Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten. Кристин Нефф

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Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten - Кристин Нефф

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Yin und Yang des Selbstmitgefühls

      Wenn wir die Qualitäten untersuchen, die beim Selbstmitgefühl eine Rolle spielen, sehen wir scheinbar entgegengesetzte Eigenschaften, die sich auch ergänzen und voneinander abhängig sind, wie die Konzepte von Yin und Yang in der traditionellen chinesischen Philosophie. Das Yin des Selbstmitgefühls umfasst die Qualitäten des »Seins« mit uns selbst auf eine mitfühlende Weise: Wir trösten, beruhigen und wertschätzen uns selbst. Das Yang des Selbstmitgefühls spielt eine Rolle beim »Handeln« in der Welt: Wir schützen, versorgen und motivieren uns selbst.

      Yin:

       Trösten: Trost können wir einer lieben Freundin spenden, die in Schwierigkeiten ist, und wir können uns selbst trösten. Es bedeutet, für die Erfüllung unserer emotionalen Bedürfnisse zu sorgen.

       Beruhigen: Beruhigen ist eine weitere Art, uns selbst zu helfen, uns besser zu fühlen, insbesondere physisch ruhiger zu werden.

       Anerkennen: Anerkennen bedeutet, dass wir unsere Erfahrung klar verstehen, dass wir Worte für diese Erfahrung finden können und dass wir freundlich und liebevoll mit uns selbst sprechen können.

      Yang:

       Schützen: Der erste Schritt in Richtung Selbstmitgefühl ist das Gefühl, sicher und geschützt zu sein. Schützen bedeutet, Nein zu Menschen zu sagen, die uns verletzen, oder zu den Verletzungen, die wir uns selbst auf unterschiedlichste Arten zufügen.

       Versorgen: Versorgen bedeutet, dass wir uns selbst geben, was wir wirklich brauchen. Zuerst müssen wir wissen, was wir brauchen, dann Ja dazu sagen; und dann können wir versuchen, unsere Bedürfnisse zu erfüllen.

       Motivieren: Wir alle haben Verhaltensmuster, die uns nicht mehr dienen und die wir loslassen müssen; und wir haben Träume und Ziele, die wir verwirklichen wollen. Selbstmitgefühl motiviert wie ein guter Coach durch Ermutigung, Unterstützung und Verständnis – nicht durch harsche Kritik.

      Das Yin des Selbstmitgefühls hilft uns, das Kämpfen aufzugeben und einfach mit offenem Herzen für uns selbst da zu sein. Eine gute Metapher für Yin-Selbstmitgefühl ist eine Mutter oder ein Vater, die oder der ein weinendes Kind in den Armen wiegt. Wenn wir uns verletzt oder unzulänglich fühlen, können wir auf liebevolle Weise mit uns selbst Kontakt aufnehmen, unseren Schmerz anerkennen und uns als die annehmen, die wir sind. Das Yang des Selbstmitgefühls bringt seine Handlungsenergie ein. Eine gute Metapher ist »Mama-Bär«, die ihre Jungen bei Bedrohungen schützt oder Fische fängt, um sie zu füttern, oder ihnen darüber hinaus noch mehr zu geben bereit ist. Yang-Selbstmitgefühl kann beherzt und kraftvoll sein – wir ziehen Grenzen, sagen Nein, stehen für uns selbst ein. Wir setzen uns für die Erfüllung unserer eigenen emotionalen, physischen und spirituellen Bedürfnisse ein, wohl wissend, dass sie wichtig sind. Wir üben konstruktive Kritik, um Veränderungen anzustoßen, weil wir uns selbst »am Herzen liegen« und nicht leiden wollen, und nicht, weil wir fürchten, nichts wert zu sein.

      Die Frage ist: »Was brauche ich jetzt?« Manchmal müssen wir aufstehen und entschlossen in der Welt handeln, und manchmal müssen wir uns auf sanfte, liebevolle Weise uns selbst zuwenden. Oft brauchen wir beides. Als Selbstmitgefühl Praktizierende können wir die verschiedenen Qualitäten des Mitgefühls im Sinn behalten und weise entscheiden, was wann gebraucht wird. Es ist sehr wichtig, dass wir sowohl die beherzten und kraftvollen als auch die sanften Seiten des Selbstmitgefühls würdigen. Wenn die Yin- und Yang-Aspekte des Selbstmitgefühls ausgewogen und integriert sind, manifestieren sie sich als fürsorgliche Kraft. Stärke erreicht mehr, wenn sie fürsorglich ist, weil sie sich auf die Linderung des Leidens konzentriert. Das ist die Botschaft großer Vorbilder wie Gandhi, Mutter Teresa oder Martin Luther King jr., die auf mitfühlendes Handeln setzten, um gesellschaftlichen Wandel zu bewirken. Wir können diese Kraft auch nach innen richten, indem wir Yin- und Yang-Selbstmitgefühl einsetzen, um mit Schwierigkeiten fertigzuwerden, innere Stärke zu entwickeln und wahren Frieden und Glück zu finden.

      Die Wurzeln des Selbstmitgefühls

      Paul Gilbert (2009), der die Entwicklung des Selbstmitgefühls aus der Perspektive der evolutionären Psychologie betrachtet, vertritt die These, dass unsere Art und Weise, mit uns selbst in Beziehung zu treten, in unsere physiologischen Prozesse eingreift. So aktiviert Selbstkritik beispielsweise unser inneres Bedrohungssystem (das mit Bedrohungsgefühlen und der Erregung des sympathischen Nervensystems assoziiert wird). Die Amygdala ist eine der ältesten Strukturen unseres Gehirns und dient dazu, Gefahren in unserer Umgebung rasch zu erkennen. Wenn wir uns bedroht fühlen, sendet die Amygdala Signale aus, die den Blutdruck und die Adrenalinausschüttung sowie die Ausschüttung des Hormons Cortisol in den Blutstrom erhöhen, und mobilisiert dadurch Kräfte, die wir benötigen, um uns der Bedrohung zu stellen oder ihr auszuweichen. Obwohl dieses System evolutionär darauf ausgelegt war, mit äußeren, physischen Gefahren fertigzuwerden, wird es ebenso leicht aktiviert, wenn unser Selbstbild bedroht wird. Selbstkritik ist eine kontraproduktive Art, gegen innere Herausforderungen anzukämpfen, die unsere Selbstachtung bedrohen. Und da wir, wenn wir Selbstkritik üben, gleichzeitig der Angreifer und der Angegriffene sind, kann das sympathische Nervensystem besonders stark aktiviert werden.

      Im Gegensatz dazu wird, wie Gilbert (2009) argumentiert, Selbstmitgefühl oft mit der Fürsorge von Säugetieren assoziiert (­Selbstberuhigung, Gefühle der Zugehörigkeit und Sicherheit und Aktivierung des parasympathischen Nervensystems). Im Vergleich mit Reptilien besteht der evolutionäre Fortschritt der Säugetiere darin, dass deren Junge sehr unreif geboren werden und dadurch eine längere Entwicklungsphase durchmachen müssen, um sich an ihre Umwelt anzupassen. Säugetiere haben die Fähigkeit, Unterstützung, Schutz und Fürsorge zu gewähren und zu empfangen, was bedeutet, dass Eltern ihre Kinder nicht sofort nach der Geburt zurücklassen würden und Kinder sich nicht allein in die gefährliche Wildnis begeben würden (Wang, 2005). Die Fähigkeit, Zuneigung und Verbundenheit zu spüren, ist Teil unserer biologischen Natur. Wir sind darauf ausgelegt, fürsorglich zu sein.

      Wir können die verschiedenen Elemente des Selbstmitgefühls im Rahmen eines Gleichgewichtszustandes zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem sehen (siehe Kapitel 3), die, wie wir wissen, als Gegenspieler ständig interagieren (Porges, 2007). Selbstverurteilung, Isolation und Überidentifikation können als Stressreaktion betrachtet werden, die nach innen gerichtet wird, wenn unser Selbstbild bedroht ist. Selbstverurteilung ist die Kampfreaktion in Form von Selbstkritik und Angriffen gegen das Selbst. Isolation entspricht der Fluchtreaktion – dem Wunsch, vor anderen zu fliehen und sich schamvoll zu verstecken. Überidentifikation kann als die Erstarrungsreaktion betrachtet werden, bei der wir um uns selbst kreisen und in endlosem Grübeln über unsere eigene Unwürdigkeit stecken bleiben. Andererseits können Selbstfreundlichkeit, das Anerkennen der Erfahrung gemeinsamen Menschseins und Achtsamkeit als Faktoren gesehen werden, die angesichts von Bedrohungen ein Gefühl der Sicherheit erzeugen. Freundlichkeit gegenüber uns selbst bedeutet, uns selbst zu schützen, fürsorglich zu behandeln und zu unterstützen, wodurch der selbstkritischen Kampfreaktion entgegengewirkt wird. Das Empfinden einer Erfahrung gemeinsamen Menschseins erzeugt Gefühle der Verbundenheit und Zugehörigkeit und wirkt der trennenden Fluchtreaktion entgegen. Selbstmitgefühl bringt auch Achtsamkeit mit sich, die es uns ermöglicht, die Dinge mit neuen Augen zu sehen und flexibler darauf zu antworten, was wiederum der Erstarrungsreaktion (Überidentifikation) entgegenwirkt (Creswell, 2015; Tirch, Schoendorff und Silberstein, 2014). Natürlich findet eine umfassende Interaktion zwischen allen Elementen des Systems statt, und sicher ist dies ein vereinfachtes Modell. Tatsächlich zeigt die Forschung, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Aspekten des Selbstmitgefühls gibt hinsichtlich der Assoziierung mit

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