Die ganze Geschichte. Yanis Varoufakis

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Die ganze Geschichte - Yanis Varoufakis

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Fabrik abbrannte und er die Versicherungssumme kassierte. Der zweite Golfer bekennt, dass er zu seinem Geld kam, als eine Flutwelle sein Unternehmen vernichtete und er einen hübschen Scheck von der Versicherung erhielt. Der erste Golfer schaut ihn verblüfft an: »Aber wie hast du das mit der Flut gemacht?«

      Ministerpräsident Samaras und Zentralbankchef Stournaras hatten bei uns zu Hause Feuer gelegt in Form eines Bankensturms, und wir würden das Feuer löschen müssen, während wir gleichzeitig mit mächtigen ausländischen Gläubigern verhandeln mussten, die ihr Geld eigentlich gar nicht zurückhaben wollten. Unterdessen würden unsere Zentralbank, die Europäische Zentralbank, die griechische Oligarchie und die Medien Öl ins Feuer gießen. Unser einziger Verbündeter gegen eine solche Allianz würde ein geschlagener, deprimierter, aber hoffentlich entschlossener demos sein.

      Wahrheit ohne Angst

      Seit Griechenland in dem Käfig der nicht rückzahlbaren Schulden steckte, hatte man mich als Narr hingestellt. Das Establishment nannte mich so, weil ich mich weigerte anzuerkennen, dass ein Nein zu ihren Rettungspaketen den Ausschluss aus dem Euro bedeutete. In einer Demonstration von anrührender Überparteilichkeit bezeichneten mich viele Linke aus exakt dem gleichen Grund ebenfalls als Narr: Für sie war mein Ziel, Griechenland innerhalb der Eurozone zu emanzipieren, ein Hirngespinst.

      Dieser unwahrscheinliche Konsens über Parteigrenzen hinweg signalisierte den Griechen, dass sie vor einer einfachen Wahl standen: entweder weiter schweigend im Schuldgefängnis leiden, um die letzten Euros zu behalten, die sie noch in der Tasche hatten, oder die Eurozone verlassen, möglicherweise auch die Europäische Union. Die Troika und ihre Anhänger in Griechenland, die griechische Kommunistische Partei und die Mitglieder der Linken Plattform von Syriza waren sich zwar uneins, welche der beiden Optionen vorzuziehen war, aber in einem Punkt stimmten sie überein: Varoufakis ist bestenfalls ein nützlicher Idiot, der Griechenlands rebellische Volksmassen in eine schreckliche Niederlage führen wird (die beharrliche Behauptung der Linken), und schlimmstenfalls ein gefährlicher Narzisst, möglicherweise ein Agent satanischer Kräfte, der zusammen mit George Soros und anderen amerikanisch-jüdischen Feinden des Euro Europa destabilisieren möchte (die Behauptung des Establishments). Diese beiden Denkschulen schafften das Unmögliche: ein und dieselbe Person zugleich als Feind von Griechenlands Platz in Europa und als Handlanger Brüssels hinzustellen.

      Weil ich mir der realen Gefahren bewusst war, die dieser mächtige Konsens heraufbeschwor, schrieb ich Anfang 2014 ein Buch mit dem Titel Die Entstehung von Bailout-Griechenland, das nur auf Griechisch erschien. Darin formulierte ich noch einmal das Argument, das ich seit Jahren wiederholte: Griechenland durfte nicht den Grexit anstreben, sondern sollte sich um eine praktikable Vereinbarung bemühen, die seinen Verbleib in der Eurozone sicherte. Eine solche Vereinbarung war möglich, aber keinesfalls sicher, sofern wir uns nicht durch die Drohung mit einem erzwungenen Grexit einschüchtern ließen.

      Eine Woche vor der Parlamentswahl am 25. Januar 2015 präsentierte ich das Buch im Megaro Musikis, der Athener Musikhalle, vor Hunderten Menschen vor Ort und weiteren zweihunderttausend, die die Veranstaltung per Videostream im Internet verfolgten. Das sollte meine einzige Wahlkampfveranstaltung sein, deshalb nutzte ich sie, um den Wählern meine Verhandlungsziele und meine Strategie darzulegen, genau wie ich es bei Alexis, Pappas und Dragasakis getan hatte. Ich schloss mit folgenden Worten:

      Wir können nur eine Schlussfolgerung ziehen: dass es sinnlos ist, mit der EU und dem IWF zu verhandeln, wenn wir die Kapitulation nicht mehr verabscheuen als den Grexit. Wenn Syriza tief im Innersten glaubt, dass der Grexit schlimmer ist als eine weitere Rettungsvereinbarung, dann sollte sie gleich am Anfang kapitulieren – oder am besten die Wahl gar nicht erst gewinnen. Das bedeutet nicht, dass wir den Grexit wollen oder darauf hinarbeiten sollen. Es bedeutet, dass der einzige Weg zu einer tragfähigen Vereinbarung innerhalb der Eurozone darin besteht, unseren Gläubigern maßvolle Vorschläge für eine neue Vereinbarung zu unterbreiten, während wir zugleich entschlossen sind, nicht vor der Drohung mit dem Grexit zu kapitulieren.

      Wenn ich mir überlege, was unsere Gläubiger vermutlich wollen, glaube ich wirklich, dass der Grexit eine leere Drohung ist, denn er wird die EU rund eine Billion Euro an staatlichen und privaten Schulden kosten, die sie abschreiben müssen, und in Europas Finanzlabyrinth wird es zu einer Kettenreaktion von Insolvenzen kommen. 2010 wurde ich kritisiert, weil ich auszusprechen wagte, dass die Regierung Papandreou Nein zu Berlin und Brüssel hätte sagen können, weil ein Grexit 2010 die französischen und deutschen Banken hätte explodieren lassen. Heute, fünf Jahre später, schelten mich dieselben Leute, weil ich eine Strategie vorschlage, die 2010 hätte funktionieren können. Nun, ich habe Nachrichten für sie: Ich hatte damals recht, wie sie heute selbst einräumen, und ich dürfte ziemlich sicher heute recht haben. Der Grexit wird sie immer noch teuer zu stehen kommen, trotz allem, was sie getan haben, um sich gegen seine Schockwellen abzuschirmen – und deshalb glaube ich, dass er eine leere Drohung ist.

      Natürlich kann es sein, dass ich mich irre. Vielleicht fürchten sie einen Kompromiss mit uns mehr als den Grexit. Aber selbst wenn ich mich irre, stellt euch die Frage: Trotz der zweifellos hohen Kosten eines Grexit – ist die weitere Mitgliedschaft im Euro in dauerhafter Schuldknechtschaft und ewiger Rezession die bessere Lösung?

      Meine Damen und Herren, genau wie ein friedliebendes Volk den Krieg nicht will, aber seine Freiheit nicht aufgeben wird, wenn es mit Krieg bedroht wird, ist es absolut rational, den Grexit abzulehnen, wie ich es tue, und trotzdem nicht bereit zu sein, in einem Staat mit einer dauerhaften Wirtschaftskrise zu leben, nur weil man uns mit dem Grexit droht.17

      Weil die Wahlen näher rückten und das Gerücht die Runde machte, ich werde der nächste Finanzminister sein, balancierte ich auf einem Drahtseil. Finanzminister gehen traditionell sparsam mit der Wahrheit um. Es wird sogar als ihre Pflicht angesehen, geplante Veränderungen abzustreiten wie Änderungen bei Zinssätzen oder Wechselkursen, selbst wenn sie so etwas bereits vorbereiten. Das soll schädliche vorweggenommene Reaktionen der Märkte verhindern, die den gewünschten Effekt der Veränderung zunichtemachen könnten. In meinem Fall musste ich dem griechischen Volk die Wahrheit über die bevorstehende finanzielle Aggression unserer Gläubiger sagen, ohne den Bankensturm auszulösen, der mich daran hindern würde, im Namen des Volkes einen anständigen Deal mit den Gläubigern auszuhandeln.

      Ich wählte die Strategie, zu sagen, wie die Dinge standen, mit einem Schuss Optimismus, dass alles gut ausgehen würde, wenn wir bei unserem Pakt blieben. In einem Interview im Privatfernsehen sagte ich an jenem Morgen: »Wenn Syriza nicht entschlossen ist, Mario Draghis Drohungen, die Banken zu schließen und die Geldautomaten zu sperren, mit der Erinnerung zu kontern, dass so eine Aggression den Geist und die Verträge der Europäischen Union verletzt, und dann den Hörer aufzulegen, hat es keinen Sinn, dass wir gewählt werden. Unser Volk muss auf solche Drohungen der EZB gefasst sein, die genau das mit den Iren und den Zyprioten gemacht hat.«

      Das waren nicht eben tröstende Worte von jemandem, der ins Finanzministerium strebte, aber weil das Volk unser einziger Verbündeter war, konnte ich es mir nicht leisten, es im Dunkeln zu lassen. Es musste auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein. Gleichzeitig musste ich ihm Mut machen. Auf die Frage in einem weiteren Fernsehinterview, ob die EZB unsere Banken schließen würde, antwortete ich taktisch: »Wenn wir unsere Karten richtig ausspielen, ist die Chance, dass das passiert, genauso groß wie die Aussicht, dass die Sonne am nächsten Tag nicht wieder aufgehen wird.«

      In einem Artikel, den ich einen Tag nach diesem Fernsehinterview veröffentlichte, war ich freimütiger. Ich warnte, dass während unserer Verhandlungen die Aktienkurse und alle finanziellen Kennzahlen in schwere Turbulenzen geraten würden. Gleichzeitig versuchte ich, Optimismus zu verbreiten: »Während die Verhandlungen laufen, werden die Märkte und die Spekulanten kurz vor einem Schlaganfall stehen. Aber wenn sie abgeschlossen sind und Griechenland als zahlungsfähiges Land wiederaufersteht, dann werden die Märkte harmonisch nach unserer Melodie tanzen.«18

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