Generation Corona. Bernhard Heinzmaier

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Generation Corona - Bernhard Heinzmaier

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Gerne verstecken sich die Angehörigen der postmodernen Opferbewegungen in der Masse, und wenn sie in den sozialen Netzwerken auftreten, dann selten mit offenem Visier, sondern gut verborgen hinter der Anonymität eines Pseudonyms.

      Das wichtigste Kriterium für den Erfolg der alten Arbeiterbewegung war, dass sie sich selbstbewusst als die aufsteigende Klasse gesehen hat, mit der die neue Zeit zieht. Niemals war die Arbeiterbewegung eine Opferbewegung. Bis zum letzten kleinen Gewerkschaftsfunktionär waren dort alle davon überzeugt, dass, auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt, am Ende der Sieg der Arbeiter:innen stehen wird, weil er eine historische Notwendigkeit ist. Genauso wie der Sturz der herrschenden Klassen, der Eliten des alten Systems, als die notwendige Voraussetzung für einen Neubeginn gesehen wurde.

      Die neuen Opferbewegungen haben nichts von diesem Selbstbewusstsein der alten Arbeiterbewegung. Ihnen fehlt auch der Sicherheit gebende verlässliche Zusammenhalt innerhalb der Bewegung. Eine Ansammlung von Individualist:innen kann keine stabile Gemeinschaft sein, in der sich die Einzelnen aufgehoben und getragen fühlen. Und so besteht die Kernstrategie des Handelns dieser Pseudobewegungen immer darin, sich mit den Herrschenden zu verbünden, um die eigenen Ziele zu erreichen. Darin gleichen sie den Nerds in der Schule, die nicht gegen den Lehrer aufbegehren, sondern im Gegenteil das Bündnis mit ihm suchen. Immer nur die Schwachen sind es, die die Starken dafür zu benutzen versuchen, dass sie stellvertretend für sie Auseinandersetzungen führen. Die, die sich stark fühlen, erledigen das selbst.

      Und so suchen die neuen Opferbewegungen das Bündnis mit dem digitalen Kapital, mit den Herrschenden der Politik, mit den Gewerkschaften, den Generaldirektoren der internationalen Monopole, mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, mit allen denen, die die Eigenschaften haben, die ihnen fehlen, Selbstvertrauen, Rückgrat und Stärke.

      Ein anderes Beispiel: Die Türk:innen, auch wenn sie Österreicher:innen oder Deutsche geworden sind, stehen mit Begeisterung zu ihrem Herkunftsland, und bei jeder Gelegenheit packen sie die türkische Fahne aus, während den mitteleuropäischen Bildungsbürger:innen Patriotismus und Nationalstolz als antiquiert gelten, den Linken unter ihnen sogar als politisch rechtsstehend, wenn nicht gar als rechtsextrem. Was vor allem den bildungsnahen Schichten bei Strafe der Ächtung und Ausschließung aus der Gemeinschaft der zivilisierten Menschheit verboten ist, bewundern sie insgeheim an den Migrant:innen, eine Art naturwüchsigen Nationalismus, der nicht einmal im Traum auf die Idee kommen würde, seine patriotischen Gefühle kritisch zu reflektieren. Wenn man sich fast nichts mehr spontan und mit dem Gefühl der Selbstverständlichkeit zu tun erlaubt, dann beginnt man jene insgeheim zu bewundern, die sich ein Leben ohne die ständige Kontrolle durch ein grausames, normopathisches, kollektives Über-Ich erlauben.

      Die selbsterdrückende Reflexivität, die alles unter Verdacht stellt, was bisher selbstverständlich gedacht oder gesagt wurde, quält vor allem die bildungsnahen Schichten der Generation Corona, die Jugendlichen, die aus dem obersten Gesellschaftsdrittel kommen. Die Jugendlichen aus der Arbeiterund Mittelklasse haben einen weit weniger kritischen Zugang zum kulturellen Erbe, sowohl was überlieferte Lebensweisheiten, Weltbilder und Ideologien als auch ästhetische Formen und traditionelle Sprechakte betrifft. Im Gegenteil, sie finden die neuen Sprachnormen der linken Bourgeoisie grotesk, wenn sie zum Beispiel davon hören, dass man heute nicht mehr das Wort Muttermilch verwenden darf und stattdessen von der „Milch des Menschen“ zu sprechen hat, damit man die nicht kränkt, die von der weiblichen Elternrolle in die männliche gewechselt sind und ihr Kind stillen.

      Das Verhalten von Schüler:innen und Studierenden auf ihrer Jagd nach ECTS-Punkten erinnert frappant an das Investitionsverhalten der Start-up-Kultur. Den Investor:innen ist es völlig egal, womit die Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, ihr Geld verdienen. Hauptsache, sie verdienen es üppig und werfen hohe Renditen ab. Ist die Plattform, die Partnerschaften oder geile kurzfristige Dates vermittelt, genug wert, wird sie verkauft, um dann das Geld vielleicht in ein Medizin-Technik-Unternehmen zu investieren. Wichtig ist allein die Kohle, unwichtig, womit man sie verdient. Der schottisch-amerikanische Philosoph Alasdaire MacIntyre würde sagen, hier wird nur mehr nach dem äußeren Gut entschieden, das inhärente Gute, die eigentliche Sache, ist völlig neutralisiert (vgl. MacIntyre 1995).

      Interessant ist, dass auch viele Angehörige der Generation Corona ihre Studien- und Berufswahl nach der neoliberalen Logik treffen. Es wird nicht das Fach gewählt, für das man sich am meisten interessiert, sondern jenes, in dem die späteren Verdienstmöglichkeiten am höchsten sind. Ein Trend, den man jetzt auch schon unter Auszubildenden finden kann, wie Berufsberater:innen erzählen. Begeistert man Schüler:innen zum Beispiel für einen Lehrberuf im Gesundheitswesen, so schwenken sie, nachdem man ihnen einen Überblick über den Monatsverdienst aller Ausbildungsberufe gegeben hat, auf die lukrativeren Branchen um. Die Logik des neoliberalen Materialismus hat alle Schichten und Milieus der Gesellschaft ergriffen. Es zeigt sich, dass die von Gilles Deleuze schon in den 1980er Jahren getroffene Feststellung zutrifft, dass der Neoliberalismus wie ein Gas funktioniert, das in alle Poren der Gesellschaft eindringt und binnen kürzester Zeit allen Institutionen, von der Familie über die Politik bis zu den kommunalen Einrichtungen, seine Prinzipien aufzwingt (vgl. Heinzlmaier 2013).

      Der Neoliberalismus „geht viral“, wie man heute holprig sagt, und verhält sich wie das gefürchtete Corona-Virus. Wenn zum Beispiel ein Lehrer vom neoliberalen Virus befallen ist und die persuasiven Fähigkeiten zum „Superspreading“ besitzt, so kann er in einem Schuljahr hunderte Schüler:innen anstecken. In der Regel ist bei allen Befallenen der Krankheitsverlauf ein schwerer. Sie verlieren völlig den Respekt vor humanistischen Werten, Traditionen, Kulturgütern, Gemeinschaftseinrichtungen, sozialen Initiativen. Was für sie zählt, ist am Ende immer nur der individuelle Erfolg, das persönliche Image, das Einkommen, der demonstrative Konsum.

      Die postmoderne Start-up-Kultur, in der man, aus Mangel an kultureller und humanistischer Bildung, über „schöpferische Zerstörung“ und „Disruption“ vor sich hin salbadert, diese hohle markttotalitäre Gesinnungsgemeinschaft, auch sie ist ein Teil der Generation Corona. An ihr zeigt sich, dass das allgemeine Gerede über „die Jugend“ völlig verfehlt ist. Auch die pathetische Rede von der Jugend, „die unsere Zukunft ist“, liegt weit daneben. Mit der Start-up-Kultur sehen wir einen veränderungsaggressiven Teil des Jugendsegments, der nicht unsere Zukunft ist, sondern unser Untergang, weil er der Gesellschaft alles das entzieht, was eine Zivilisation ausmacht: Solidarität, Toleranz, soziale Empathie, das Streben nach Gerechtigkeit, den Kampf gegen soziale Ungleichheit und den Respekt vor dem kulturellen Erbe, das von den Vorfahr:innen weitergegeben wurde. Wir haben heute zurecht Angst vor dem Corona-Virus. Aber zu unserem Glück gibt es dagegen eine Impfung. Ein Gegenmittel, um das Virus des Neoliberalismus zu stoppen, ist noch nicht gefunden.

      Das wichtigste und bedeutendste Projekt, dass jetzt in den Schulen und auf den Hochschulen läuft, ist das der Entpolitisierung und Entdemokratisierung von Forschung und Lehre. Schulen und Universitäten werden gerade zu Lernfabriken umgebaut, in denen das neoliberale Denken unumschränkt herrscht. Es dominiert auch in den auf den ersten Blick gesellschaftskritisch erscheinenden Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Diese werden von der geschickt getarnten Variante des Neoliberalismus gelenkt, dem progressiven Neoliberalismus, den wir bereits anhand des Beispiels Amazon kennengelernt haben.

      Nach der Ideologie des progressiven Neoliberalismus darf die universitäre Lehre und Forschung zwar links und progressiv sein, aber nur in Themenbereichen, die die wirtschaftlichen Grundlagen des herrschenden Systems nicht kritisch infrage stellen. So dürfen Schüler:innen, Studierende und Hochschullehrer:innen sich gerne gegen den Klimawandel, den grassierenden Rassismus und Sexismus und einzelne Facetten des Postkolonialismus engagieren, weniger gern gesehen wird aber, wenn sie gegen das ausbeuterische Großkapital, die hemmungslos gierigen Börsenspiele des Finanzkapitals oder gar die arbeitnehmer:innen- und gewerkschaftsfeindlichen Praktiken des digitalen Kapitals und großer Handelsketten, Mobilitätsanbieter und Lieferdienste auftreten.

      Die soziale Ungleichheit und das immer größer werdende Machtgefälle zwischen den reichen und superreichen Tycoons aus dem Silicon

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