Kreaturen des Todes - 2. Band. Walter Brendel
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Von dem alleinstehenden Krupp-Spross hatte Nitribitt wiederum ein silbern gerahmtes Foto auf ihrem Musikschrank stehen. Sie bezeichnete ihn als ihren festen Freund. Von Bohlen und Halbach machte sich kaum Illusionen. Einmal überredete Nitribitt ihn, mit ihr das Haus zu verlassen, sie gingen zu «Betten Raab», wo er ein Muster für Steppdecken und Kopfkissen ihres Doppelbetts aussuchen sollte. Klingt, als habe Nitribitt ein wenig Nestbau betrieben. Noch vor der Angst vor Aids und der Selbstverständlichkeit der Pille sorgte von Bohlen und Halbach immer für Präservative, damit Nitribitt ihm kein Kind anhängen konnte. Als sie ihn auf eine Ehe ansprach, meinte er, da müsse man «auf den Mond fahren». «Also gute Nacht, träume süss», schrieb er ihr einmal.
Es gibt wenige Bilder von Rosemarie Nitribitt, die meisten sind gestellt. Für einen Freier schnuppert sie in Strapsen an einem enormen Strauß Gladiolen. Für alle Freier posierte sie an ihrem Mercedes.
Eine der seltenen Fotos, auf dem sie sich nicht inszeniert hat, entstand wenige Tage vor ihrer Ermordung. Gegenüber ihrer Wohnung in der Stiftstrasse befand sich das inzwischen abgerissene Redaktionsgebäude der «Frankfurter Rundschau». Der «FR»-Fotograf Kurt Weiner erkannte die Frau, die da alleine und scheinbar unbeobachtet tief in ihrem Ohrensessel versunken am Fenster schlief und die hohen Schuhe auf dem Sims ruhen ließ.
Wenige Tage vor ihrer Ermordung gelang dem damaligen Fotografen Kurt Weiner ein Schnappschuss von Rosemarie Nitribitt am Fenster ihrer Wohnung in der Stiftstrasse
Bekannte und Weggefährten beschrieben die Nitribitt als charmant, vulgär und verspielt; als knallhart und dominant; und als einsam und voller Ängste. Rosemarie Nitribitt hatte wenig Freunde, und selbst die waren eher Bekanntschaften.
Der Klarinettist Fatty George durfte ihren Mercedes fahren und machte sie mit dem Jazzpianisten Joe Zawinul bekannt, der ihr Kunde wurde. Heinz Pohlmann, damals Handelsvertreter und später Hauptverdächtiger, lud sie eines Tages zum Tee in seine Junggesellenwohnung ein und blieb ein «platonischer Freund». Das homosexuelle «Pohlmännchen», stellte Nitribitt einmal resigniert fest, konnte ihre «Liebe nicht erwidern».
Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hatte Nitribitt viel erreicht. Aber die Grenzen ihrer Entfaltung waren deutlich. So war und ist es nun mal: Der Kunde hat das letzte Wort. Da es nach oben nicht weiterging und sie auf keinen Fall wieder nach unten wollte, kostete Nitribitt in vollen Zügen alles aus, was sie um sich herum zu fassen bekam: In ihrem dreiteiligen Kleiderschrank stapelten sich Spitzenwäsche und über 50 Paar Schuhe. Mitten im Sommer 1957 kaufte sie sich einen Wildnerzmantel für 11 000 DM und einen ebenso wertvollen Brillantring. Erspartes lagerte sie am Finanzamt vorbei in einer blauen Kassette im Wohnzimmerschrank.
Als der Mord an der Prostituierten Nitribitt bekannt wurde, empörte die Öffentlichkeit daran vor allem «die Tatsache, dass man damit reich werden konnte», schreibt Christian Steiger in seiner akribisch recherchierten «Autopsie eines deutschen Skandals». 1954 verdiente Nitribitt netto siebenmal mehr als ein durchschnittlicher Bundesbürger im Jahr brutto. Nitribitt vererbte ihrer Mutter 70 000 DM aus zehn Monaten Arbeit 1957. «Nur manche der Männer, die sie besuchen, verdienen mehr als Rosemarie Nitribitt», so Steiger.
Im Grunde hat Rosemarie Nitribitt nicht nur dem oberen Drittel Deutschlands Dienste erwiesen. Immerhin zeigte die Hure im Pelzmantel, dass «die Deutschen», alle Deutschen, wieder wer waren. Ein Callgirl nannte man in den Folgejahren eine Nitribitt, so wie man um ein Tempo bittet, wenn man ein Papiertaschentuch möchte.
Vielleicht ist es wahr, dass Rosemarie Nitribitt im Konsumrausch den Bogen auch mit ihren Kunden überspannt hat. Bis heute halten sich Gerüchte, dass sie sterben musste, weil sie zu viel wusste. Dass sie Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse mit Scheinschwangerschaften oder deren Blossstellung erpresste.
Da der Mord an ihr nie aufgeklärt wurde, konnten düstere Legenden wuchern. «War die ‹blonde Rosemarie› eine Agentin des Ostens?», rätselte die Frankfurter «Abendpost». «Wurde Rosemarie Nitribitt telefonisch hypnotisiert?», fragte sich die «Welt» ernsthaft. Dass Nitribitt die Gespräche ihrer stöhnenden Besucher oft heimlich auf Tonband aufzeichnete, wussten diese nicht. Warum sie das überhaupt tat, wird man wohl nie wissen.
Eines der Gerüchte über Rosemarie Nitribitt klingt wie ein Ende, das man ihr alternativ gewünscht hätte. Angeblich wollte sie aussteigen, in eine Bar, eine Pension oder ein Gestüt investieren. Wollte sie doch noch ihren alten Traum von einem «großen Salon» erfüllen, nicht als Ehe-, sondern als Karrierefrau?
Die Wahrheit ist: Kurz vor ihrem Tod bestellte Nitribitt ein schwarzes Mercedes Coupé 300 S mit dunkelgrünen Sitzen für 34 500 DM, weil ihre Kunden sich über den unbequemen Einstieg des SL beschwert hatten. Am 29. Oktober war der Wagen abholbereit. Gegen 15 Uhr an diesem Tag empfing Nitribitt den letzten Freier, danach kaufte sie gegen halb fünf Uhr in Fritz Matthias Metzgerei ein Pfund Kalbsleber für Pudel Joe. Das Auto holte sie nicht mehr ab. Rosemarie Nitribitts Ende war wohl unausweichlich.
Am Nachmittag des 1. November 1957 fand die Polizeistreife «Frank 40» Rosemarie Nitribitt mit eingeschlagenem Schädel in ihrer Wohnung in der Stiftstrasse auf. Die Leiche der 24-Jährigen lag auf dem Perserteppich vor dem Sofa. Ihr anthrazitfarbenes Kostüm war hochgerutscht, ein Strumpfhalter sichtbar. Fenster und Gardinen waren geschlossen. Es war dunkel und stank bestialisch. Im Schlafzimmer winselte der eingesperrte Pudel. Die Fußbodenheizung lief auf Hochtouren, Nitribitts Gesicht war blutverkrustet und grotesk aufgedunsen, die Verwesung hatte in der Hitze bereits eingesetzt.
In perverser Fürsorglichkeit hatte der Täter den Kopf der Toten auf ein rosafarbenes Frottee-Handtuch gebettet. In der Geldkassette fehlte das Bargeld. Rosemarie Nitribitt wurde von hinten erwürgt, ihr Mörder drückte so heftig zu, dass sich seine Fingernägel in ihren Kehlkopf gruben. «Vor der Tat hat ein kurzer Kampf stattgefunden», vermerkten die Ermittler. Auf dem im Übrigen defekten Tonband vom Tattag hört man Nitribitt dreimal hintereinander undeutlich sagen: «Lass mich los.»
Bis zuletzt kämpfte Rosemarie Nitribitt. Bis zuletzt war sie von Scheinheiligkeit umgeben. Der Pfarrer verweigerte ihr das letzte Geleit. Ein anonymer Auftraggeber spendete ihr, dem Freudenmädchen, den Grabstein mit der biblischen Inschrift: «Nichts Besseres darin ist, denn fröhlich sein im Leben». Noch nach über 60 Jahren ist Nitribitts Grab gepflegt, manchmal stehen frische Blumen darauf.
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