Drecksarbeit. Jan Stremmel

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Drecksarbeit - Jan Stremmel Knesebeck Stories

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       Für Levin

       JAN STREMMEL

       DRECKS ARBEIT

       GESCHICHTEN AUS DEM MASCHINENRAUM UNSERES BEQUEMEN LEBENS

KNESEBECK Stories

       INHALT

       Die Stadt der bunten Flüsse

       Unter Sandräubern

       Würstchen grillen auf Tropenholz

       Rosen von der Nilpferdwiese

       Die letzten Fischer vom Aralsee

       Gurken aus dem Plastikmeer

       Das braune Gold von Viotá

       Eine Schule für die Waldmenschen

       Smartphones am laufenden Band

       Mit Elefanten im Stockbett

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       DIE STADT DER BUNTEN FLÜSSE

      Wenn ich daran zurückdenke, war die Idee mit den Turnschuhen wirklich dumm. Keine Frage, ich bin selber schuld, dass ich heute kleine, kreisrunde Narben auf dem rechten Fuß habe. Aber wie es oft ist mit besonders dummen Ideen, so war ich damals überzeugt, sie sei besonders schlau. Ich hatte in etwa gedacht: Welcher Trottel zieht in einer düsteren Fabrik, in der überall offene Fässer mit Chemikalien herumstehen und auf dem Boden bunte Pfützen vor sich hin blubbern – wer zieht hier bitte seine Schuhe aus?

      Es hätte mich stutzig machen müssen, dass das alle außer mir taten. Die Männer, die in der indischen Färberei seit Jahren mit Säuren und Laugen hantierten, waren allesamt barfuß oder trugen Flip-Flops. Aber als europäischer Schlaufuchs, der Chemie in der Schule mit einer knappen Vier abgewählt hatte, war ich mir sicher, dass ich recht hatte. Ich beschloss also, dass meine Turnschuhe dranblieben – und verätzte mir den Fuß.

      Viele Chemikalien, mit denen man in Färbereien arbeitet, beginnen erst nach ein paar Minuten zu wirken. Die Arbeiter hatten deshalb einen Trick: Sobald sie Soda oder Lauge auf die Haut bekamen, schütteten sie mit einer beiläufigen Bewegung etwas Wasser aus kleinen Eimern über ihre Füße oder Hände. Und schon war die Gefahr gebannt. Meine Stoffturnschuhe jedoch wirkten wie Schwämme, die jede Flüssigkeit, jedes Pulver aufsaugten, mit dem sie in Berührung kamen, und alles zu einem brennenden Cocktail vermengten, der langsam in meine Socken suppte.

      Nach einer Stunde spürte ich ein Stechen am Außenrist. Hatte ich eine Wespe im Schuh? Ich ignorierte es. Nach drei Stunden hatte sich das Stechen zu einem Pochen entwickelt, das sich eher nach einem gebrochenen Zeh anfühlte. Aber ich hatte zu tun.

      Nach elf Stunden war ich dann zurück im Hotel. Ich schälte meine nassen Sportsocken vom Fuß und war überrascht: Sie hatten sich stellenweise aufgelöst. Und wo meine Schuhe Löcher für Schnürsenkel hatten, waren jetzt blutige Löcher in meinem Fuß. So lernte ich die wichtigste Lektion des Tages: Baumwollfärber sollten keine Turnschuhe tragen.

      Die Färberei lag inmitten eines Wohngebiets. Wir waren anderthalb Stunden vom Zentrum Kalkuttas nach Nordosten gefahren. Statt Hochhäusern oder Wellblechhütten wie im Rest der Stadt standen hier vierstöckige Häuser mit Vorgärten und gelb gestrichenen Fassaden. Die Morgensonne blitzte durch Palmen, die Straße war leer bis auf eine Kuh und ein paar freundliche Straßenhunde. Nichts deutete darauf hin, dass wir in der Nähe einer Färberei waren – bis ich die Autotür öffnete und den ersten Atemzug nahm.

      Der extrem unangenehme Geruch von Ammoniak – stechend und schwer zugleich – lag in der Luft. Es ist ein Aroma, bei dem der Körper automatisch das Einatmen unterbricht und auf Alarm schaltet. Früher hat man diesen Stoff als Riechsalz verwendet, um in Ohnmacht gefallene Damen aufzuwecken. Ich kannte den Geruch aber von woanders: Vom Friseur. Es roch, als würde ein größenwahnsinniger Figaro hundert Kundinnen gleichzeitig die Haare blondieren.

      Hinter einer Mauer stand das Gebäude, aus dem der Gestank kam. Die Fassade war aus unverputztem Beton. Statt Fenstern klafften darin schwarze Löcher, in denen rostige Gitter hingen. Das Haus war nicht größer als die Wohnhäuser nebenan, wirkte aber wie deren böser Zwilling.

      Wer über die Textilindustrie spricht, denkt ja normalerweise an Nähereien. Die Bilder von Sweatshops, in denen Frauen in langen Reihen an Nähmaschinen sitzen, gingen spätestens 2013 um die Welt, als in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza einstürzte. Mehr als elfhundert Arbeiterinnen und Arbeiter kamen in den Trümmern um, mehr als zweitausend wurden verletzt. Sie hatten in dem achtstöckigen Betonklotz für diverse europäische Billigmarken Klamotten genäht.

       IN DIESER WELT DER SUB-SUB-SUB-UNTERNEHMER, DER KLEINLIEFERANTEN UND HINTERHOF-FABRIKEN, SIEHT MAN THEMEN WIE ARBEITS- ODER UMWELTSCHUTZ IMMER NOCH LOCKER. UND GENAU HIER WOLLTEN WIR HIN: IN DEN TOTEN WINKEL DER GLOBALISIERUNG.

      Solche Großfabriken beliefern entsprechend große Auftraggeber. Einige der Letzteren haben seit der Katastrophe versprochen, mehr auf Sicherheit zu achten. Seither führen Marken wie KiK oder Tchibo immer wieder westliche Journalistinnen und Influencer durch aufgeräumte Vorzeigefabriken und zeigen stolz, dass es jetzt sogar Feuerlöscher und Fluchttreppen gibt. Das ist natürlich alles nicht schlecht. Aber diese Show wollten wir uns sparen.

      Denn die Großfabriken mit den riesigen Chargen sind nicht mehr das Hauptproblem. Dort ist das Augenmerk von Kunden und Presse inzwischen so sensibilisiert, dass die meisten Hersteller auf die Regeln achten. Ausgebeutet werden Arbeiterinnen und Arbeiter natürlich immer noch. Nur passiert das Insidern zufolge eher in den kleineren Fabriken; wo nicht die großen Player, sondern die Mittelständler produzieren lassen. Die wenigen Vorzeigefabriken, die sich die teuren Werksprüfungen leisten können, mit denen sich die westlichen Konzerne absichern wollen, haben viel zu wenig Kapazitäten. Also lagern sie Teile ihrer Produktion aus in Schwester-

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