Energiesicherheit. Sascha Müller-Kraenner

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Energiesicherheit - Sascha Müller-Kraenner

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und Unfälle bedrohen einheimische Tier- und Pflanzenarten und entziehen der einheimischen Land- und Jagdwirtschaft damit die Grundlage. Die Menschen vor Ort werden meist nicht gefragt, wenn das Energieministerium aus der Hauptstadt oder der multinationale Ölkonzern aus dem Ausland bei ihnen bauen und investieren.

      Wo das Öl regiert, kommt die lokale Mitbestimmung meist zu kurz. Die Verletzung von Menschenrechten und die Störung traditioneller Lebensweisen der einheimischen Bevölkerung führen zu sozialen Konflikten und politischer Instabilität. Die Interessenvertretungen indigener Völker und internationale Umweltverbände werden bei ihrem Versuch, der Kolonisierung der letzten Naturparadiese durch die internationalen Energiekonzerne Einhalt zu gebieten, von den Regierungen oft alleingelassen.

      Wenn das Zeitalter der fossilen Energien wirklich zu Ende geht, stellt sich – vielleicht schneller als gedacht – die Frage, was danach kommt. Nicht jeder Tropfen Öl, nicht jeder Kubikmeter Gas und nicht alle Kohle werden noch gefördert werden. Natürliche Herausforderungen und politische Krisen machen die Erschließung der verbleibenden fossilen Ressourcen schwieriger und teurer. Gerade die Ärmsten der Welt sind deshalb die Hauptbetroffenen. Sie werden ihre Öl- und Gasrechnung in Zukunft schlicht nicht mehr bezahlen können. Deswegen sucht die Energiewirtschaft mit Hochdruck nach Alternativen. Dabei stehen sich zwei Strategien diametral gegenüber: der verstärkte Ausbau der Atomenergie, eventuell ergänzt durch futuristische Fusionsreaktoren, einerseits sowie eine anspruchsvolle Klimaschutzpolitik, die auf Energieeinsparung und erneuerbare Energien setzt, andererseits. Im Zeitalter des internationalen Terrorismus steigt jedoch auch die Sorge vor der nuklearen Proliferation. Nicht nur aus umwelt-, sondern auch aus sicherheitspolitischer Sicht gehört den erneuerbaren Energien deshalb die Zukunft.

      Doch die Wende »Weg vom Öl« erfordert nicht nur entsprechende betriebswirtschaftliche Weichenstellungen der einzelnen Energieunternehmen sowie eine volkswirtschaftliche Entscheidung jedes Staates über seinen Energiemix; sie kann letztendlich nur durch internationale Kooperation geleistet werden: durch eine internationale Energiediplomatie.

      Die Menschheit steht vor der Alternative, ob die Entscheidung über ihre gemeinsame Energiezukunft friedlich fällt oder ob in naher Zukunft Ressourcenkriege drohen. Das Gefüge völkerrechtlicher Verträge und Institutionen, die den Bereich der internationalen Energiepolitik regeln, ist jedoch noch lückenhaft. Eine neue Weltumweltorganisation und eine Agentur zur Förderung erneuerbarer Energien könnten etablierte Einrichtungen wie die Internationale Energieagentur ersetzen.

      Wie sieht also eine weltweite Energiepolitik aus, in der nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts regiert? Wie können knapper werdende Ressourcen gemeinsam bewirtschaftet und Ressourcenkriege abgewendet werden? Wie kann verhindert werden, dass beim Zugriff auf die letzten Rohstoffe unberührte Naturräume unwiederbringlich zerstört werden? Und wie sieht letztendlich eine internationale Energiepolitik aus, die nicht nur sichere, preiswerte Energie zur Verfügung stellt, sondern auch die Menschheitsfrage des Klimaschutzes beantwortet?

      KAPITEL 1

      VOR EINER NEUEN ENERGIEKRISE

      Die Welt steht vor einer neuen Energiekrise. Im Gegensatz zu den Ölkrisen der siebziger und achtziger Jahre handelt es sich nicht um einen der bekannten zyklischen Preisanstiege, sondern um einen langfristigen Trend zur Ressourcenverknappung, der durch den Eintritt wichtiger Schwellenländer wie Indien und China auf den Weltenergiemarkt hervorgerufen wurde. Den knapper werdenden Vorräten an Öl und Gas steht ein stetig wachsender Bedarf gegenüber. Nur Kohle scheint über einen längeren Zeitraum in ausreichendem Maße vorhanden zu sein. Die Verbrennung aller fossilen Kohlevorräte wäre jedoch eine enorme Umweltbelastung, weil sich dadurch der weltweite Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid nochmals erhöhen würde. Neben der Energiekrise rückt auch die drohende Klimakrise immer mehr ins Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit. Die ersten Auswirkungen des globalen Klimawandels sind in der Arktis und anderen empfindlichen Ökosystemen schließlich schon heute zu beobachten.

      Die sich abzeichnende Energiekrise droht außerdem, die politischen Gewichte auf der Welt zu verschieben. Die verbleibenden Öl- und Gasvorräte konzentrieren sich am Persischen Golf, in Zentralasien und Russland. Für Europa besteht daher die Gefahr, in die Abhängigkeit politisch instabiler und undemokratisch verfasster Länder, der neuen Energiegroßmächte der Zukunft, zu geraten. Wenn es Europa und anderen Ländern aber gelingt, auf erneuerbare Energien zu setzen, können sich auch die Machtverhältnisse im geopolitischen Kräftespiel wieder zu ihren Gunsten ändern.

      Business as usual

      Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris wurde nach der ersten Ölkrise 1973 gegründet; sie beobachtet die Entwicklung der weltweiten Energiemärkte. Ihr jährlicher World Energy Outlook veröffentlicht regelmäßig erhobene Daten über die Trends des Energieverbrauchs, der Förderung und Preisentwicklung in allen großen Industrie- und Schwellenländern. Ein Blick auf die neuesten von der IEA veröffentlichten Zahlen lohnt sich, um zu verstehen, welche dramatischen Entwicklungen sich in den weltweiten Energiemärkten abzeichnen und welche politischen Herausforderungen darin liegen.

      Im World Energy Outlook 2005 hat die IEA ein Szenario für den Zeitraum von 2005 bis 2030 erstellt. Grundannahme ist, dass die Energiepolitik der großen Industrie- und Schwellenländer sich in diesem Zeitraum nicht wesentlich ändert. Die Amerikaner nennen so etwas »business as usual«, das heißt »die Geschäfte laufen weiter wie bisher«. Bei Fortsetzung der heutigen Trends sowie auf Grundlage der erwarteten Entwicklung der Weltwirtschaft haben die Experten der IEA errechnet, dass der weltweite Energieverbrauch bis 2030 um 50 Prozent ansteigen wird.

      Nach diesem Trendszenario wird die Energieversorgung auch 2030 im Wesentlichen auf fossilen Energieträgern beruhen. Der globale Verbrauch von Öl, Gas und Kohle wird demnach weiter zunehmen. Der Hauptteil des Anstiegs erfolgt in den großen Schwellenländern Indien und China. In der Folge wird der Ausstoß des Treibhausgases CO2 jährlich um 1,6 Prozent ansteigen. Ziel der UN-Klimakonvention, die 1992 auf dem Weltgipfel von Rio verabschiedet wurde, war, diesen Trend bis zum Jahr 2000 umzukehren und den CO2-Ausstoß unter den Stand von 1990 zu senken. Dieses Ziel ist heute schon nicht mehr zu schaffen. Der Anteil der Kernenergie würde bei Fortsetzung des jetzigen Trends sinken, da derzeit weniger neue Reaktoren geplant als stillgelegt werden. Der Anteil erneuerbarer Energien wie Sonne, Wind, Wasser und Biomasse würde schneller steigen als der aller anderen Energieformen. Da die erneuerbaren Energien ihr Wachstum auf niedrigem Niveau beginnen, würden sie trotz einer hohen jährlichen Steigerungsrate von erwarteten 6,2 Prozent jedoch auch 2030 nur zwei Prozent des gesamten Primärenergiebedarfs decken.

      Der jährliche Energiereport des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums bestätigt die Zahlen der IEA. Für Deutschland würde demnach bis 2030 der rechnerisch zusammengenommene Anteil der nichtfossilen Energien, also von Atomenergie und erneuerbaren Energien, bei Fortsetzung jetziger Trends, also einem moderaten Ausbau der erneuerbaren Energien bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomenergie, eher ab- als zunehmen. Der Anteil von Öl und Erdgas am Energiemix würde im gleichen Zeitraum von 59 auf 70 Prozent steigen. Das Wirtschaftsministerium weist außerdem darauf hin, dass die europäische Produktion aus den Öl- und Gasfeldern der Nordsee weiter zurückgehen, also die Importabhängigkeit von Russland und dem Nahen Osten wachsen wird.

      Dabei bereitet den Ministerialexperten die politische Entwicklung in beiden Regionen Sorgen. Die politischen Transformationsprozesse in Russland sind noch nicht abgeschlossen. Niemand weiß, ob Russland sich langfristig zu einer stabilen Demokratie und Marktwirtschaft entwickeln wird. Der Nahe Osten ist sicherheitspolitisch die Krisenregion Nummer eins. Eine verlässliche Energieversorgung aus dieser Region ist also nicht sichergestellt. Hinzu kommt, dass bisher weder Russland noch die meisten Golfstaaten Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO sind. Im Fall eines Handelskonflikts ist für sie also nicht einmal

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