Unter Der Sommersonne. Manu Bodin
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Stéphanie zeigte Franck die Leinwände mit ihren neuesten Werken. Ihr Stil neigte zum Surrealismus und konnte nur schwer beschrieben werden, so sehr verschmolzen die menschlichen Gestalten, die oft deformiert waren, mit einer äußerst chaotischen Atmosphäre. Trotzdem war es ihr noch nie geglückt, ihre Werke auszustellen. Franck zweifelte nicht daran, dass die ruhmreichen Zeiten seiner Freundin noch kommen würden. Ihr Talent sprang ins Auge. Sie verließ sich nicht nur auf ihre Kunst, um Geld zu verdienen, sie arbeitete auch in einem Büro für eine Firma, die Griffe für Kühlhäuser verkaufte. Sie kümmerte sich am Telefon um die kaufmännischen Beziehungen zu den Kundenunternehmen. Dabei langweilte sie sich zu Tode. Sie nutzte jedoch die Gelegenheit, um einige der potenziellen Käufer anzubaggern, die dann für eine Nacht ihre Liebhaber wurden. Diese Arbeit war ihr Mittel, die jährlich steigenden Lebenshaltungskosten zu stemmen, die uns von der Funktionsweise unsere Gesellschaft, die dabei ist zu zerfallen, aufgezwungen werden, und die die immer neuen Führungspersönlichkeiten unbedingt aufrecht erhalten wollen, da sie Angst haben, ihre Vorteile einzubüßen, denn sie sorgen sich nur um sich selbst, während die Bevölkerung – die Bürger – von dem Joch immer neuer unverdaulicher Gesetze erdrückt und missachtet werden.
Nach einem guten Teller Nudeln und nachdem sie den Film Kabinett außer Kontrolle gesehen hatten, in dem unsere schändlichen Regierungen verhöhnt werden, kehrte Franck nach Hause zurück.
Im Zug hatte er wieder an Svetlana gedacht. Er hatte gezögert, sie anzurufen und sei es nur, um seine Neugier zu befriedigen, ob die Nummer richtig oder falsch war. Er hatte sogar schon angefangen eine SMS zu schreiben, die einfacher zu verfassen war, als einen Anruf zu tätigen, ohne im Voraus zu wissen, worüber man wohl sprechen könnte. Nach reiflicher Überlegung hatte er davon abgesehen, sie abzuschicken. Er hatte gefürchtet, dass diese Nachricht, in der er sich nach ihr erkundigte, zu voreilig wäre, und dass die junge Frau nach ihrer Lektüre nur wünschen würde, Abstand von diesem Mann zu gewinnen, der noch ein Unbekannter war und der neugierig danach fragte, wie ihr Tag verlaufen war.
Am nächsten Morgen wurde Franck um 7 Uhr von seinem vibrierenden Telefon aus dem Schlaf gerissen. Er hasste es, wenn seine Nacht auf diese Weise verkürzt wurde. Die Lösung hätte darin bestanden, das Gerät auszuschalten, aber es diente ihm auch als Wecker. Normalerweise stand er so gegen 9 Uhr auf. Obwohl kein besonderes Programm auf ihn wartete, nutzte er die Zeit, um Filme zu gucken, in Büchern zu schmökern, Bier mit seinen Freunden zu trinken, während sie Neuigkeiten aus ihrem jeweiligen Leben austauschten. Manchmal blieb er zu Hause, um im Internet zu recherchieren und um über eine mögliche Fotoreportage, die er verwirklichen könnte, nachzudenken. Ab und an las er die Stellenanzeigen. Diese Recherche stürzte ihn in einen Zustand, der einer Depression nahekam. Die immer gleichen Anzeigen wiederholten sich ohne Unterlass. Aber wenn er an die Unternehmen schrieb, hielten diese es nicht einmal für nötig, ihm zu antworten. In seinem Berufsfeld gab es nichts, außer im Winter Porträts vom Weihnachtsmann zu machen oder den Fotografen in Schulen oder bei Hochzeiten zu geben. Franck hatte diese Jobs schon gemacht und fand sie so langweilig und eintönig… Sie besaßen keinerlei künstlerischen Wert. Es gab nichts, das ihm auf lange Sicht gefallen würde.
Wenn er unterwegs war, um Reportagen zu machen, inspirierten ihn Dreck und Elend. In Paris gab es davon viel und das, was es gab war furchtbar! Postkartenmotive zu fotografieren interessierte ihn nicht. Jedem das eigene kreative Universum.
Franck hatte sich die Augen gerieben. Auf dem Handydisplay wurde eine SMS angezeigt, die von Svetlana kam. Diese Überraschung hatte ihn aus dem Bett springen lassen. In der Nachricht erwähnte Svetlana, dass sie am kommenden Sonntag nichts vorhätte. Sie würde sich freuen, wenn ihr ein Reiseführer ein schönes Pariser Viertel zeigen könnte. Sie hatte ihre Nachricht mit einem unschuldigen, lächelnden Smiley beendet. Franck war überrascht, dass er diese SMS bekommen hatte und große Freude überwältigte ihn. Er musste sich nicht mehr den Kopf zermartern, ob er sie kontaktieren sollte oder nicht, sie hatte das soeben als erste getan. Dieser Schritt bedeutete ihm viel. Diese Frau schien aufrichtig zu sein und sie wollte ihn wiedersehen, mit ihm spazieren gehen und ihn kennenlernen. Vielleicht wollte sie auch etwas mehr? Hier bildete sich Franck sicherlich etwas zu viel ein. Diese Begeisterung würde ihn die drei Tage lang, die ihn von dem Rendez-vous trennten, bei guter Laune halten. Die seelischen Qualen durch die Erinnerungen an seine verflossene Liebe, begannen bereits zu verblassen. Franck fühlte sich vollauf bereit für eine neue Beziehung. Er hatte sofort geantwortet. Er hatte die Gelegenheit genutzt und ihr seine E-Mail-Adresse zukommen lassen. Svetlana hatte darauf reagiert, indem sie ihm ihre gab, wieder gefolgt von dem gleichen Smiley, wie in der vorangegangenen Nachricht. Dieses einfache Symbol ließ bei diesem so kurzen Schriftwechsel so viel Liebenswürdigkeit erkennen, dass er überzeugt war, einem wunderbaren Mädchen begegnet zu sein.
An diesem Abend hatte Franck vor dem Computerbildschirm ausgeharrt. Er hatte Svetlanas Kontaktdaten beim Instant-Messaging-Dienst Skype eingetragen. Plötzlich hatte sich diese Unbekannte, auf die er sehnlichst wartete, eingeloggt. Sie hatte ihm von ihrer Tätigkeit erzählt und ihm von all ihren Sorgen berichtet, als wäre Franck ein enger Vertrauter geworden, den sie schon seit vielen Jahren kannte.
Bei ihrer Arbeit, erklärt sie ihm, war die Stimmung nicht die fröhlichste. Die Geschäftsführerin griff die Verkäuferinnen an und bezeichnete sie als unfähig. Es gab Diebstähle und niemand bemerkte auch nur das geringst, nicht einmal der Wachmann. Hysterisch und paranoid, beschuldigte sie daher der Reihe nach jede ihrer Mitarbeiterinnen und bildete sich sogar eine interne Verschwörung gegen ihre Person ein.
Die meisten ihrer Kolleginnen kamen aus dem Ausland. Die Leute träumten davon, Frankreich zu entdecken und kamen zur Sommersaison ins Land, in der mehr Arbeitskräfte gebraucht wurden. Außer Svetlana, die aus Russland kam, war da noch eine Moldawierin, zwei Ukrainerinnen, eine Chinesin und eine Brasilianerin. Zwei Französinnen vervollständigten das Team. Ihre Chefin war ebenfalls Französin, mit koreanischen Wurzeln durch ihre Eltern. Die Frau, die im Augenblick die Boutique leitete, war Französin. Dieses Geschäft war ein wahrer Melting-pot. Einige der Verkäuferinnen sprachen kein Wort Französisch. Sie glichen diesen Mangel durch ihre Englischkenntnisse aus, die sie brauchten, um mit den Kunden zu sprechen, bei denen es sich vorwiegend um Touristen handelte, die Französisch nicht verstanden. Svetlana konnte die Sprachen üben, die sie gelernt hatte. Sie fand, dass das der einzige Vorteil bei ihrer Arbeit war.
Sie hatten beschlossen, im Montmartre-Viertel spazieren zu gehen. Svetlana hatte Paris noch nicht richtig besichtigen können. Jetzt, wo sie mehr Zeit zur Verfügung hatte, wollte sie das nachholen. Sie hatte gerade einmal den Eiffelturm besichtigt… und das nur von außen. Als Svetlana den Metallkoloss erblickt hatte, hatte sie sich gesagt: „Was? Das soll der berühmte Eiffelturm sein? Das ist doch nichts außergewöhnliches!“
Ihre ukrainische Freundin, die sie begleitet hatte, hatte überhaupt keine Reaktion gezeigt. Dieses Monument, das in der ganzen Welt bekannt war als Symbol für das Frankreich der „Freiheit“, hatte bei den beiden Frauen nur eine armselige Wirkung gehabt, weit entfernt von der ersten Begeisterung, die sie vielleicht vor ihrer Ankunft beim Anblick diverser Bilder verspürt haben könnten. Der ganze Zauber eines Fotos liegt in der richtigen Einstellung des Verschlusses, der die Belichtungsdauer bestimmt, und der Öffnung der Blende, die das Licht hindurch lässt. Die Wahl der Brennweite sollte einen guten Aufnahmewinkel und einen klugen Bildausschnitt haben, was jedem Trugbild Leben einhauchen kann.
Svetlanas Zeitmangel, der ihre Ausflüge seit ihrer Ankunft eingeschränkt hatte, war durch eine Jahresabschlussarbeit entstanden, die sie noch nicht beendet hatte und die sie schnellstmöglich bei ihrem Professor abgeben musste. Um ihre Leidenschaften – Kunst und Französisch – zu verknüpfen, hatte Svetlana einige Lieder aus dem Film Die Regenschirme von Cherbourg ins Russische übersetzen und untertiteln wollen. Das war ihr französischer Lieblingsfilm. Trotz einer kleinen Verspätung in Hinblick auf den vereinbarten Abgabetermin, hatte Svetlana die Arbeit, nachdem diese einmal fertiggestellt worden war, via Internet eingereicht. Anschließend hatte sie die Bestnote dafür bekommen.