Die entkoppelte Kommunikation. Kurt E. Becker
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Im Vordergrund des CCC steht der an Good Governance-Kriterien orientierte Praxisbezug. Insofern versteht sich der CCC auch als Ergänzung des Corporate Governance Codex unter kommunikativen Gesichtspunkten. Denn Governance und Führung sind ohne Kommunikation undenkbar. Mehr noch: Kommunikation geht Governance und Führung logisch und faktisch voraus und begleitet diese de facto in allen damit in Zusammenhang stehenden Prozessen. Good Governance ist immer auch Good Communication und vice versa.
Nicht zuletzt in Anbetracht der Sprachverwirrung der Politik in unserer Zeit wäre auch ein Political Communication Codex wünschenswert, für den der CCC schon eindeutig Maßstäbe setzt und als Vorbild herangezogen werden könnte. Denn vieles, was schiefläuft in Politik und Gesellschaft, speziell in Demokratien, ist auf einen Mangel an Kommunikationsfähigkeit und Kommunikationsverantwortung der politisch Handelnden zurückzuführen.
Defizite der Kommunikation in den politischen Institutionen unserer offenen Gesellschaft ebnen Verschwörungstheoretikern jedweder Couleurs den Weg. Kommunikativ hilft dagegen nur der institutionalisierte Diskurs in Permanenz – trotz aller damit verbundenen Mühsal der Überzeugungsarbeit.
Der Konsens ist die Ausnahme,
der Konflikt die Regel
Ohne diese Überzeugungsarbeit und ohne eine mit der Überzeugungsarbeit einhergehende Einsicht in die großen Zusammenhänge unseres Lebens in dieser so und nicht anders gewordenen Wirklichkeit unserer Hemisphäre im dritten Jahrtausend christlicher Zeitrechnung werden wir zum Spielball kommunikativer Großmächte. Im digitalen Kommunikationszeitalter, vorübergehend attribuiert als 4.0, damit bezeichnenderweise auf die vierte industrielle Revolution Bezug nehmend, verdichtet sich das individuelle Verantwortungsprinzip in einer quasi grenzenlosen Kommunikationsverantwortung. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist die Einsicht in den Sachverhalt an sich und eine daraus notwendig resultierende Kommunikationsethik, die dem Einzelnen als schicksalsergebenem Kommunikationssouverän seine ihm spezifisch eigene Verantwortung bewusst macht. Auch in der Kommunikationswirklichkeit 4.0 kennzeichnet nämlich persönliche Verantwortung das Wesen jedweder Kommunikation. Wer kommuniziert, antwortet und verantwortet in gleichen Maßen. Und gebietet der grenzenlosen Kommunikationsverantwortung gleichzeitig Einhalt. Denn eine jede Antwort definiert Grenzen in den klar umrissenen Maßen des jeweiligen Fragens, verengt die Hyperkomplexität der Wirklichkeit auf ein überschaubares Segment individueller menschlicher Kompetenz im Verifizieren und Falsifizieren hinterfragter Phänomene. Eine Antwort gilt nämlich so lange als richtig und wahr, solange sie nicht widerlegt ist. Karl Poppers wissenschaftliche Erkenntnis-Methodologie hält damit sinnvoll Einzug in die menschliche Kommunikation des Fragens und Antwortens.
Wir antworten besten Wissens und Gewissens, im Gewissen unseren Verständnis- und Verstehens-Horizont bis an dessen Grenzen ausreizend, eine Antwort nicht selten aber auch verweigernd, wenn wir uns unserer Inkompetenz im konkreten Einzelfall bewusst sind. Auch die Verweigerung einer Antwort gehört ins Spektrum unserer Kommunikationsverantwortung. Besser gar nicht antworten, als falsch antworten.
Dieses individuelle Verantwortungsprinzip gilt im persönlichen Bereich genauso wie in Wirtschaftsunternehmen oder in gesellschaftlichen und politischen Institutionen. Mit diesem Verantwortungsprinzip verbunden ist allerdings auch die Erkenntnis, dass es einfache Antworten in unserer Welt nicht mehr geben kann. Kommunikation ist insofern Mittel zum Zweck, damit den Apologeten der Unterhaltungsindustrie in die Suppe spuckend, die Kommunikation zum Selbstzweck stilisieren und von allen relevanten Realitäten deswegen entkoppeln, weil auch die Desinformation als Information daherkommt, mit der sich Geld verdienen lässt. Je mehr, desto besser. Das gilt für das Geldverdienen genauso wie für die verkaufte Ware, jenes virtuelle Produkt aus faktischer Information und gezielt herbeigeführter Desinformation.
Sich diese Zusammenhänge immer wieder vor Augen zu führen, ist insofern von besonderer Relevanz, weil dadurch der Rahmen auch und gerade der persönlichen Verantwortung immer wieder aufs Neue abgesteckt wird und die Grenzen sinnhafter Kommunikation definiert werden. Speziell in einer fortgeschrittenen, den Einzelnen bis an die Grenzen der Belastbarkeit und darüber hinaus strapazierenden Kommunikationsgesellschaft tut die Erinnerung not, dass der Konsens im Kommunikationsprozess keine Selbstverständlichkeit ist, sondern speziell in einer Demokratie errungen werden will und in der alltäglichen Praxis der politischen Entscheidungsfindung eher als Kompromiss daherkommt.
Auf der Suche nach Selbstvergewisserung in persönlichen Antworten auf alle Fragen des Lebens und im Ringen um die Durchsetzung eigener Meinung gegenüber anderen, oft zu Recht als „Streit-Kultur“ apostrophiert, ist und bleibt der Konsens eben die Ausnahme, der Konflikt die Regel. Im Diskurs um Antworten und Werte in einer pluralistischen Gesellschaft ist damit nichts anderes beschrieben als die Normalität von steten Irrungen und Wirrungen im kommunikativen Mit- und Gegeneinander der Menschen in unserer Zeit und in unserer Welt.
Die Kunst, relevante Fragen zu stellen
Über diese praktischen Kommunikations-„Formalitäten“ hinaus geht es in einer zukunftsorientierten, problembewussten Kommunikationskultur heute wesentlich und mehr denn je um die Kunst, relevante Fragen zu stellen, um essentielle Inhalte also. Die relevanteste Frage von allen?
Ist unsere Kultur des Lebens und Hausens auf diesem Planeten in einen Einklang mit der Natur zu bringen? Ist die anthropogene Notwendigkeit des Behaust-Seins nicht per se immer gegen die Natur gerichtet? Müssen wir unsere Kultur nicht selbst auf den Prüfstand stellen, einen Blick von außerhalb auf das große Ganze unseres Lebens und Hausens in einer zivilisierten Wirklichkeit wagen? Ist die Konzentration auf die Klimakrise als der vermeintlichen Zukunftsherausforderung schlechthin nicht eine gefährliche Verengung des Blickwinkels? Müssen wir nicht statt dessen die Natur als Ganzes und deren elementare Gefährdung durch den Menschen in den Blick nehmen?
Diese Fragen im kommunikativen Diskurs aufzugreifen, ist das Gebot nachhaltiger Verantwortung für das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten – dem derzeit noch vorherrschenden Unterhaltungsklamauk in der Kommunikation eine definitive Absage erteilend. Kommunikation wird durch diese Fragen wieder rückgekoppelt an die Realität unseres menschlichen Seins und damit zurückgeführt auf ihren eigentlichen Zweck, Mittel zu sein.
Was ist Kommunikation?
In ihrer allgemeinsten Form meint Kommunikation einen Vorgang, bei dem ein Kommunikator (Sender) eine Botschaft über irgendeinen Träger (Kanal) an irgendeinen Rezipienten (Empfänger) sendet und eine Wirkung hervorruft. Dabei wird der Rezipient gleichzeitig oder nacheinander zum Kommunikator, der Kommunikator gleichzeitig oder nacheinander zum Rezipienten. Durch den Vorgang der Interaktion, der Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger sowie der damit verbundenen Substituierung des Sendens durch das Empfangen und umgekehrt, erhält die Kommunikation eine soziale Dimension: Sie beschreibt eine soziale Beziehung zwischen Menschen, die sich durch eine bewusste oder unbewusste Teilnahme am Kommunikationsprozess definieren. Mehr noch, Kommunikation meint den Modus vivendi des sozialen Lebens schlechthin. Jede gemeinsame Aktivität von Menschen, sei es Sprechen, Essen, Arbeiten, Handeln, Feiern etc., wird durch Kommunikation vollbracht. Dabei ist Kommunikation wesentlich symbolischer Natur. Denn die Übermittlung komplexer Botschaften in Gestalt von Gedanken, Wünschen oder Empfindungen lässt einen nicht-symbolischen Weg nur selten zu. Auch das Schweigen als Kommunikationsweg hat symbolischen Charakter, eine Tatsache, auf die wir zurückkommen werden.
Kommunikationssymbole sind kulturell bestimmt und führen Menschen zusammen, können sie aber auch trennen. Das zeigt ein Blick auf die Primärtechniken der Kommunikation. Die Sprache als kulturell etabliertes System verdeutlicht das Gemeinsame