Das Licht und der Bär. Rudolf Alexander Mayr

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Das Licht und der Bär - Rudolf Alexander Mayr

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      RUDOLF ALEXANDER MAYR

      DAS LICHT

      UND DERBÄR

       Erzählungen vom Bergsteigen und anderen Abwegigkeiten

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       Inhalt

       Das Licht und der Bär

       Wolfi, der Dhaulagiri und die blauen Bomber

       Biratnagar

       Der sterbende Yak

       Die Spucknäpfe von Xangmu

       Mit leeren Händen

       Diana

       Lunag

       Franz

       Das Brockengespenst

       Die Hütte, die Wand und die zwei Seiten des Lebens

       Die Lawine, das Land Tirol und der Buckingham Palast

       Fitz Roy

       Santiago

       Die Berge als Kulisse

       Ein Jahr mit Naomi

       Alaska

       Zeiten des Übermuts oder My house is my castle

       Dank

       There is a crack, a crack in everything That’s how the light gets in.

      Leonhard Cohen

       Das Licht und der Bär

      Ihr Bergsteiger kennt alle das erschöpfte Licht, das sich nicht zwischen Tag und Nacht entscheiden kann und doch eine Schärfe unseres Sehens und eine Klarheit unserer Gedanken bewirkt, wenn wir bis in diese Stunden der Dämmerung hinein eine lange Zeit unterwegs waren und erschöpft genug sind, dass uns die Erinnerung daran bis zu unserem Ende begleiten wird. Die Sehkraft stärkt sich ab einem Grad der Ermüdung, weil es eben notwendig ist, und die Geschwindigkeit und Ausdauer des Körpers steigen bis zu jenem Zustand, der autochthon zu nennen ist, während uns nur mehr die Geräusche und Gerüche unserer Umgebung und unser eigener Herzschlag erreichen. Dann sind wir wir selbst und eben deshalb glücklich und einverstanden mit unserem möglichen Ende, weil wir erkennen, dass alles endlich ist, und gleichzeitig unser Leib uns ein jahrtausendealtes Vertrauen in die Idee der Schöpfung wieder zurückgegeben hat.

      Was möchte man nicht alles darum geben, wenn man diese Minuten oder Stunden des Müdewerdens nach vielen Stunden der Bewegung und zugleich dieses Lebens, auf immer in sich bewahren könnte. Es ist, als wenn die Leere uns ausfüllen würde, und wir erkennen, dass keine Kraft der Welt imstande wäre, uns diese Fülle noch jemals zu nehmen.

      Das ist der Zustand jenseits der Erschöpfung, ein Delirium, das aus fernen Speichern gespeist wird. Ein Zustand, den jeder Bergsteiger kennt und der dem Einsamen bescheinigt, dass er nicht allein in diesem Kosmos ist.

      Ich war allein von Nepal aus über den gut fünftausendsiebenhundert Meter hohen Nangpa La in das verbotene Tibet gegangen und in die früh einsetzenden Winterstürme geraten. Diese Winterstürme, die mit dem die Erde umspannenden Windsystem des Jetstreams zusammenhängen, haben ihren Ausgangspunkt in Sibirien und brechen sich etwa ab Mitte Oktober an der gewaltigen Mauer des Himalaya. Der mit dem eiskalten Wind einhergehende Temperaturwechsel hatte einen Bruchharsch auf dem Gletscher bewirkt, was mich nun bis über die Knie mit meiner schweren Last einbrechen ließ. Ich hatte drei Wochen lang kein lebendes Wesen mehr gesehen, außer einem Raben, der mich an den ersten zehn Tagen begleitete, und als ich nun mit gebücktem Kopf langsam gegen den Sturm in Richtung Passhöhe stieg, sah ich auf einmal in etwa zweihundert Metern seitlicher Entfernung eine Yak-Karawane mir entgegenkommen. Die Yaks wechselten sich im Spuren ab, indem der jeweils erste mit seinen Vorderbeinen in die Höhe stieg und sich dann mit seinem mächtigen Oberkörper wie ein Eisbrecher in den Schnee fallen ließ. Zwei Frauen und ein Mann begleiteten die Karawane, die aus etwa dreißig schwer beladenen Tieren bestand.

      Wahrscheinlich hatten sie von Tibet das begehrte Salz der Inlandsseen, übrig geblieben aus der Auffaltung der Hochebene durch den Schub des indischen Subkontinents vor hundert Millionen Jahren, also frühes Meeressalz, nach Nepal gebracht. Nun, auf dem Rückweg, befanden sich in ihren Lasten Leder, und vielleicht Armbanduhren und Edelsteine aus Bangkok, von Händlern aus Manang nach Nepal gebracht, und in ihrem Anhang Yakkälber. Sie waren in diesem Schneefegen wie ein Bild aus einer anderen Welt, und ich blieb stehen, und auch sie mussten mich wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt wahrgenommen haben, denn ohne dass ich ein Kommando vernommen hätte, blieben alle, die Tiere und die Yaktreiber, mit einem Schlag wie festgewurzelt stehen.

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      Der Nangpa La, ein Pass im Westen des Cho Oyu, dient seit alters her als Verbindung zwischen Tibet und Nepal. Im Hintergrund erhebt sich der Lunag Ri.

      Ich stützte mich auf meine Skistöcke und verschnaufte und starrte hinüber, und sie starrten stumm zurück. Sie würden in wenigen Stunden in Sicherheit und in den grasigen Tälern von Tibet sein, aber auf mich wartete noch der fast sechstausend Meter hohe Pass, und zwei Tage später noch ein Pass, bevor ich auf der nepalesischen Seite wieder die erste Alm mit Menschen erreichen würde.

      Der Gedanke daran, in der Sicherheit dieser Karawane in die nächste tibetische Siedlung, nämlich Tingri, absteigen zu können, war dermaßen verlockend, dass ich noch einige Minuten stehen blieb und beim Hinüberstarren das Gefühl hatte, als warteten sie nur auf ein Zeichen von mir, um mir zu helfen. Dann fiel mir ein, dass ich mich in Tingri, verdächtigt als Spion, wohl kaum vor dem chinesischen Militär verstecken konnte und dass ich mit Sicherheit

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