Hildegard von Bingen. Ursula Klammer

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Hildegard von Bingen - Ursula Klammer

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große Vertrauen und Ansehen, das Hildegard innerhalb der verschiedensten gesellschaftlichen Schichten genießt. Hochrangige Persönlichkeiten wie Päpste, Kardinäle, Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen sowie weltliche Würdenträger bis hinauf zu den Kaisern Friedrich Barbarossa und Konrad wenden sich an die geistbegabte Nonne vom Rupertsberg, um von ihr Rat und Hilfe in unterschiedlichsten Angelegenheiten zu erhalten. Die lange Liste an Adressatinnen und Adressaten lässt auf den hohen Bekanntheitsgrad der Äbtissin vom Rupertsberg schließen. Auch Gräfinnen und Fürstinnen, ja sogar die griechische Kaiserin und die englische Königin finden sich unter ihnen. Nicht selten wird von der visionär begabten Nonne ein prophetisches Wort, eine weise Beurteilung in wichtigen politischen oder persönlichen Angelegenheiten erbeten – manchmal auch vor wichtigen Entscheidungen.

      Die zahlreichen Briefe an Hildegard bleiben nicht unbeantwortet: Neben ihren vielen anderen Verpflichtungen bemüht sich Hildegard, die Wünsche und Fragen all derer zu beantworten, die sich vertrauensvoll an sie wenden. Viele Menschen bitten um ihre Fürsprache bei Gott oder um Trost in ihren unterschiedlichen Bedrängnissen.

       Hildegard – die Heilkundige

      Im Prolog ihres zweiten Visionsbuches Der Mensch in der Verantwortung erwähnt Hildegard, dass sie zwischen 1151 und 1158 eine Schrift mit dem lateinischen Titel Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum verfasst hat. Es handelt sich um ein Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe. Von diesem naturheilkundlichen Sammelwerk existieren nur noch spätere Abschriften. Diese hinsichtlich ihrer Überlieferungsgeschichte jüngeren Handschriften sind im Gegensatz zum Original nicht mehr als ein einheitliches Ganzes erhalten, sondern sie liegen uns heute in zwei Teilen vor: einerseits das Buch Physica (übersetzt: Die Heilkraft der Natur) und andererseits Causae et Curae (Über die Ursachen und die Behandlung von Krankheiten).

      In diesen beiden Werken leuchtet eine tiefgründige Kenntnis von Mensch und Natur – gleichsam der gesamten Schöpfung – auf. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten auf den Gebieten der Heil- und Naturkunde erhält Hildegard von Bingen später den Ehrentitel der „ersten deutschen Naturforscherin und Ärztin“. Hildegards große Kenntnis und Wertschätzung der Natur spiegelt sich auch in ihrer Dichtung wider. Pflanzen, Tiere und Edelsteine erhalten in den bildreichen Texten und Liedern häufig eine symbolische Bedeutung. Damit weisen sie in ihrer Vielfalt auf heilsgeschichtliche Zusammenhänge hin.

       Rupertsberger Kodex

      Der Rupertsberger Riesenkodex ist eine Art „Gesamtausgabe“ von Hildegards Werken. Mit der Arbeit an dieser Handschrift dürfte im Kloster Rupertsberg noch zu Lebzeiten der Äbtissin begonnen worden sein. Außer den natur- und heilkundlichen Schriften sind alle von Hildegard verfassten Werke enthalten. Der Kodex umfasst 481 Blatt Pergament, ist 46 cm x 30 cm groß und wiegt 15 kg. Er wird unter der Bezeichnung H 2 in der Hochschul- und Landesbibliothek RheinMain verwahrt.

      Auf dem hier abgebildeten Blatt 317 beginnt die Vita Sanctae Hildegardis, die von den Mönchen Gottfried und Theoderich verfasste Lebensgeschichte.

      Klöster waren im Mittelalter bekanntlich die Anlaufstellen und medizinischen Versorgungsstätten für Kranke und Hilfesuchende. Die größeren von ihnen waren mit Kräutergärten und eigenen Behandlungszimmern ausgestattet. Das medizinische Know-how wurde über die Jahrhunderte an die für die Krankenbetreuung zuständigen Mönche oder Nonnen weitergegeben. Vielfach verfügten die Klöster bereits über medizinische Standardwerke, die häufig mit persönlichen Kommentaren hinsichtlich der Wirksamkeit der angeführten Arzneien ergänzt wurden. So wurde von passionierten Ordensbrüdern oder -schwestern nicht selten eigenes Erfahrungswissen in die Bücher eingefügt und auf diese Weise weitergegeben und verbreitet.

      Hildegard selbst ist – wie sie immer wieder in ihren Schriften und Briefen zum Ausdruck bringt – engstens mit Krankheit und körperlichen Beeinträchtigungen sowie mit Schmerzen vertraut. Gerade aus dieser eigenen Betroffenheit heraus weiß Hildegard verhältnismäßig gut über die Bedürfnisse und Botschaften des Körpers Bescheid.

      Auch die Abgründe der menschlichen Seele sind Hildegard als Seelsorgerin nicht unbekannt. Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und innere Unruhe gehören ebenso zum Menschsein wie Freude und Zuversicht, Wohlbefinden oder Kreativität. Ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit Krisen, mit äußeren oder inneren Widerständen, mit Leiden, Krankheit und Scheitern haben die Benediktinerin innerlich reifen lassen. In ihrer Not und Bedürftigkeit hat sie sich vertrauensvoll, manchmal auch verzweifelt an Gott gewandt und von ihm Hilfe und Kraft zum Durchhalten erfleht. Hin und wieder hat sie auch Menschen ihres Vertrauens ersucht, für sie zu beten. So schrieb sie zum Beispiel an Philipp von Park, einen befreundeten Abt: „Ihr aber … schenkt mir Eure Gebetshilfe, damit ich in der Gnade Gottes verharre. Denn noch immer liege ich – wie Ihr es persönlich gesehen habt – auf meinem Krankenlager. Und da ich keinerlei Sicherheit in mir zurückbehalte, habe ich all meine Hoffnung und mein ganzes Vertrauen einzig auf die Barmherzigkeit Gottes gesetzt.“6

      In Liebe und Geduld versucht Hildegard, auf die Bitten und Anliegen ihrer Mitmenschen einzugehen und ihnen nach Möglichkeit zu helfen. Mit ihrem erstaunlichen Heilwissen, das in erster Linie ihrer Intuition und ihrer langjährigen Erfahrung mit Klostermedizin entspringt, weiß sie den verschiedensten Symptomen körperlicher und seelischer Krankheiten zu Leibe zu rücken. Sowohl auf dem Disibodenberg als auch im Kloster Rupertsberg werden Kranke gepflegt und umsichtig betreut. In ihrer Vita wird Hildegard zusammen mit den ihr anvertrauten Schwestern für ihre vorbildhafte Hingabe Armen, Schwachen und Kranken gegenüber gewürdigt. Ein Dienst, der in besonderer Weise mit der Ordensregel des hl. Benedikt (verfasst um 540 n. Chr.) im Einklang steht.7

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