Grosse Tiere. Niklaus Meienberg

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Grosse Tiere - Niklaus Meienberg

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      Über dieses Buch

      Sie machten Furore, die Reportagen Meienbergs, erregten Aufsehen, wurden viel gelesen und diskutiert. Sie waren genau recherchiert, dramaturgisch sorgfältig gebaut und brillant geschrieben, ihr streitlustiges Engagement fuhr wie ein frischer Wind in den prätentiös-bildungsbürgerlichen Mief der Feuilletons, und bis heute haben sie ihre Frische bewahrt.

      Der Inhalt dieses E-Books entspricht dem Kapitel «Grosse Tiere» aus Band 2 der Reportagen, ausgewählt und zusammengestellt von Marianne Fehr, Erwin Künzli und Jürg Zimmerli, Limmat Verlag, Zürich 2000:

      Einen schön durchlauchten Geburtstag für S. Durchlaucht!

      O wê, der babest ist ze junc/Hilf, here, diner Kristenheit

      Gespräche mit Broger und Eindrücke aus den Voralpen

      Sprechstunde bei Dr. Hansweh Kopp

      In Hüttwilen

      Jagdgespräch unter Tieren

      Ein gravierender Fall

      Offener Brief an den frisch verstorbenen Charles De Gaulle

      Der traditionelle Neujahresempfang

      Sexaloiten

      Der restaurierte Palast

      Denn alles Fleisch vergeht wie Gras

      Apocalypse now im Berner Oberland

      Foto Roland Gretler

      Niklaus Meienberg (1940–1993), Historiker, Schriftsteller und Journalist. Er erfand die Reportage neu und dichtete ungeniert mit dem überlieferten Material europäischer Lyrik. Mit seinen Texten zur Zeitgeschichte war er ein grosser Streiter, dessen «Sprachgewalt» auch seine Feinde bewunderten. Wie kein zweiter hat sich Niklaus Meienberg der Öffentlichkeit ausgesetzt, seine ganze Person hat er in seine Texte eingebracht, und mit seiner ganzen Person ist er für sie eingestanden.

      Niklaus Meienberg

      Grosse Tiere

      Ausgewählt und zusammengestellt von Marianne Fehr, Erwin Künzli und Jürg Zimmerli

      Limmat Verlag

      Zürich

      Einen schön durchlauchten Geburtstag für S. Durchlaucht!

      Der Fürst von Liechtenstein, Franz Josef II., ist siebzig Jahre alt g’word’n. Das kann jedem passieren. Manche sind in diesem Alter etwas tattrig, andre etwas flattrig. Der Fürst von Liechtenstein jedoch, in bemerkenswerter geistiger Frische und umgeben von seinen Kunstschätzen und auch seinem Volk, ist beneidenswert gut erhalten. Er geht beneidenswert-bemerkenswert rüstig in sein achtes Jahrzehnt, er ältelt und gräuelet nur wenig und wird seinem Volk noch lang erhalten bleiben, Gott erhalte Franz den Fürsten. Auf den Fotos, die zum feierlichen Anlass ausgegraben wurden, sieht man einen Franz Josef II. von anno 1938, der damals schon ganz genauso aussah wie heute, derselbige ehrwürdig-versonnene Landesvaterkopf unterm Zylinder, über die Brust ein Ordensband, der Fürst blieb im Zustand von 1938 erhalten wie tiefgefroren, Schnauz, Lächeln, Ehefrau: Alles ist noch da.

      Was erhält den Fürsten so jung? Er hat es dem Historiker Golo Mann, der einen ebenso zeitlosen Kopf besitzt wie der Fürst, verraten (exklusiver «Weltwoche»-Report bzw. Interview vom 4. August): Es sind das Elixier der Macht und der Umgang mit den Grossmächtigen dieser Welt. Ein veritabler Jungbrunnen für Franz Josef II.! Nun kommt es nicht oft vor, dass ein Fürst von einem Geistes-Fürsten so schmuck befragt wird wie in diesem Interview und dass er so hübsch auspackt; und noch seltener dürfte es wohl sein, dass ein Historiker wie Golo Mann, immerhin auch nicht aus schlechtem Haus, so untertänig Fragen stellt (fast wie ein Landeskind bei der Audienz) und so deutlich seine politischen Ansichten enthüllt. Golo Mann gibt Antworten, indem er fragt. Man weiss jetzt, wenn man es noch nicht wusste, wie stark seine republikanischen Überzeugungen verwurzelt sind. Der Grossbürger spielt Pingpong mit dem Aristokraten, und siehe da: Es war eine prästabilierte Harmonie in der Luft.

      «Durchlaucht, 70 Jahre sind ja nach modernen Begriffen kein hohes Lebensalter», fängt das Duett an. Immerhin so hoch, dass sich Franz Josef II. noch an Franz Joseph, Kaiser von Österreich-Ungarn, erinnern kann. Was für ein gütiger Herr! «Da ist mir die Erinnerung geblieben an seine Augen, erstaunlicherweise nicht an seinen Bart. Es ist interessant, dass mir als Kind nicht der Bart den grössten Eindruck gemacht hat.»

      Den Völkern der weiland Donaumonarchie haben weder Bart noch Augen den grössten Eindruck gemacht, sondern die unbegrenzte Unterdrückungslust des versteinerten Monarchen, der weder das demokratische noch das Nationalitätenprinzip anerkennen wollte und die Herrschaft der adligen Grossgrundbesitzer, der Hochfinanz und der Pfaffen mit seinem Gottesgnadentum verbrämte. Die Fürsten von Liechtenstein, steinreich und mächtig, waren eine der führenden Familien in diesem sklerotischen Kasten- und Klassenstaat, der rückwirkend von Sissi-Filmen und Historikern wie G. Mann verklärt wird: Grossgrundbesitzer in Böhmen-Mähren (und auch in Schlesien), und «trotz der sogenannten Bodenreform (nach dem Ersten Weltkrieg) waren uns 65'000 Hektar Land geblieben, davon vielleicht 3000 Hektar Landwirtschaft, und der Rest war Wald. Der Wald hat mich immer interessiert.» Die junge tschechoslowakische Republik hat einiges von diesem adligen Boden verstaatlicht, das war die «sogenannte Bodenreform». Einfach den Adligen ein Stück von ihrem Land wegnehmen, pfui, und der Fam. Liechtenstein nur noch fünfundsechzigtausend Hektar lassen! «Bei uns in der Tschechoslowakei, da gab es doch eine ziemliche Hetze gegen den Adel, besonders von der Gruppe um Benesch, der ja immer noch so gefeiert wird im Westen …» Darauf Golo Mann: «… Nicht von mir!»

      Allerdings. Der republikanische Staatsmann Benesch und die Republik überhaupt sind diesem G. Mann recht suspekt, er feiert sie keineswegs, sie sind ihm suspekter als die Donaumonarchie. Armer Fürst! Musste S. Durchlaucht doch mit den eigenen höchstselbigen durchlauchten Augen eine Arbeiterrevolte in Wien sehen: «Da habe ich von den Unruhen gehört, und weil meine Grossmutter und meine Tante in Wien waren, bin ich dann gleich zu Fuss zu ihnen geeilt. Auf der Strasse sind mir dann bald die Taxameter entgegengekommen, mit flüchtenden Leuten darin, mit eingerollten Fahnen dabei, aber das waren doch eher Leute, die kaum österreichisch ausgesehen haben. Da waren fremde Agitatoren dabei …»

      Russen? Chinesen? Schweizer?

      An die österreichische Republik hat S. Durchlaucht damals nie so richtig geglaubt, kein Wunder, er wusste genau, wie heftig sie von Adel (dem Grafen Starhemberg und anderen) und Bürgertum bekämpft wurde: lauter republikfremde Agitatoren. «Im Gegensatz zu vielen meiner Bekannten, gerade auch vom Adel, habe ich die Erste Republik stets als unstabil klassifiziert», und gehorsam ist sie dann auch untergegangen, jedoch Fam. Liechtenstein blieb stabil und erinnerte sich an ein vernachlässigtes Besitztum im «fernen Westen», nämlich eben das heutige Liechtenstein, und schlug dort, wo sonst früher nur die Sommerfrische verlebt wurde, Wurzeln. Und trat von dort aus den Mächtigen mit steifem Selbstbewusstsein entgegen. Da gab es diesen Hitler, den Emporkömmling, dem hat es Franz Josef II. besonders deutlich gezeigt, bei einem Staatsbesuch in Berlin: «Er war sehr verlegen. Ein ganz winziges Männchen, so wie der Dollfuss in der Grösse, er hat mir nur bis zur Brust gereicht.» Den Hitler hat vermutlich die Angst vor der liechtensteinischen Wehrmacht so klein gemacht, drum hat er nicht annektiert seinerzeit, und das lässige Auftreten der hochgewachsenen Durchlaucht hat ihn zusätzlich eingeschüchtert: Hitler hat bekanntlich nie Länder angegriffen, deren Lenker ihn körperbaumässig überragten: «Meinen Regierungschef Dr. Hoop habe ich (während des Staatsbesuchs) nicht mehr anschauen können, so habe ich

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