Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert. Группа авторов

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Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert - Группа авторов Passagen

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Der Aspekt der akademischen Selbstverständigung findet sich auch in den „lokalen Bezügen“, die fast systematisch in den Thesendruck integriert erscheinen.54 Die intendierte enge Verflechtung zwischen dem Adel der Geburt, dem – wenn man so will – Adel des Geldes und dem Adel des Geistes wird durch die Wahl der Bezugspersonen im städtischen Kontext anschaulich gemacht: Wer im seit 1681 französischen Straßburg auf ideale – das heißt bildungsbeflissene – Herrscher hinweisen wollte, tat gut daran, Könige wie Heinrich IV. oder den jüngst (1715) verstorbenen Ludwig XIV. zu rühmen, wie es Silberrad denn auch tut.55 Die wohlhabenden Honoratioren der Stadt erhalten, wie oben gezeigt, ihren Ehrenplatz auf der Widmungstafel. Und im Zentrum der Abhandlung werden immer wieder prominente Vertreter der Straßburger Gelehrtenrepublik erwähnt, zu denen der Verfasser in persönlicher Verbindung steht oder die in früheren Zeiten den Ruhm der Academia Argentinensis ausmachten. Die insgesamt neun mit Straßburg in Beziehung stehenden Passagen erscheinen für die Argumentation keineswegs unerlässlich, so wird beispielsweise die Unterscheidung zwischen angemessenem und schmählichem Widmungsverhalten ohne zwingenden Grund aus einer Abhandlung von Johann Caspar Khun, „Venerando Facultatis nostrae Seniore Amplissimo“,56 zitiert, einem Text, der überhaupt nur an dieser einen Stelle kurz auf den Brauch des Dedizierens eingeht.57 Noch auffälliger auf das lokale „name dropping“ zielend ist eine Passage im Proömium, wo zum Stichwort der vorgetäuschten Gelehrsamkeit auf eine Vorrede verwiesen wird, die einer Dissertationensammlung von Thomas Bartholin vorangestellt ist und deren Verfasser bezeichnet wird als „eruditionis elegantissimae Theologus M. R. DN. Jo. Gerh. MEUSCHEN, Illustr. et Celsissimi Comitis Hanoici Primarius hodie sacrorum Antistes et Ecclesiasticus Consiliarius gravissimus, Patronus Fautorque noster honorandus, amandus“.58 Auf der diachronen Ebene nutzt Silberrad die im Rahmen der Gelehrtenkritik zu erwartende Topik der Zeitklage, um auf die ruhmreiche Frühzeit der Straßburger Akademie hinzuweisen.59 Im Kontext seiner Äußerungen über die Notwendigkeit der Fürstenbildung heißt es hier:

      Utinam ergo fata illa Academiis Scholisque redirent, qualibus circa An. 1590. Melchiore Junio perpetuum Rectoratum gerente, Argentinensis nostra gavisa fuit!60

      Vermutlich nimmt Silberrad damit auf den Umstand Bezug, dass in dieser Zeit besonders viele adlige Zöglinge die aufstrebende Straßburger Hochschule besuchten,61 während die Attraktivität Straßburgs in den Jahren um und nach 1700 infolge von Kriegswirren stark zurückgegangen war.62 – Um schließlich auch den konfessionellen Schulterschluss im streng lutherischen Straßburg zu festigen, fügt der Autor die bekannte Anekdote von den Sozinianern ein, die die Geschmacklosigkeit begingen, ihren Rakówer Katechismus ausgerechnet der Universität Wittenberg zu widmen.63 Die Episode ist ein wenig deplatziert64 in einen Kontext durchaus berechtigter Dedikationsakte eingeschoben; womöglich wollte Silberrad neben der Suggestion eines harmonischen Zusammenspiels der bildungstragenden Akteure auch noch ein deutliches Bekenntnis zur eigenen Rechtgläubigkeit abgeben.

      7. An Stelle der so genannten corollaria, also locker gefügter Thesen, die im Anschluss an die Kerndisputation gegen Ende des universitären Aktes fakultativ bearbeitet werden konnten, enthält unsere Disputation am Schluss vier Paragraphen mit cautelae, also Vorsichtsmaßnahmen, die es zu ergreifen gilt, wenn man sich auf dem glatten akademischen Parkett angemessen zu bewegen versucht:

      Haec ergo quum Dedicationum sit conditio haud abs re erit, de Prudentia Viri sapientis, circa scriptorum suorum dedicationes, paucula addere, et quomodo famae suae ut parcat, versari in illis debeat, inquirere.65

      Schon die erste cautela macht deutlich, dass die spannungsfreie Integration des Gelehrten in sein Umfeld für Silberrad von höchster Priorität ist, heißt es da doch, man solle, um nicht bei anderen den Anschein eines neumodischen oder absonderlichen Menschen zu erwecken, den altehrwürdigen Brauch, Bücher mit Widmungen zu versehen, nicht rundweg ablehnen.66 Weiter ist dann davon die Rede, dass man mit seiner abweisenden Haltung leicht ins Abseits geraten könne, weil ja selbst die erklärten Gegner des Disputationswesens Widmungen verfassten. In der Folge vertritt Silberrad eine pragmatische, ausgleichende Position, die davon abrät, angesichts des geläufigen Missbrauchs der Dedikationen das Kind mit dem Bade auszuschütten („cum sordibus infantem ipsum ejicere“),67 zugleich aber immer wieder mahnt, jeden Anschein von Geldgier oder Ehrgeiz zu vermeiden, was beispielsweise dadurch geschehen könne, dass man das Angebot einer finanziellen Gegenleistung für die Widmung ablehne oder seine Schriften Personen von gleichem sozialem Rang dediziere.68 Zur souveränen Haltung des Gelehrten gehört für Silberrad auch, dass man übergroßes Misstrauen vermeidet. Die Ansicht, jedes Lob komme einer Lüge gleich („laudare prope mentiri esse“),69 zeugt für ihn von einer unangebrachten Menschenfeindlichkeit. Diese „rigidam […] philosophiam“70 lehnt er ab und wendet sich damit explizit gegen die mehrfach erwähnten „Observatores Hallenses“ und damit auch gegen den Mitherausgeber dieser Hallischen Zeitschrift, Christian Thomasius, den er in einer Fußnote explizit als Autor der Vorrede des relevanten dritten Bandes zu identifizieren glaubt.71 Wenn die cautelae schließlich in einen Appell zur Gelassenheit angesichts der prekären Situation der Autoren münden, so ist damit nicht nur eine Warnung vor überzogenen Hoffnungen auf mäzenatische Förderung verbunden, sondern die respublica litteraria formiert sich in der Perspektive des Verfassers zugleich als Schicksalsgemeinschaft, die auf Rückschläge gefasst zu sein hat.

      8. Der Disputationsdruck endet mit einem Gebet,72 was in Texten dieser Art nicht ganz exzeptionell, aber auch nicht sehr verbreitet ist. Es markiert den Übergang vom Aufruf zur akademischen Selbstverständigung hin zu einem kaum verdeckten Appell an die Mäzene, womit auf subtile Weise an die dem Druck vorangestellte Widmungstafel angeknüpft wird. Gott dient ja ungeachtet des Gebetsgestus fraglos als Mittler einer Botschaft, die sich an die wohlhabenden Patrizier beziehungsweise an die Obrigkeit der ehemaligen Reichsstadt richtet, heißt es doch, er möge nicht nur das ungünstige Schicksal („fata duriora“) von der Gelehrtenrepublik abwenden („a Republ. literaria clementer avertat“), sondern auch

      eosque qui pietatis ac sapientiae studiorum strenui adhuc sunt assertores gratiose conservet, et ut nutrices vindicesque verae eruditionis Academias inque his docentes diligere ac ornare pergant, faxit.73

      Mit den „studia pietatis ac sapientiae“ war überdies die Maxime Johannes Sturms (1507 bis 1589), des legendären Begründers der Straßburger Akademie im 16. Jahrhundert, aufgerufen. Mit Sturm und dem in altrömischer Manier apostrophierten „DEUS O. M.“ an ihrer Seite, so das Kalkül der Disputanten, würden sie die Mäzene74 schon bei der Stange halten. Für die richtige Einstellung zum Disputationswesen und die angemessene Praxis des Dedizierens sollte im akademischen actus, zu dem der Thesendruck einlud, jedenfalls gestritten werden.

      Pancratz Der eingefleischte Polter-Geist – Ein anonymes Straßburger Volksstück aus dem Jahr 1722

      Sikander Singh, Saarbrücken

      I.

      Dem zweiten Band der Deutschen Schaubühne, der bekanntlich vor dem ersten veröffentlicht worden ist, hat Johann Christoph Gottsched ein „Verzeichniß aller Theatralischen Gedichte, so in deutscher Sprache herausgekommen“ vorangestellt. Unter der Rubrik „Deutsche Schauspiele, von 1700 bis 1740“ findet sich der Hinweis: „Pancratz eingefleischter Polter-Geist“; als Erscheinungsjahr des Schauspiels wird 1727 genannt; versehen ist der bibliographische Eintrag mit dem Vermerk: „in ungebundener Rede“.1 Die falsche Datierung des Werkes zeigt an, dass der Leipziger Professor den 151 Seiten im Oktavformat umfassenden Band nicht autopsiert, sondern eine bibliographische Angabe aus anderer (bislang unbekannter) Quelle übernommen hat, denn der Band, der ohne Angabe eines Verfassers, eines Verlegers, eines Druckers oder Druckortes erschien, ist wie auf dem Innentitel ausgewiesen 1722, somit fünf Jahre früher als Gottsched behauptet, publiziert worden.

      In dem Nöthigen Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst, mit dem der Leipziger Professor im Jahr 1757 den großen Bestand

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