Sisis schöne Leichen. Thomas Brezina

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Sisis schöne Leichen - Thomas Brezina

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      »Ida, ich möchte schöne Leichen haben.«

      Die Hofdame war an die ausgefallenen Wünsche von Kaiserin Elisabeth gewohnt. Doch dieser ließ sie verzweifeln. Wie sollte ihn Ida erfüllen?

      Bekleidet mit einem weißen Morgenmantel aus Seide, Ränder und Saum mit Spitzen besetzt, lag die Kaiserin auf der Chaiselongue in ihrem Gartenappartement im Schloss Schönbrunn. Die Fenster des Raumes waren geschlossen, um Hitze und Licht draußen zu halten. Die hohen Temperaturen waren für die Jahreszeit ungewöhnlich. Vielleicht waren sie der Grund für Elisabeths nicht nachlassende Migräne.

      »Bringe mir schöne Leichen«, wiederholte Elisabeth.

      Für Ida klang die Kaiserin wie ein krankes Kind, das sich von den Eltern ein Geschenk zur Besserung wünschte.

      »Elisabeth, du wirst verstehen…«, begann Ida. Es gab nur wenige Menschen, die Kaiserin Elisabeth mit dem vertrauten Du ansprechen durften. Ida gehörte zu ihnen, zumindest, wenn die beiden alleine waren. »Es ist nicht so einfach, sie zu beschaffen.«

      Die Kaiserin seufzte. Obwohl Ida ein Jahr jünger war als Elisabeth, empfand die Hofdame manchmal mütterliche Gefühle für sie. Ganz besonders an einem Tag wie heute, an dem Elisabeth so litt.

      Ihre langen, dunkelbraunen Haare waren zu zwei lockeren Zöpfen geflochten. Sie ruhten hinter der Kaiserin leicht erhöht auf Gestellen mit vergoldeten Füßen und Querstangen. So wurde die Kopfhaut entlastet, für die das Gewicht der wadenlangen Haare eine große Strapaze darstellte. Der Hofarzt hatte der Kaiserin diese Therapie bei Migräne und Kopfschmerz verordnet.

      »Wirst du heute Abend dem Empfang beiwohnen und der Delegation aus China die Ehre geben?«, fragte Ida, obwohl sie die Antwort im Voraus kannte.

      »Bestelle dem Kaiser, dass ich zu krank dafür bin.« Elisabeth schloss die Augen und atmete tief aus.

      »Ich werde es auf der Stelle tun.« Ida war bereits aufgestanden, doch die Kaiserin rief sie zurück.

      »Warte!«

      Ida wandte sich um.

      »Du vergisst die schönen Leichen nicht.«

      Im Stillen verfluchte Ida die Friseuse Fanny. Sie hatte der Kaiserin vor einigen Tagen beim täglichen Bürsten von den schönen Leichen erzählt. Seither wollte Elisabeth eine ganze Sammlung davon anlegen.

      »Ich tue mein Bestes«, versprach sie.

      »Beeile dich. Ich will die Schönheit des Todes studieren.«

      »Sehr wohl, Elisabeth.« Ida verließ das Zimmer und schloss leise die Türe hinter sich. Als sie zur Wendeltreppe schritt, die nach oben in das kaiserliche Appartement führte, räusperte sich jemand hinter ihr. Ida drehte sich erschrocken um.

      Neben der Tür, die in den Garten führte, saß ein Mann, den Hut auf seinen Knien. Niemand außer den Hofdamen und Bediensteten hatte Zutritt zum privaten Appartement der Kaiserin.

      Ida öffnete den Mund, um nach der Wache zu rufen. Der flehende Blick des Mannes ließ sie innehalten. Ihre Augen wanderten über seinen schlichten Anzug. Rock und Hosen waren weit und an Ellbogen und Knien etwas ausgebeult. Sein Haupt war bis auf einen dünnen, dunklen Haarkranz kahl. Die blauen Flecken an seinen Fingern sahen nach Tinte aus. Sie kannte ihn. Aber woher?

      »Alfred Oberland«, stellte er sich vor. »Hofbibliothekar und Lehrer der Künste für Seine Hoheit, den Kronprinzen.«

      Ida erinnerte sich, den Mann in Begleitung von Josef Latour gesehen zu haben, der seit einigen Monaten für die Erziehung des Kronprinzen verantwortlich war.

      »Wer hat Sie hereingelassen?«

      Oberland hatte eine leicht gebückte, devote Haltung. »Oberst Latour hat mich bei Ihrer Majestät, der Kaiserin, angekündigt.«

      »Das muss mir entgangen sein«, entgegnete Ida kühl. Sie wusste über alle Audienzen und andere Verpflichtungen von Elisabeth Bescheid.

      »Oberst Latour hatte die Freundlichkeit, der Kaiserin zu bestellen, dass ich ihr etwas übergeben möchte.« Er zog ein flaches Päckchen aus seinem schwarzen Rock. Es war in festes, graues Papier eingeschlagen und mehrfach mit Faden umwickelt. Ein dickes, grünes Siegel prangte über dem Knoten der Verschnürung.

      Idas Blick wanderte von dem Päckchen zu den wässrigen Augen des Mannes. Es rührte sie, wie er mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Blick dastand.

      »Ich bitte Sie, ich muss zur Kaiserin und das hier in ihre Hände legen.« Oberlands Stimme war ein leises Flehen.

      »Das ist am heutigen Tage unmöglich.« Die Hofdame stellte sich vor die Tür des Zimmers, in dem Elisabeth lag, um ihm ohne weitere Worte klarzumachen, dass er gehen sollte.

      »Bitte«, wiederholte er leise. »Es ist von großer Dringlichkeit. Glauben Sie mir!«

      »Geben Sie mir, was Sie für die Kaiserin haben. Ich werde es an sie weiterleiten.« Ida streckte die Hand nach dem Päckchen aus, aber Oberland zog es zurück.

      »Nein, nein, nein, ich muss es ihr persönlich geben und dazu eine sehr vertrauliche Mitteilung machen.«

      »Suchen Sie um eine neue Audienz an.« Ida konnte mit ihren 26 Jahren bestimmter auftreten, als ihre mädchenhafte Erscheinung erwarten ließ.

      Alfred Oberland hob an, etwas zu sagen, unterließ es dann aber. Er wandte sich um und schritt zum Ausgang. Grüßend nickte er ihr noch einmal zu, bevor er die Türe öffnete und die Stufen hinunterging.

      Kurz darauf war er im Park von Schloss Schönbrunn verschwunden.

29. Mai 1866

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      Latour wusste, dass er keine Schuld an dem trug, was die Kaiserkinder an diesem Tag hatten mitansehen müssen. Er konnte doch nicht ahnen, dass der Mann vor Gisela und Rudolfs Augen tot umfallen würde.

      Josef Latour war erst seit einigen Monaten von Elisabeth mit der Erziehung des Kronprinzen betraut worden. Er wusste, dass sie seine Besetzung gegen den Widerstand des Kaisers durchgesetzt hatte. Man erzählte sich im Schloss, Elisabeth hätte dem Kaiser ein Ultimatum gestellt: Entweder sie durfte allein darüber entscheiden, wo sie wohnte, wohin sie reiste und von wem der Kronprinz unterrichtet wurde, oder sie würde Kaiser Franz Joseph verlassen.

      Der Kaiser hatte nachgegeben. Ob aus Liebe oder Angst vor dem Skandal, konnte Latour nicht einschätzen.

      Und nun dieser schreckliche Vorfall. Dabei hatte alles wunderbar begonnen.

      Alexander, der junge Naturkundelehrer, hatte vorgeschlagen, mit Rudolf einen Ausflug zu machen. Um ihm das Leben der Bienen näherzubringen, wollte er mit dem Kronprinzen und Latour seinen Vater besuchen, dessen große Leidenschaft die Imkerei war.

      Kronprinz

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