Ich bin ein Dieb. Friedrich Glauser

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Ich bin ein Dieb - Friedrich  Glauser

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der einen Seite die Ankündigung eines Astrologen, aber die Annonce war nicht vollständig, in der Mitte war sie abgeschnitten, der ganze zweite Teil fehlte. Auf der andern Seite ein mit Rotstift angezeichneter Artikel:

       Le traitement rationel du diabete

       par le professeur Durand.

      Offenbar die Ankündigung eines Buches über die Behandlung der Zuckerkrankheit. Kreibigs Augen wanderten vom Zeitungsausschnitt zum Tisch. Zuckerkrankheit? … Zucker? … Zwei hatten am Tische Schach gespielt und dazu Kaffee getrunken, aber beide hatten sie den Kaffee ungesüßt getrunken … Der eine, wohl der Mörder, hatte sein Päckchen auf dem kleinen Silberplättchen liegenlassen, der Kussmaul aber hatte das Päckchen, bevor er vom Stuhl gefallen war, noch rasch mit der linken Hand gepackt, während die Rechte … aber das kam später. Die Linke hatte also den Zucker gepackt, der Mörder war aufgestanden, hatte sich ruhig durch die Tür entfernt, dann war der Kussmaul auf den Boden gefallen, war gestorben und sein Körper in einer immerhin merkwürdigen Stellung erstarrt. Denn die beiden Unterarme, vom Ellbogen an, standen senkrecht in die Luft. Die linke Hand hielt ein Päckchen Zucker, die rechte einen schwarzen Schachkönig …

      Der Etagenkellner Pospischil, Ottokar, verheiratet, wohnhaft Mariahilferstraße 45, schien für den ermordeten Kussmaul keine übertriebene Hochschätzung aufbringen zu können. Er habe gesoffen, deponierte er, ganze Nächte durch, gespielt habe er auch, mit ‹Freunderln›, und Weiber … aber davon wolle er, Pospischil, gar nicht reden. Dabei sei der Kussmaul krank gewesen, zuckerkrank, habe keine Mehlspeisen essen dürfen, er habe auch einen Spezialisten konsultiert, der habe ihn einmal besucht, ein nobler Herr, Zylinder und weiße Gamaschen und einen schönen weißen Bart, aber an den Namen könne er sich nicht erinnern.

      «Ja, Herr Hofrat», sagte der Kellner Pospischil, der arg verhungert aussah, «da lassen S’ am besten die Finger davon, denn der Mann da, der hat Konnexionen g’habt, ich sag Ihnen, ein Oberst von der amerikanischen Delegation ist ihn kommen besuchen, und sie haben zusammen englisch g’redt, und überhaupt, Besuche hat er den ganzen Tag gehabt, Türken und Russen und Argentinische sind zu ihm gekommen – und auch G’sindel – wenn Sie meine Meinung wissen wollen, Herr Hofrat, der Mann war eine düstere Existenz …»

      «Ja», sagte der Kommissar Kreibig und strich über sein weißes Haar, das seidig schimmerte, «ja, mein lieber Pospischil, das hab ich mir schon denkt, ich hab’s von Anfang an gesagt, nicht wahr, Hochroitzpointner? Ich hab’s von Anfang an gesagt, eine trostlose Affäre par excellence, hab ich’s nicht g’sagt?»

      Und Hochroitzpointner nickte schweigend.

      «Sie können gehen, Pospischil … oder nein, warten Sie noch. Der Zucker, Hochroitzpointner, wäre ja erklärt, sehen Sie hier den Zeitungsausschnitt, nicht wahr, ‹Die Behandlung der Zuckerkrankheit› von einem französischen Professor namens Durand. Nun weiß man ja, dass Zuckerkranke, gerade weil Ihnen der Zucker verboten worden ist, immer Hunger nach Zucker haben, und da hat halt der Kussmaul, wie er gesehen hat, dass er sterben wird, noch schnell das Packerl Zucker in die Hand genommen – gewissermaßen um seinen letzten Wunsch zu befriedigen. Nicht wahr? Was meinen Sie, Hochroitzpointner?»

      Hochroitzpointner antwortete nichts, er hielt die Hände hängend in Schulterhöhe, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem bettelnden Hunde verlieh. Kommissar Kreibig hasste diese Allüren.

      «Antworten Sie doch, wenn man Sie fragt!», schnauzte er.

      Der Geheimpolizist Hochroitzpointner antwortete nicht, er fragte, und zwar fragte er den Kellner Pospischil:

      «Mit wem hat der Herr immer Schach gespielt?»

      «Am liebsten mit dem Swift, einem Engländer. Der Herr … eh … der Tote hat gesagt, der Swift ist der Einzige, der gut spielt. Die andern sind nur Rotzbuben …»

      «Und der Herr Swift war heut Nachmittag auch da?»

      «Ja, er ist um halb vier gekommen. Dann hat der Kussmaul … eh … der Verstorbene geläutet und hat zwei Schalen Braun bestellt …»

      «Zwei Schalen Braun? Aber wo ist die Milch?»

      «Die ist uns ausgegangen, da hab ich zwei kleine Schwarze gebracht … Und da hat der Herr Kussmaul mich ang’schrien, warum ich hab Zucker gebracht, ich weiß doch, dass er keinen Zucker nehmen soll, und der andere Herr, der Herr Swift, der darf auch keinen Zucker nehmen, von wegen der ist auch zuckerkrank …»

      «So, so …», sagte der Geheimpolizist Hochroitzpointner nur und verschwand.

      «Sie können gehen, Pospischil», meinte der Kommissar, «oder warten Sie noch, haben Sie den Swift fortgehen sehen?»

      «Ja, Herr Hofrat, um drei Viertel vier hab ich ihn geholt, von wegen es hat jemand am Telefon nach ihm gefragt.»

      «Und da hat der Kussmaul noch gelebt?»

      «Das weiß ich nicht, halten zu Gnaden, Herr Hofrat, das weiß ich also wirklich nicht. Ich hab geklopft und hab gesagt: ‹Telefon für den Herrn Swift.› Da hat eine Stimme gesagt: ‹Yes›, die Tür ist aufgerissen worden, und ich bin zurückgefahren, weil, wissen S’, Herr Hofrat, der Kussmaul, der hat es nicht gerne gehabt, wenn ich ins Zimmer gekommen bin, und einmal, da hat er mir …»

      «Das interessiert mich nicht, Pospischil.»

      «Da hat er mir eine leere Flasche an den Kopf geworfen … Ja, also, der Herr Swift, der ist mit mir zum Telefon gegangen, und dann hat er geredt, englisch, ich hab nix verstanden, und dann ist er fortgegangen. Hat mir gesagt, ich soll dem Kussmaul sagen, er kann die Partie nicht fertigspielen … Aber ich hab mich verspätet, hab zu tun gehabt, andere Gäste haben geläutet, oh mein! Der Herr Hofrat wissen gar nicht, wie schwer es unsereiner hat, den ganzen Tag laufen, und das kleine Trinkgeld, geizig sind die Schieber …»

      «Schon gut, Pospischil, und wann sind Sie dann ins Zimmer gekommen?»

      «So um halb fünf, Herr Hofrat, und da ist der Kussmaul … eh, der Ermordete, es weiß ja keiner, ob er wirklich Kussmaul heißt, einmal hat ihn einer ganz anders genannt, da ist er am Boden gelegen, und ich hab der Polizei telephoniert …»

      «Und Sie heißen Ottokar mit dem Vornamen, Pospischil?»

      «Zu Befehl, Herr Hofrat, Ottokar, ja, wie mein Großvater …»

      «König Ottokars Glück und Ende …», murmelte Kommissar Kreibig.

      «Wie belieben, Herr Hofrat?»

      «Nichts, Pospischil, so heißt ein Stück von dem Wiener Grillparzer, aber den kennen Sie nicht …»

      «Nein, Herr Hofrat, einen Gast dieses Namens haben wir nie gehabt in unserem Haus.»

      «Und Sie haben ein Messer, Pospischil?»

      … Der schwarze König … König Ottokar … aber dann passte der Zucker wieder nicht … aber der Swift war zuckerkrank, der Hochroitzpointner hatte vielleicht doch recht, aber Swift, Swift … der hatte doch keine Königsdramen geschrieben, nur diese Geschichten über die Riesen … Gulliver? Ja, Gulliver … Es ging ein wenig kreuz und quer zu in Kreibigs Kopf.

      «Sie haben ein Messer, Pospischil?», fragte er noch einmal, weil der Kellner schwieg.

      «Oh, nur ein Federmesserl, Herr Hofrat», und Pospischil zeigte in einem rührend verlegenen Lächeln

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