Die Waffen nieder. Bertha von Suttner
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»Sechs Uhr, Herr Oberleutnant,« meldete die Ordonnanz, welche Befehl erhalten hatte, rechtzeitig zu wecken.
Arno richtete sich auf ... Jetzt also war die Stunde gekommen – jetzt würde es gesprochen werden, dieses jammer-jammervolle Wort »Lebewohl«.
Es war ausgemacht worden, daß ich ihn nicht zur Bahn begleiten würde. Die eine Viertelstunde mehr oder weniger des Beisammenseins – auf die kam es nicht mehr an. Und das Leid der letzten Losreißung, das wollte ich nicht vor fremden Leuten bloßlegen; ich wollte allein in meinem Zimmer sein, wenn der Abschiedskuß getauscht worden, um mich auf den Boden werfen – um schreien, laut schreien zu können.
Arno kleidete sich rasch an. Dabei sprach er allerlei Tröstliches auf mich ein:
»Wacker, Martha! In längstens zwei Monaten ist die Geschichte vorbei und ich bin wieder da ... Zum Kuckuck – von tausend Kugeln trifft nur eine und die muß nicht gerade mich treffen ... Es sind andere auch schon aus dem Krieg zurückgekommen: sieh' deinen Papa. Einmal muß es doch sein. Du hast doch keinen Husarenoffizier in der Idee geheiratet, sein Handwerk sei Hyazinthenzucht? Ich werde dir oft schreiben, so oft als möglich, und dir berichten, wie frisch und fröhlich die ganze Kampagne vor sich geht. Wenn mir was Schlimmes bestimmt wäre, so könnte ich mich nicht so wohlgemut fühlen ... einen Orden geh' ich mir holen, weiter nichts ... Gib nur hier recht acht auf dich selber und auf unseren Ruru – der wenn ich avanciere, auch wieder um einen Grad vorrücken darf. Grüß ihn von mir ... ich will den Abschied von gestern abend nicht noch wiederholen ... Dem wird's einmal ein Vergnügen sein, wenn ihm sein Vater erzählt, daß er im Jahre 59 bei den großen italienischen Siegen dabei gewesen« ...
Ich hörte ihm gierig zu. Dieses zuversichtliche Geplauder tat mir wohl. Er ging ja gern und lustig fort – mein Schmerz war also ein egoistischer, daher ein unberechtigter – dieser Gedanke würde mir die Kraft geben, ihn zu überwinden.
Wieder klopfte es an der Tür.
»Es ist schon Zeit, Herr Oberleutnant.«
»Bin schon fertig – komme gleich.« Er breitete die Arme aus: »Also jetzt, Martha, mein Weib, mein Lieb –«
Schon lag ich an seiner Brust. Reden konnte ich nicht. Das Wort Lebewohl wollte nicht über die Lippen – ich fühlte, daß ich bei Äußerung dieses Wortes zusammenbrechen mußte, und die Ruhe, den Frohmut seiner Abfahrt durfte ich ja nicht vergällen. Den Ausbruch meines Schmerzes sparte ich mir – wie eine Art Belohnung – auf das Alleinsein auf.
Nunmehr aber sprach er es, das herzzerreißende Wort:
»Leb' wohl, mein Alles, leb' wohl!« und drückte innig seinen Mund auf den meinen.
Wir konnten uns aus dieser Umarmung gar nicht losreißen – war es doch die letzte! Da plötzlich fühle ich, wie seine Lippen beben, seine Brust sich krampfhaft hebt ... und – mich freilassend, bedeckt er sein Gesicht mit beiden Händen und schluchzte laut auf.
Das war zu viel für mich. Ich glaubte wahnsinnig zu werden.
»Arno, Arno,« rief ich ihn umklammernd: »Bleib, Bleib!« Ich wußte, daß ich unmögliches verlangte, doch rief ich hartnäckig: »Bleib, bleib!«
»Herr Oberleutnant,« kam es von draußen, »schon höchste Zeit«.
Noch einen Kuß – den allerletzten – und er stürzte hinaus.
* * *
Charpie zupfen, Zeitungsberichte lesen, auf einer Landkarte Stecknadelfähnchen aufstecken, um den Bewegungen der beiden Heere zu folgen und daraus Schachaufgaben, in der Fassung von »Österreich zieht an und setzt mit dem vierten Zuge matt« zu lösen trachten; in der Kirche fleißig um Schutz für seine Lieben und um den Sieg der vaterländischen Waffen beten; von nichts anderem reden als von den vom Kriegsschauplatz eingetroffenen Nachrichten: – das war es, was meine und die Existenz meiner Verwandten- und Bekanntenkeise nunmehr ausfüllte. Das Leben mit allen seinen übrigen Interessen schien für die Dauer des Feldzuges sozusagen in der Schwebe; alles bis auf die Frage »wie und wann wird der Krieg enden?« war der Wichtigkeit, ja beinahe der Wirklichkeit beraubt. Man aß, man trank, man las, man besorgte seine Geschäfte; aber das alles »galt« eigentlich nicht –nur eins war von vollgewichtiger Gültigkeit: die Telegramme aus Italien.
Meine größten Lichtblicke waren selbstverständlich die Nachrichten, welche ich von Arno selber erhielt. Diese waren sehr kurz gefaßt – das Briefschreiben ist niemals seine starke Seite gewesen –; aber sie brachten mir doch das beglückendste Zeugnis; noch am Leben – unverwundet. Sehr regelmäßig konnten diese Briefe und Depeschen freilich nicht eintreffen, denn oft waren die Verbindungen abgebrochen, oder – wenn es irgendwo zur Aktion kam – der Feldpostdienst aufgehoben.
Wenn so einige Tage vergangen waren, ohne daß ich von Arno gehört, und es wurde eine Verlustliste veröffentlicht – mit welchem Bangen las ich da nicht die Namen durch! ... Es ist so spannend, wie für den Losbesitzer das Durchsehen der Gewinnummern einer Ziehungsliste, aber in umgekehrtem Sinne: was man da sucht, wohl wissend, daß man (Gott sei Dank) die Wahrscheinlichkeit gegen sich hat, ist der Haupttreffer des Unglücks ...
Das erstemal, als ich die Namen der Gefallenen durchgelesen – ich war eben seit vier Tagen ohne Nachricht – und sah, daß der Name »Arno Dotzky« nicht darunter war, da faltete ich die Hände und sprach mit lauter Stimme: »Mein Gott, ich danke dir!« Kaum aber waren die Worte geäußert, so klang es mir wie ein schriller Mißton daraus nach. Ich nahm das Blatt wieder zur Hand und betrachtete zum zweitenmal die Namenreihe. Also weil Adolf Schmidt und Karl Müller und viele andere – aber nicht Arno Dotzky – geblieben waren, hatte ich Gott gedankt? Derselbe Dank wäre dann berechtigterweise von dem Herzen derer zum Himmel aufgestiegen, welche für Schmidt und Müller zittern, wenn sie statt dieser den Namen »Dotzky« gelesen hätten? Und warum sollte gerade mein Dank dem Himmel genehmer sein als jener? Ja – das war der schrille Mißton meines Stoßgebetes