Der Brandner Kaspar. Kurt Wilhelm
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Der Kaspar war weithin beliebt und geachtet. Wenn er so daherkam, spottlustig, mager, zäh und ein bissei krummhaxert, mit der verschmitzten Freundlichkeit auf dem in tausend Falten gegerbten Gesicht, verströmte er eine Sicherheit, die Vertrauen einflößen musste.
In der Frühe hatte sich die Gesellschaft nahe dem prächtigen Königsgut Kaltenbrunn versammelt. Die Gäste genossen gebührend den weiten Blick über den See auf die Blauberge, hinter denen der Unnütz im Tiroler Achental hervorragte. Zum Betrachten reichte man ihnen die neueste Attraktion der Naturschwärmer, farbige Gläser, durch die das Panorama überraschende Varianten gewann.
Dann waren die Herren zu Pferde, der Belgier und die Damen in Wagen, am Finnerhof vorbei zum Rohnbognerhof hinaufgezogen, neben dem das Gebäude der Ölkapelle steht. Während die Treiber von den Hofjägern auf ihre Plätze gewiesen wurden, zeigte man den Belgiern die Erdölquelle, die der heilige Quirinus aus der Erde hat sprudeln lassen, wie die Legende behauptete.
Majestät Leopold erfuhren, und waren höflich beeindruckt darob, dass schon im 15. Jahrhundert ein dunkelgrünes, dickliches Bergnaphtha dem Boden entquoll, das auf Wasser schwamm, leicht entzündbar war und dem Heilkräfte nachgesagt wurden. Prinzessin Maria Charlotte kräuselte während der Erläuterung durch einen Ingenieur des Hofes die Nase ob des penetranten Geruches und begehrte ins Freie.
Dort harrte der Rohnbogner im Kreise seiner zahlreichen, sauber gewaschenen, gekämmten, geschnäuzten Familie, um mit tiefer Verneigung, halsig um ein verständliches Schriftdeutsch bemüht, den hohen Gästen ein Fläschchen voll Öl als Souvenir zu verehren.
»Glauben S’ as, Majestät, bal S’ an Wehdam ham, ich mein, eine Schmerzlichkeit, a Halsweh oder a Reißerts, schmieren S’ es unverzagt drauf. I sag ’s Ihna, des hilft auf der Stell, besser wie a jegliche Kräuterhex. Nix tut so guat, wie meine Familie beweist, wenn Sie ’s o’schaun mögen, ich meine geruherten, da, wie ’s dastehngan, allesamt g’sund zum Verrecka.«
Unter der Holzeralm war dieses Tages Fürlege. Dort fassten die Jäger in weitem Halbkreis Posto und erwarteten den Zutrieb. Die Strecke des Vormittags war erfreulich. Dass der versprochene Napoleon entwischte, ließ die Gastgeber sich vielmals entschuldigen, beratschlagen und den Eifer verdoppeln. Die Hofjäger, unter ihnen der Haller Simmerl, wurden instruiert, beim Treiben am Nachmittag sich so zu postieren, dass sie durch absichtsvoll daneben gezielte Schüsse den Napoleon, wenn man seiner habhaft werden und ihn herleiten könne, vor die Flinte des Königs jagten.
Durch besonderen Eifer im Bedienen der Herrschaft tat sich wieder einmal der Kaufmann Senftl buckelnd hervor. Seines Amtes als Stellvertreter des Bürgermeisters war es, den Verlauf von Festlichkeiten sorgfältig zu arrangieren.
»Schau nur, der G’schaftlhuber, wie er wieder rumfuhrwerkt«, flüsterten Treiber, und manch einer stellte sich bei seinen Befehlen grad extra recht dumm an, damit der Gockel vor Ärger rot anlief.
Der Senftl Alois war weiß Gott nicht beliebt, doch kam keiner ohne ihn aus. Sein Kaufhaus, in dem es alles gab, was man brauchte, Werkzeug, Stoffe, Geräte, Gewürze, Spezereien, Petroleum, Waffen, Pulver, Wagenschmier und Heiligenbilder, beherrschte den Markt. Sein Eheweib regierte den großen Hof nahe der Tuftn, während er nebsbei Geschäfte machte mit Holz, mit Vieh und Getreide, Rüben, Kartoffeln und Saatgut, Gründe vermittelte und Häuser und Höfe, Boote und Wagen verlieh an reisende Gäste, kurz, in allem und jedem seine gierigen Finger drin hatte.
Seine Tüchtigkeit war ebenso respektabel wie unangenehm. Nach der Napoleonzeit ein armer Schlucker, der vazierend mit Graffel und Glump von Hof zu Hof zog, hatte er es verstanden, sich beim gutmütigen König Max in derart schmieriger Weise einzuschmeicheln, dass er zum Gespött wurde, und wehe, es wagte heute noch jemand, ihn daran zu erinnern. Dank der königlichen Förderung und seiner Gerissenheit brachte er es zu Vermögen und Einfluss. Weil er auch Geld auf Zinsen verlieh, war die Zahl seiner Schuldner erheblich. Kleine und größere Bauern, Fischer, Fuhrleut und Handwerker waren abhängig von seiner Gnade und durften nichts gegen ihn sagen oder gar unternehmen. Hohen Herrschaften gegenüber war er stets hilfreich, süß und devot, aber auch sie trauten ihm nicht über den Weg.
Er war es, der an diesem Mittag in triefendem Eifer dem Brandner befahl:
»Es geht um die Wurscht, wir müssen a Ehr einlegen, hoppauf, geh zu mit dei’m Söllmann und find ihn uns schleunigst, den Malefizhirschn, den gottsverreckten.« »Warum akkrat mir diese Ehr?«, tat der Kaspar gleichmütig und verriet nicht, dass er nach der Bitte des Dr. Senger ohnehin auf dem Wege war, den Napoleon zu suchen. »San net Jager g’nua da, vom Hof und die Forstämter, was sollt da a armes Mannderl wie ich ausrichten, noch dazu ganz allein?«
Der Senftl war zu humorarm, um den Hohn zu erkennen. »Du kennst dich am bessern aus, alter Wilderer, g’stell di net so! Des weißt du genau, dass ich verantwortlich bin für den heutigen Erfolg, und drum tust du des auf der Stell, und zwar für mich, sonst – mehra brauch i ja wohl nimmer sagen, oder?«
»Naa, drohen brauchst wahrlich net, damit i der Herrschaft einen Gefallen erweis«, hatte der Brandner erwidert. Als der Senftl mit seinen glühenden Augen über der Vogelnase in dem hageren Gesicht noch weiter scharf und unangenehm keifte, ihn ja nicht zu hintergehen und womöglich nicht fleißig zu suchen, und ihm dabei immer wieder mit dem Zeigefinger auf die Brust stach, hatte er ihm einfach den Rücken gekehrt und war, den Hund an der Leine, pfeifend davongeschlendert.
»Dich muss ma ermahnen, weil du bist und bleibst a Hallodri, dir kann ma net trauen«, hatte der Senftl ihm nachgerufen, so laut, dass es andere hören mussten.
Da hatte der Brandner sich umgedreht und ebenso laut zurückgerufen:
»Aber gell, dir traut blindlings a jeder, du glücklicher Mensch, du gute, kreuzbrave Seel’«, und im Fortgehen einige genüsslich kichern gehört. Nein, mit dem Senftl war kein Auskommen, und die Schulden, die er bei ihm hatte, bedrückten den Brandner mitunter recht sehr.
Gegen den Abend zu nahm die Jagd auf den Napoleon einen Verlauf, den niemand erwartet hatte.
Als der Brandner nach dem Schuss leblos lag, brach der flüchtige Hirsch an ihm vorbei. Der königliche Gast wartete schon in einiger Spannung, das Gewehr schussbereit an die Wange gelehnt, denn er wollte sich vor den erfahrenen Jägern keine Blöße gestatten. Kobell, halb hinter ihm stehend, legte, für alle Fälle, bedächtig zum Parallelschuss an.
Das Kläffen der Hunde, das Lärmen der Treiber, die Gasse der Hörner und lenkenden Schüsse der Hofjäger hetzten das Tier der Fürlege zu. Es tauchte auf, der Belgier zog durch, der Schuss brach, der Napoleon stürzte im vollen Lauf, rutschte ein Stück ins Gebüsch und blieb liegen.
Triumph!
Die Gesellschaft applaudierte dieser Krönung der Jagd und schenkte dem übrigen Getier, das im Gefolge des Lärms noch vorbeikam, keine Beachtung mehr. Prinz Carl gab dem Hornisten das Zeichen, und es erscholl das stolze ›Hirsch tot‹. Der König bekam einen Kuss seiner Tochter und nahm die Glückwünsche der Gastgeber huldvoll lächelnd entgegen.
Dann begab man sich zu der gefällten Beute. Der Napoleon lag reglos mit offenen Lichtern, der Lecker hing ihm aus dem Maul. Man reichte dem König den Gnicker, das Jagdmesser, bog die hindernden Buschen beiseite, in die der mächtige Körper gestürzt war, Majestät beugten sich nieder –
– da, kaum hatte der Herrscher der Belgier die Luser gepackt, um waidgerecht