Anders Wirtschaften - Gespräche mit Leuten, die es versuchen. Группа авторов

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aufzeigt. Nicht zufällig tragen die meisten vorgestellten Organisationen das Lokale bereits im Namen: Pappelhof, Niederkaufungen, St. Gallen, Obwalden, Vorarlberg. Je stärker die gemeinschaftsbildende Funktion, desto lokaler die Organisation.

       Anders Wirtschaften in einer geschäftigen Welt

      Es ist wohl kein Zufall, dass die Wurzeln der hier vorgestellten Wirtschaftsformen in die frühen 1970er-Jahre zurückreichen, als die neoliberale Wirtschaftsordnung und die Globalisierung ihren hegemonialen Siegeszug antraten. Sie sind Reaktionen darauf. Es ist auch kein Zufall, dass sie, seit diese Wirtschaftsordnung mit der Finanzkrise in breiten Kreisen als problematisch wahrgenommen wird, als Alternative ernster genommen werden. Soziale Entrepreneure, engagierte Bürger und Gemeindepolitiker haben erkannt, dass Formen des Austausches, wie sie mit Lokalwährungen, Zeitbanken und Sharing-Systemen verbunden sind, Gemeinschaft stärken und noch dazu allenfalls Kosten für Private und die Öffentlichkeit senken können. Sie helfen deshalb strukturelle Schwächen der formellen Wirtschaft und des rückgebauten Sozialstaates zu kompensieren.

      Es ist eine Stärke der vorgestellten Formen des Anders-Wirtschaftens, dass sie zugleich individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen entgegenkommen. Die Sehnsucht danach, den Austausch nicht entfremdet, sondern gemeinschaftsstiftend und möglichst egalitär zu erleben, ist für viele eine hinreichende Motivation, um bei Zeitbörsen und Lokalwährungen mitzumachen. Dass diese zugleich strukturelle Defizite des neoliberalen Regimes reduzieren helfen, motiviert die Beteiligten kaum, wie in den Gesprächen deutlich wird, macht sie aber auch für neoliberale Politik interessant. Dies ist ein Widerspruch, mit dem gerade die genannten beiden Tauschsysteme zu leben haben. Trotz dieser Nützlichkeit im neoliberalen Regime tragen sie wohl langfristig dazu bei, dass die herkömmliche Geldwirtschaft immer mehr hinterfragt wird. Indem ihre Mitglieder alternative wirtschaftliche Praktiken einüben, schärfen sie das, was Robert Musil den Möglichkeitssinn5 genannt hat. Auch wenn fast alle Beteiligten an den vorgestellten Modellen des Anders-Wirtschaftens ihr Standbein in der formellen Marktwirtschaft behalten, bewegt sich ihr Spielbein in einer (mehr oder weniger) sozial eingebetteten Form des Wirtschaftens. Die präsentierten Beispiele sind somit Gehversuche in Richtung einer postkapitalistischen Gesellschaft, die unseren Möglichkeitssinn schulen. Darin liegt ihr utopischer Gehalt.

      Die Alltagspraxis schränkt den Möglichkeitsraum dieser Utopien in manchen Fällen rasch wieder ein, wie die Gespräche zeigen. Die Unterschiede in der Umsetzung der Zeitvorsorge in St. Gallen und Obwalden, aber auch die Geschichte von AutoTeilet/Mobility, lassen erkennen, dass mit der Institutionalisierung solidarischer Praxis auch die Routinen der Marktwirtschaft wie Buchhaltung, Bilanzen und Kontraktrecht Einzug halten. Die berechenbare Praxis liquidierender Transaktionen setzt sich gegenüber der informellen Praxis nichtliquidierender Transaktionen tendenziell durch. In Obwalden halten die Initiantinnen daran fest, für die geleisteten Stunden keine Sicherheit zu hinterlegen, also das Risiko einzugehen, dass jene, die heute helfen, morgen vielleicht nichts zurückbekommen, dass ihre Transaktionen letztlich nichtliquidierend sein können. In St. Gallen geht man dieses Risiko nicht ein. Die Stadt hinterlegt die geleisteten Stunden mit Geld, mit dem notfalls zukünftige Gegenleistungen eingekauft werden – und beschränkt aus diesem Grund die Anzahl Stunden, die in der Zeitvorsorge individuell angespart werden kann. Die Kommune Niederkaufungen und die Bewohnergruppe des Pappelhofs gehen am weitesten in ihren Anstrengungen, nichtliquidierende Transaktionen zu praktizieren. Sie haben das Gebot: «Du sollst nicht zählen»6 am stärksten verinnerlicht. Doch auch sie sind Kinder der Geldwirtschaft: In ihren Erzählungen manifestiert sich der in unserer Gesellschaft tief verankerte individualistische Habitus, der nach Georg Simmel nur in der Geldwirtschaft entstehen konnte.7

      Aber gerade deshalb sind die vorgestellten Formen des Anders-Wirtschaftens Utopien: Sie versuchen durch ihre Praxis etwas herbeizuführen, das noch nicht möglich ist.

       Der Aufbau und die Autoren des Bandes

      Die fünf Fallbeispiele werden in Form von Interviews vorgestellt. Den Gesprächen ist eine Selbstdarstellung der jeweiligen Organisation voran- und ein abschliessender Kommentar nachgestellt. Eingeleitet werden die fünf Fälle mit einem Essay von Eske Bockelmann.

      Für die Gespräche sind sowohl die Interviewer als auch die Interviewten als Autorinnen und Autoren aufgeführt. Denn alle teilen das – bei den einen eher praktische, bei den anderen eher theoretische – Interesse am Thema und wollen mit der Publikation der Gespräche zur öffentlichen Debatte über Alternativen zum Kapitalismus neoliberaler Ausprägung beitragen. Eske Bockelmann mit «Im Takt des Geldes»8 und Aldo Haesler mit «Das letzte Tabu – Ruchlose Gedanken aus der Intimsphäre des Geldes» sowie «Angst und Spiele – Monetäre Dynamiken in der ‹harten› Moderne»9 gehören zu den provokativsten und tiefschürfendsten Kritikern der heutigen Geldwirtschaft. Ulrike Knobloch und Eva Lang sind Kritikerinnen des tendenziellen Ausschlusses der Sorgeökonomie bzw. vorsorgenden Wirtschaft aus der formellen Wirtschaft10. Dieser Ausschluss droht sich im Zeitbankensystem zu wiederholen, schreibt Ulrike Knobloch in ihrem Kommentar zur Zeitvorsorge in St. Gallen und Obwalden. Theo Wehner hat in zahlreichen Beiträgen zur freigemeinnützigen Arbeit die Motivationen und sozialen Beziehungen, die mit dieser Form des Anders-Wirtschaftens einhergehen, untersucht. Sigrun Preissing hat den Pappelhof im Rahmen ihrer Dissertation über alternativ-ökonomische Projekte11 erforscht und aus ihrem umfangreichen Interviewmaterial eine dichte Collage zusammengestellt. Heinzpeter Znoj hat wie oben erwähnt die Unterscheidung zwischen liquidierenden und nichtliquidierenden Transaktionen in die ökonomische Anthropologie eingeführt.

      Diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen in den Gesprächen die Fragen beziehungsweise kommentieren sie abschliessend. Die Antworten geben Praktiker und soziale Entrepreneure, die selbst an Aufbau und Praxis der «anderen Wirtschaftsformen» beteiligt waren oder sind. Gernot Jochum-Müller ist ein bekannter Pionier auf dem Gebiet der Lokalwährungen und wirkte für die Zeitvorsorge St. Gallen als Berater. Conrad Wagner war Mitbegründer und Spiritus Rector von AutoTeilet, aus der später Mobility hervorging. Gottfried Schubert ist ein ehemaliger Kommunarde der Kommune Niederkaufungen und Experte für gemeinsame Ökonomien. Franziska, Gerda, Timo und Doro sind die Pseudonyme von Mitgliedern der Bewohnergruppe beziehungsweise des Netzwerkes «Bedürfnisorientierte Produktion» des Pappelhofs. Heidi Lehner ist Geschäftsführerin der Sunflower Foundation und leitet deren Komplementärgeldprojekte. Sie ist unter anderem als Beraterin für die Zeitvorsorge Obwalden tätig.

      Die Idee zu diesem Band und die Gespräche über die Kommune Niederkaufungen und die Zeitvorsorgen in St. Gallen und Obwalden sind im Rahmen von Tagungen der Sunflower Stiftung entstanden. Stiftungseigner Jürg Conzett und Heidi Lehner haben mit Umsicht die hier vertretene Gruppe von Autorinnen und Autoren versammelt und zu Diskussionen eingeladen, die nach einigen Jahren Früchte zu tragen beginnen. Dieser Band ist ein Resultat davon und weitere werden hoffentlich folgen. Den beiden Initianten der Sunflower-Gespräche sei an dieser Stelle für ihr grosses Engagement und ihre geduldige Unterstützung gedankt.

      1 Die Chartalisten vertraten die Auffassung, dass Geld seine Funktionen allein aufgrund der sozialen Akzeptanz innerhalb einer Zahlungsgemeinschaft erhält. Im Gegensatz dazu vertraten die Metallisten die Auffassung, dass die Funktionen des Geldes ursprünglich aus der allgemeinen Begehrtheit der edlen Metalle hervorgingen. Vergleiche Knapp, Georg Friedrich, 1905, Staatliche Theorie des Geldes. München: Duncker & Humblot.

      2 Ich habe die analytische Unterscheidung zwischen liquidierenden und nichtliquidierenden Transaktionen andernorts ausführlich begründet: Znoj, Heinzpeter, 1995, Tausch und Geld in Zentralsumatra. Zur Kritik des Schuldbegriffes in der Wirtschaftsethnologie. Berlin: Reimer.

      3 Polanyi, Karl, 1990 [1944], The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

      4 Mauss, Marcel,

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