DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis. Daniel Jödemann
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Stainar, der neben ihm stand und das Ruder der Wegafreki hielt, warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Es sind nicht so viele, wie befürchtet.« Gautaz wies auf den Horizont. »Ullbjern wird sie ganz schön geärgert haben. Er hatte schon immer ein Talent dafür. Uns hilft es heute.«
Die Flotte hielt nun zügig auf die Schiffe der Imperja zu, die als schwarze Umrisse vor der aufgehenden Sonne erschienen. Noch war es ruhig über der Odalwik, doch das würde sich bald ändern.
Jurgas Otta führte sie an. Das hatte sich nicht vermeiden lassen, auch wenn die übrigen Hersire diese unkluge Entscheidung sicher bereuen würden.
Gautaz’ Wegafreki segelte auf der einen Seite, die Thurehs der Havar, die doch tatsächlich den vorlauten Bengel Vardur zum Hersir gewählt hatten, auf der anderen. Die meisten der mit Kriegern besetzten Ottas fuhren der Flotte voraus, dann kamen die bauchigen Frachtschiffe. Auf einem davon segelte Katla mit ihren beiden gemeinsamen Kindern. Sie alle drei konnten sich dort, in seinem Rücken, sicher fühlen.
Weitere Kriegsschiffe schützten die Flanken ihres Schiffsverbands. Einhundert Schiffe brachen in die neue Heimat auf, die Jurga ihnen versprochen hatte. Nun waren die Drachenköpfe unverhüllt, auch die Bugzier der Wegafreki hielt den Blick stur nach Osten gerichtet.
»Sieht so aus, als hätte der Geist ihr einen guten Ratschlag gegeben, als er auf raschen Aufbruch drängte«, murmelte Stainar. Der Steuermann mit dem buschigen Schnurrbart nickte zum Horizont hinüber. »Vielleicht kommt es nicht mal zum Kampf, wenn wir durch sind, ehe sie die Lücken schließen.«
Gautaz warf ihm einen missbilligenden Blick zu, doch er war zu gut gelaunt, um Stainar zurechtzuweisen. »Soll mir recht sein.« Er packte seine Axt fester und zuckte mit den Schultern. Odda am Steg von Havarskog zurückzulassen, verlieh ihm ein Hochgefühl, das ihn auch noch über das gesamte Eiwara tragen würde. Wie ein lästiges Insekt war sie stets um ihn herumgeflogen, summend und brummend, und hatte sich nie verscheuchen lassen. Diese Unternehmung erwies sich schon jetzt als Erfolg.
Ihr Schiffsverband hielt, einem Keil gleich, auf die Südspitze der Halbinsel Hjaldingard zu, wo das Ufer rasch zu schroffen Klippen anstieg, die günstige Nistplätze für Gletschermöwen boten. Ganze Möwenschwärme kreisten darüber, so als wollten sie die Ottas verabschieden.
Die Steuerleute der Hjaldinger kannten diese Gewässer bestens, jede plötzliche Untiefe, jeden trügerischen Felsen. Sie wussten, wie nahe sie dem Land kommen durften. Und ihre Ottas hatten einen sehr viel geringeren Tiefgang als die Schiffe ihre Gegner.
Die Galeeren, die geduldig auf sie warteten, zogen sich entlang des ganzen Horizonts, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. Es gab jedoch eine angenehm große, geradezu verlockende Lücke in ihrem Zentrum.
»Stümper!«, stieß Gautaz verächtlich hervor. »Wer soll denn darauf reinfallen?«
Vergnügt wanderte er nach vorne, vorbei an den Frauen und Männern seiner Mannschaft, die sich bereits auf die Schlacht vorbereiteten. Er klopfte Hrok zufrieden auf die Schulter. »Gleich ist es so weit. Schauen wir mal, ob wir nicht ein paar von ihnen auf die Felsen locken.«
Der junge Krieger nickte überrascht. »Das wäre ein willkommener Anblick, Hersir!«
Etwas zu eifrig, wie immer. Doch Hrok hatte seine Lektion gelernt und verstand, wo sein Platz im Rudel war. Da übersah Gautaz gerne die eine oder andere kriecherische Unterwürfigkeit. Er trat an den Vordersteven, die Hände um den langen Stiel seiner Axt gelegt. Der Tighrirschädel, den Ullbjern ihm geschenkt hatte, hing fest verschnürt unter dem Drachenkopf, die leeren Augenhöhlen in dem bleichen, ehrfurchtgebietenden Stück Knochen nach vorne gerichtet.
Die Imperja sollten wissen, wer auf dieser Otta fuhr, mit wem sie es zu tun bekamen, wenn sich die Wegafreki näherte – keine verängstigten Bauern, nicht irgendein dahergelaufener junger Hersir, sondern ein Krieger, der sich von nichts schrecken ließ.
Sie hielten zügig auf die Blockade zu. Nun bemerkten auch die Imperja, dass die Hjaldinger kein Interesse daran zeigten, ihre freundlicherweise offen gehaltene Mitte anzusteuern, und stattdessen auf die nördlicher liegenden Galeeren zuhielten, die vor der Südspitze Hjaldingards lagen. Die ersten Schiffe setzten sich in Bewegung, manche angetrieben von Schaufelrädern, andere von zwei, drei oder gar fünf Riemenreihen, die sich im Gleichtakt hoben und senkten.
»Hrangas Kiefer!« Gautaz lachte kehlig auf und reckte seine Axt empor. »Merkt ihr endlich, dass wir nicht so leicht zu übertölpeln sind? Treibt bloß eure Sklaven an, oder ihr verpasst den Spaß!«
Godrun, die einzige Runenmagierin, die den Aasa geblieben war, trat an die Bordwand. Sie starrte hinaus aufs Meer. Mit ihrer schlanken, hochgewachsenen Gestalt wirkte sie unter den breitschultrigen Frauen und Männern der Fahrtgemeinschaft bereits fehl am Platz. Statt einer richtigen Waffe trug sie zudem lediglich einen langen Eibenstab.
Gautaz runzelte die Stirn. »Was siehst du, Runakwena?«
Sie warf ihm einen stummen Blick zu. Er hielt Godruns starrem dritten Auge auf ihrem Stirnband stand. »Nebel.«
Er beugte sich über die Bordwand. Die See war hell hier, aber immer noch tiefblau genug, dass sie sich nicht sorgen mussten, das Wasser unter dem Kiel zu verlieren. Gleich über der Oberfläche kräuselten sich graugrüne Nebelfäden, die mit jeder zurückgelegten Schiffslänge dichter wurden und sich nur widerwillig vor dem Bug der Wegafreki teilten.
»Und?« Er winkte ab. »Morgennebel. Ist nicht ungewöhnlich.«
Sie fasste ihren Stab fester. »Das ist kein normaler Nebel.« Sie wies hinaus auf die See. »Er kommt von Osten, zieht dem Wind entgegen, der uns aufs Meer trägt.«
Er blickte auf. Die Runakwena hatte recht, und das war nicht alles: Kein Vogel kreiste mehr am Himmel, die Gletschermöwen waren geflohen. Eine bedrückende Stille hielt die Odalwik fest im Griff. »Verflucht«, knurrte Gautaz. Alarmiert wandte er sich zur Blajazehwa, dem schlanken, runengeschmückten Drachenschiff, das die Isleif-Sippe törichterweise an die Hagni abgetreten hatte, anstatt ihre Frachtschiffe mit zwei Kriegsschiffen zu schützen. Eine Gestalt mit blondem Haar stand am Bug und sah unbeirrt Richtung Horizont. Die dünnen Nebelfäden, die sich geduckt über das Meer hinweg angeschlichen hatten, umgaben nun den gesamten Schiffsverband.
»Sieht sie es denn nicht?«, knurrte Gautaz. »Verflucht seid ihr, hättet ihr doch mich gewählt.«
So als ob er ihn gehört hätte, gab der Nebel sein Versteckspiel auf. Anstatt knapp über dem Wasser dahinzukriechen, erhob er sich nun triumphierend und wallte empor. Die feindlichen Galeeren und die Küste ließen sich im Dunst immer schwerer ausmachen. Ein Vorhang zog sich vor ihnen zusammen, der kränklichgraue Nebel verdichtete sich rasch.
»Hrok, das Horn!«, befahl Gautaz. »Wir müssen Signal geben …«
Ein langgezogenes Hornsignal schallte von der Blajazehwa herüber.
»›Vorwärts‹?«, übersetzte der Hersir grimmig. »Was erlaubt sie sich?« Er wandte sich an die Männer und Frauen hinter ihm. »Bereitet euch vor! Ich will nicht erleben, dass auch nur ein Watdraugar oder irgendeine Ausgeburt Hrangas einen Fuß auf diese Planken setzt! Sie dürfen den Schiffen unserer Sippe oder denen der Gunna nicht zu nahe kommen!« Missmutig starrte er die verschlungene, mit Blut gezeichnete Aescruna an – die Waffenrune, mit der Godrun seine Axt versehen hatte. Doch er war nicht töricht – Geistern und anderem Gezücht Hrangas konnte er