Sex: Die Macht der Begierde (GEOkompakt eBook). Группа авторов
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Es gibt drei Formen der nichtsexuellen Vermehrung:
1. Die Querteilung. Sie ist so alt wie das Leben selbst: Seit Jahrmilliarden verdoppeln Bakterien ihre Erbsubstanz und schnüren sich in der Mitte ein, bis schließlich zwei Zellen entstehen.
2. Die Knospung. Ein Teil des Mutter-Organismus schnürt sich ein, bis er abfällt. Aus diesem Körperfragment wächst ein neues Individuum heran.
Auch vielzellige Tiere vermehren sich durch Knospung: Im Süßwasser lebende Hydra-Polypen etwa bilden kleine Auswüchse an ihren Körpern, die alsbald davonschwimmen. Aus ihnen reifen kleine eigenständige Polypen heran. Mitunter verliert ein Seestern einen Arm, an dem mit der Zeit neue Arme wachsen, bis nach wenigen Wochen ein vollständiger neuer Seestern über den Meeresboden kriecht. Und Kartoffeln, Erdbeeren und viele andere Pflanzen vermögen Knospen und Stecklinge zu produzieren, aus denen neue Gewächse gedeihen.
3. Fragmentierung. Dabei zerfällt der gesamte Körper, etwa von Flechten oder Cyanobakterien, in Einzelteile. Aus jedem Fragment wächst wieder ein vollständiges Lebewesen.
Eine weitere Variante, bei der alle Gene weitergegeben werden, ist die Jungfernzeugung. Bei dieser – von Biologen „unisexuell“ genannten – Form der Fortpflanzung wächst aus einer unbefruchteten Eizelle im Leib des Muttertiers ein Tochterindividuum heran. Männliche Spermien sind für diesen Vorgang nicht notwendig, die keimfähigen Eizellen entwickeln sich auch mit einfachem Chromosomensatz.
Viele Insektenarten, Krebse, manche Fische, Eidechsen und zuweilen sogar Truthühner sind fähig, sich auf diese Weise zu vermehren.
All jene Spezies, die asexuelle oder unisexuelle Fortpflanzung betreiben, müssen für Partnersuche, Balz und Kopulation weder Zeit noch Energie aufwenden. Und dennoch gibt es kein einziges höheres Tier (wie Vogel, Schlange oder Säuger), das sich etwa durch Querteilung vermehrt. Und in der gesamten Natur sind nur rund 1000 Arten bekannt, die sich durch Jungfernzeugung fortpflanzen – im Vergleich zu Abermillionen Spezies, die Sex haben.
Trotz aller augenscheinlichen Nachteile muss also das Prinzip der sexuellen Verschmelzung den jeweiligen Spezies einen so großen Vorteil sichern, dass es sich bei fast allen heute existierenden Arten durchgesetzt hat.
Um eine Erklärung für das Mysterium Sex zu finden, richten Naturwissenschaftler ihren Blick tief in die Vergangenheit des Lebens.
Vor rund 1,5 Milliarden Jahren – so vermuten jedenfalls manche Forscher – gab es bereits eine Urform sexueller Begegnung.
Damals existierten nur Bakterien und Einzeller, die sich durch Querteilung und Knospung vermehrten. Manchmal aber, infolge eines evolutionären Zufalls, übertrug ein Bakterium einen Teil seines Erbguts auf ein anderes. Der Empfänger konnte auf diese Weise etwa ein beschädigtes Stück der eigenen DNS ersetzen oder an zusätzliche Erbinformationen gelangen.
Dazu bildete das Spender-Bakterium eine schlauchförmige Verbindung und schleuste DNS in die benachbarte Zelle. Das Empfänger-Bakterium baute die Erbinformationen in sein eigenes Erbgut ein. Es kam zu einer Verschmelzung.
Am Anfang hatte Sex also nichts mit Vermehrung zu tun, sondern: mit Reparatur.
Im Laufe der Entwicklungsgeschichte ging die Methode des DNS-Austausches auch auf andere Spezies über, etwa auf Pantoffeltierchen oder andere Einzeller mit Zellkern. Wie genau, das können sich die Forscher noch immer nicht erklären. Ganz offensichtlich aber war die Vereinigung von Anfang an ein Erfolgsrezept: Millionen Jahre später bildete sie die Grundlage aller drei großen Organismenreiche: der Pflanzen, Tiere und Pilze.
Denn während die Knospung nur identische Klone des „Muttertieres“ hervorbrachte, erschuf die sexuelle Verschmelzung von Erbinformationen immer neue DNS-Kombinationen. Die Durchmischung war so etwas wie eine Innovationsschmiede für das Erbgut einer Art.
Eine Revolution, die bis heute einen immensen Vorteil mit sich bringt.
Denn durch den Sex können sich Individuen leichter an Lebensbedingungen anpassen, die sich im Laufe von Jahrtausenden ja ständig ändern: Temperatur und Klima wandeln sich, die Evolution bringt neue Feinde hervor, Konkurrenten machen einer etablierten Art plötzlich Reviere streitig; neue Krankheiten bedrohen eine Spezies.
Viren etwa versuchen auf immer neuen Wegen in die Zellen eines Wirtsorganismus einzudringen und sich dort zu vermehren, Bakterien besiedeln Schleimhäute und andere Gewebe. Das jeweilige Abwehrsystem des Wirts versucht dann, die Eindringlinge zu erkennen und zu vernichten.
Bakterien vermehren sich aber extrem rasch – einige bringen es auf bis zu 50 Generationen pro Tag. Durch Sonnenlicht und chemische Prozesse treten bei ihnen manchmal zufällige Veränderungen des Erbguts auf; zwar kommt es nur bei einer von zehn Millionen Zellteilungen zu einer Mutation. Und doch: Bakterien vervielfältigen sich unter günstigen Bedingungen so rasant, dass an einem Tag Tausende Genmutanten entstehen.
Die Mutationen können nun durch Zufall bewirken, dass ein Bakterium das Immunsystem des Wirts austrickst. Indem es zum Beispiel eine andere Oberfläche ausbildet oder sich mit Schleim tarnt und so von den Abwehrzellen des Wirts nicht erkannt wird.
Wenn in einer solchen Situation alle Individuen einer Wirts-Art genetisch identisch sind, können neue aggressive Bakterien nach und nach die gesamte Spezies auslöschen. Denn die Wirte haben ja alle das gleiche Immunsystem und sind nicht mehr in der Lage, die trickreichen Krankheitserreger abzuwehren.
Sex dagegen bedeutet Varietät. Und die erhöht die Überlebenschancen: Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit werden immer ein paar Mitglieder einer Population neue Viren und Bakterien abwehren können – und so überleben.
Doch auch die Krankheitserreger verändern sich fortwährend. Es beginnt eine Art Wettkampf, der zu immer neuen Erbgut-Mischungen führt.
Heute gehen die meisten Biologen davon aus, dass genau dies das Erfolgsgeheimnis der sexuellen Vermehrung ist: Sie bietet einen größeren Abwehrschutz gegen Krankheitserreger – etwa Parasiten, die gefährlichsten Feinde der Menschen, Tiere und Pflanzen.
Der vermeintliche Nachteil ist also in Wahrheit ein Vorteil: Nur weil jedes Individuum beim Sex nicht mehr als die Hälfte seiner eigenen DNS preisgibt, ist die Durchmischung möglich.
Hier greift, ganz anders als von vielen Wissenschaftlern zunächst vermutet, eine Regel der Evolutionstheorie: das Überleben des Bestangepassten.
Unter den Bedingungen der natürlichen Selektion setzen sich nämlich immer jene Arten durch, die andere aus dem Feld schlagen. Die geschickter vor Feinden auszuweichen vermögen, sich damit schneller fortpflanzen und verbreiten, schneller wachsen.
So lässt sich auch begründen, wieso es exakt zwei Geschlechter gibt: weil es überaus effizient ist. Es wäre viel komplizierter, müssten für jede Befruchtung drei oder gar fünf verschiedene Keimzellen aus unterschiedlichen Organismen miteinander verschmelzen.
ENTSTANDEN IST DER UNTERSCHIED der Geschlechter vermutlich durch eine Art Arbeitsteilung beim Sex: In Vielzellern spezialisierten sich einige Zellen zu Keimzellen. Verschmolzen sie miteinander, entstand neues Leben.
Als das Prinzip der Zellverschmelzung erst einmal existierte, war es vorteilhaft, dass es zwei Sorten von Keimzellen gab: große Zellen (Eizellen) mit genügend Nährstoffreserven für den heranwachsenden Embryo sowie möglichst kleine Zellen