen Streitbeilegung
Die ersten Versuche, Krieg als Mittel der Politik im Völkerrecht zu untersagen, betrafen nur die Rechtsfragen eines völkerrechtlichen Verbots und hatten durchgreifende Mängel (→ Kriegsrecht, ius ad bellum); die Strafbarkeit eines solchen Verstoßes wurde hingegen nicht normiert.
2. Verbrechen gegen den Frieden im IMG- und IMGFO-Statut
Das wegen des Verstoßes gegen das strafrechtliche Rückwirkungsverbot und als einseitiges Siegerdiktat kritisierte IMG-Statut vom 8.8.1945 normierte erstmals in der Geschichte des Völkerrechts die Strafbarkeit eines „Verbrechens gegen den Frieden“. Nach Art. 6a IMG-Statut wurde das Planen bzw. die Vorbereitung und Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen oder die Beteiligungen an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen unter Strafe gestellt. Zur völkerrechtlichen Zielvorstellung, Kriege zu verhüten, führte Robert H. Jackson, Richter am US Supreme Court und Chefankläger von Nürnberg, am 21.11.1945 in seinem Eröffnungsplädoyer aus: „Aber der letzte Schritt, periodisch wiederkehrende Kriege zu verhüten, die bei internationaler Gesetzlosigkeit unvermeidlich sind, ist, die Staatsmänner vor dem Gesetz verantwortlich zu machen. (…) Dieses Gesetz wird zwar hier zunächst nur auf deutsche Angreifer angewandt, es schließt aber ein und muss, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen die, die jetzt hier zu Gericht sitzen.“ Mit dem IMG-Statut und ebenso mit Art. 5a des IMGFO-Statuts und dem KRG 10 (→ Völkerstrafrecht) wurde der Angriffskrieg als völkerrechtswidriger Krieg verboten.
3. Vorgaben der UN-Charta
Heute gilt völkerrechtlich auf der Ge- und Verbotsebene das sog. „universelle“ → Gewaltverbot gem. Art. 2 Ziff. 4 der Charta der → Vereinten Nationen (UN-Charta, Sart. II, Nr. 1), das militärische Gewaltanwendung oder ihre Androhung in den zwischenstaatlichen Beziehungen verbietet. Zur Strafbarkeit eines Verstoßes gegen das universelle Gewaltverbot äußert sich die UN-Charta nicht. Sie unterscheidet begrifflich allerdings zwischen einem „Aggressionsakt“ (act of aggression), der in Art. 39 UN-Ch. einer Bedrohung (threat to the peace) oder einem Bruch des Friedens (breach of the peace) gleichgestellt wird, und ermöglicht, dass der UN-Sicherheitsrat Kapitel VII-Maßnahmen nach Art. 41 ff. UN-Ch. ergreift (→ System kollektiver Sicherheit), und dem grundsätzlich unabhängig vom Sicherheitsrat bestehenden naturgegebenen Recht der Staaten zur individuellen und kollektiven → Selbstverteidigung, das in Art. 51 UN-Ch. anerkannt, aber nur durch einen „bewaffneten Angriff“ (armed attack) ausgelöst wird.
4. GA-Res 3314 (XXIX) vom 14.12.1974
Nach langen Diskussionen und Verhandlungen bezüglich einer Definition des Begriffs „bewaffneter Angriff“ konnte sich die → Generalversammlung der Vereinten Nationen am 14.12.1974 in ihrer Aggressions-Resolution (Sart. II, Nr. 5) lediglich auf eine Bestimmung des Begriffs der „Angriffshandlung“ (act of aggression), nicht jedoch auf eine Definition des Begriffs „bewaffneter Angriff“ (armed attack) einigen, wobei diese Resolution der Generalversammlung ohnehin nur eine Empfehlung, aber kein bindendes Recht und außerdem ein politisches Statement darstellt, das den Sicherheitsrat bei seinen Entscheidungen nach Kapitel VII der UN-Charta unterstützen sollte, aber nicht als materielle strafrechtliche Regelung konzipiert war oder dienen sollte. Die Begriffe „bewaffneter Angriff“ einerseits sowie „Angriffshandlung“ andererseits werden in der Charta in unterschiedlichen Zusammenhängen benutzt, werden nicht als identisch angesehen und entsprechen sich mithin inhaltlich definitionsgemäß nicht. So gelten bei einem „bewaffneten Angriff“ strengere Voraussetzungen als bei einer „Angriffshandlung“. Demnach ist eine verbotene Gewaltanwendung eines Staates, die noch unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Ch. bleibt, eine solche, die den bedrohten Staat noch nicht ermächtigt, von seinem Recht auf bewaffnete