Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman. Ehrhard Bahr
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman - Ehrhard Bahr страница 11
»Ich bitte Sie, mein Herr«, versetzte sie, »es muss mir gar wunderbar vorkommen, dass Sie mich um meinen Namen und mein Alter fragen, da Sie sehr gut wissen, wie ich heiße, und dass ich so alt wie Ihr ältester Sohn bin. Was Sie von mir wissen wollen und was Sie wissen müssen, will ich gern ohne Umschweife sagen.
Seit meines Vaters zweiter Heirat werde ich zu Hause nicht zum Besten gehalten. Ich hätte einige hübsche Partien tun können, wenn nicht meine Stiefmutter aus Furcht vor der Ausstattung sie zu vereiteln gewusst hätte. Nun habe ich den jungen Melina kennenlernen, ich habe ihn lieben müssen, und da wir die Hindernisse voraussahen, die unserer Verbindung im Wege stunden, entschlossen wir uns, miteinander in der weiten Welt ein Glück zu suchen, das uns zu Hause nicht gewährt schien. Ich habe nichts mitgenommen, als was mein Eigen war; wir sind nicht als Diebe und Räuber entflohen, und mein Geliebter verdient nicht, dass er mit Ketten und Banden belegt herumgeschleppt werde. Der Fürst ist gerecht, er wird diese Härte nicht billigen. Wenn wir strafbar sind, so sind wir es nicht auf diese Weise.«
Der alte Amtmann kam hierüber doppelt und dreifach in Verlegenheit. Die gnädigsten Ausputzer summten ihm schon um den Kopf, und die geläufige Rede des Mädchens hatte ihm den Entwurf des Protokolls gänzlich zerrüttet. Das Übel wurde noch größer, als sie bei wiederholten ordentlichen Fragen sich nicht weiter einlassen wollte, sondern sich auf das, was sie eben gesagt, standhaft berief.
»Ich bin keine Verbrecherin«, sagte sie. »Man hat mich [60]auf Strohbündeln zur Schande hierhergeführt; es ist eine höhere Gerechtigkeit, die uns wieder zu Ehren bringen soll.«
Der Aktuarius hatte indessen immer ihre Worte nachgeschrieben und flüsterte dem Amtmanne zu: er solle nur weitergehen; ein förmliches Protokoll würde sich nachher schon verfassen lassen.
Der Alte nahm wieder Mut und fing nun an, nach den süßen Geheimnissen der Liebe mit dürren Worten und in hergebrachten, trockenen Formeln sich zu erkundigen.
Wilhelmen stieg die Röte ins Gesicht, und die Wangen der artigen Verbrecherin belebten sich gleichfalls durch die reizende Farbe der Schamhaftigkeit. Sie schwieg und stockte, bis die Verlegenheit selbst zuletzt ihren Mut zu erhöhen schien.
»Sein Sie versichert«, rief sie aus, »dass ich stark genug sein würde, die Wahrheit zu bekennen, wenn ich auch gegen mich selbst sprechen müsste; sollte ich nun zaudern und stocken, da sie mir Ehre macht? Ja, ich habe ihn von dem Augenblicke an, da ich seiner Neigung und seiner Treue gewiss war, als meinen Ehemann angesehen; ich habe ihm alles gerne gegönnt, was die Liebe fordert und was ein überzeugtes Herz nicht versagen kann. Machen Sie nun mit mir, was Sie wollen. Wenn ich einen Augenblick zu gestehen zauderte, so war die Furcht, dass mein Bekenntnis für meinen Geliebten schlimme Folgen haben könnte, allein daran Ursache.«
Wilhelm fasste, als er ihr Geständnis hörte, einen hohen Begriff von den Gesinnungen des Mädchens, indes sie die Gerichtspersonen für eine freche Dirne erkannten und die gegenwärtigen Bürger Gott dankten, dass dergleichen Fälle [61]in ihren Familien entweder nicht vorgekommen oder nicht bekannt geworden waren.
Wilhelm versetzte seine Mariane in diesem Augenblicke vor den Richterstuhl, legte ihr noch schönere Worte in den Mund, ließ ihre Aufrichtigkeit noch herzlicher und ihr Bekenntnis noch edler werden. Die heftigste Leidenschaft, beiden Liebenden zu helfen, bemächtigte sich seiner. Er verbarg sie nicht und bat den zaudernden Amtmann heimlich, er möchte doch der Sache ein Ende machen, es sei ja alles so klar als möglich und bedürfe keiner weitern Untersuchung.
Dieses half so viel, dass man das Mädchen abtreten, dafür aber den jungen Menschen, nachdem man ihm vor der Türe die Fesseln abgenommen hatte, hereinkommen ließ. Dieser schien über sein Schicksal mehr nachdenkend. Seine Antworten waren gesetzter, und wenn er von einer Seite weniger heroische Freimütigkeit zeigte, so empfahl er sich hingegen durch Bestimmtheit und Ordnung seiner Aussage.
Da auch dieses Verhör geendiget war, welches mit dem vorigen in allem übereinstimmte, nur dass er, um das Mädchen zu schonen, hartnäckig leugnete, was sie selbst schon bekannt hatte, ließ man auch sie endlich wieder vortreten, und es entstand zwischen beiden eine Szene, welche ihnen das Herz unsers Freundes gänzlich zu eigen machte.
Was nur in Romanen und Komödien vorzugehen pflegt, sah er hier in einer unangenehmen Gerichtsstube vor seinen Augen: den Streit wechselseitiger Großmut, die Stärke der Liebe im Unglück.
»Ist es denn also wahr«, sagte er bei sich selbst, »dass die schüchterne Zärtlichkeit, die vor dem Auge der Sonne und der Menschen sich verbirgt und nur in abgesonderter [62]Einsamkeit, in tiefem Geheimnisse zu genießen wagt, wenn sie durch einen feindseligen Zufall hervorgeschleppt wird, sich alsdann mutiger, stärker, tapferer zeigt als andere brausende und großtuende Leidenschaften?«
Zu seinem Troste schloss sich die ganze Handlung noch ziemlich bald. Sie wurden beide in leidliche Verwahrung genommen, und wenn es möglich gewesen wäre, so hätte er noch diesen Abend das Frauenzimmer zu ihren Eltern hinübergebracht. Denn er setzte sich fest vor, hier ein Mittelsmann zu werden und die glückliche und anständige Verbindung beider Liebenden zu befördern.
Er erbat sich von dem Amtmanne die Erlaubnis, mit Melina allein zu reden, welche ihm denn auch ohne Schwierigkeit verstattet wurde.
Vierzehntes Kapitel
Das Gespräch der beiden neuen Bekannten wurde gar bald vertraut und lebhaft. Denn als Wilhelm dem niedergeschlagnen Jüngling sein Verhältnis zu den Eltern des Frauenzimmers entdeckte, sich zum Mittler anbot und selbst die besten Hoffnungen zeigte, erheiterte sich das traurige und sorgenvolle Gemüt des Gefangnen, er fühlte sich schon wieder befreit, mit seinen Schwiegereltern versöhnt, und es war nun von künftigem Erwerb und Unterkommen die Rede.
»Darüber werden Sie doch nicht in Verlegenheit sein«, versetzte Wilhelm; »denn Sie scheinen mir beiderseits von der Natur bestimmt, in dem Stande, den Sie gewählt haben, Ihr Glück zu machen. Eine angenehme Gestalt, eine wohlklingende Stimme, ein gefühlvolles Herz! Können [63]Schauspieler besser ausgestattet sein? Kann ich Ihnen mit einigen Empfehlungen dienen, so wird es mir viel Freude machen.«
»Ich danke Ihnen von Herzen«, versetzte der andere; »aber ich werde wohl schwerlich davon Gebrauch machen können, denn ich denke, wo möglich, nicht auf das Theater zurückzukehren.«
»Daran tun Sie sehr übel«, sagte Wilhelm nach einer Pause, in welcher er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, denn er dachte nicht anders, als dass der Schauspieler, sobald er mit seiner jungen Gattin befreit worden, das Theater aufsuchen werde. Es schien ihm ebenso natürlich und notwendig, als dass der Frosch das Wasser sucht. Nicht einen Augenblick hatte er daran gezweifelt und musste nun zu seinem Erstaunen das Gegenteil erfahren.
»Ja«, versetzte der andere, »ich habe mir vorgenommen, nicht wieder auf das Theater zurückzukehren, vielmehr eine bürgerliche Bedienung, sie sei auch welche sie wolle, anzunehmen, wenn ich nur eine erhalten kann.«
»Das ist ein sonderbarer Entschluss, den ich nicht billigen kann; denn ohne besondere Ursache ist es niemals ratsam, die Lebensart, die man ergriffen hat, zu verändern, und überdies wüsste ich keinen Stand, der so viel Annehmlichkeiten, so viel reizende Aussichten darböte, als den eines Schauspielers.«
»Man sieht, dass Sie keiner gewesen sind«, versetzte jener.
Darauf sagte Wilhelm: »Mein Herr, wie selten ist der Mensch mit dem Zustande zufrieden, in dem er sich befindet! Er wünscht