Johannas Gerechtigkeit (Rache einer Vergewaltigten). Martin Wischmann
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Der März 1976 begann für Johanna und Dietrich, wie er nicht schöner hätte sein können. Die zwei Kinder kamen in der Schule gut mit und erfreuten sich an den herrlichen Schneemassen, welche ihnen die größte Freude bescherte. Auf dem Anwesen des Birkenhofes hatten ihre Eltern und Opa Karl Unmengen von Schneehügeln aufgehäuft, die von den Beiden liebend gern zum Hochklettern und Runterrutschen genutzt wurden. Johanna und Dietrich konnten gar nicht verstehen, warum die Erwachsenen über den Schnee schimpften, wo er doch so viel Freude bereitete und Spaß machte. Eines Mittags enddeckte Johanna auf dem Heimweg von der Bushaltestelle im mittlerweile stark abgeschmolzenen Schnee etwas buntes, dass ihre Neugierde weckte. Sie lief die wenigen Meter vom fast schneefreien Weg hinüber zur Wiese, auf der sich etwas violettes aus dem Schnee erhob. Erstaunt bückte sich das Mädchen und rief alsbald erfreut zu ihrem Bruder, der sich noch auf dem Weg befand: „Dietrich, …schau mal. Hier hat jemand Blumen im Schnee versteckt. Schau, wie schön sie sind.“ Der Junge, der mittlerweile zehn Jahre alt war, sprang mit einigen großen Sätzen über die im Sonnenschein liegende Wiese, die bis auf wenige Stellen, an denen das graue Gras nach langer Winterruhe hervor trat, noch mit Schnee bedeckt war. Bei Johanna angekommen, sagte er zu seiner zwei Jahre jüngeren Schwester: „Die Blumen hier hat niemand versteckt. Das sind doch die Schneeglöckchen, die wachsen schon, wenn noch Schnee liegt. Weißt du? Das hat mir mal Opa Karl erklärt.“ Staunend betrachtete Johanna die herzallerliebst hübschen Blumen und sagte schließlich: „Komm Dietrich, wir gehen schnell heim und erzählen es Mama und Opa und heute Abend auch Papa, wenn er heimkommt. Sie freuen sich bestimmt. Meinst du nicht auch?“ „Vielleicht“, antwortete Dietrich mit leicht gelangweiltem Unterton. Auf dem Heimweg kam den Kindern fast nie ein Auto auf dem abgelegenen Weg entgegen, höchstens mal der Traktor vom Opa, oder einer der wenigen anderen Traktoren, deren Besitzer in der Nachbarschaft wohnten. Doch diesmal war es anders. Johanna und Dietrich waren nach der Begegnung mit den Schneeglöckchen vielleicht drei, vier Minuten unterwegs, als ihnen ganz langsam ein dunkles Fahrzeug entgegen kam. Dessen dunkel getönte Scheiben und der schwarze Lack glänzten derart in der Sonne, das Johanna ungläubig ihren Bruder fragte: „Was ist das für ein Auto? Warum schauen die zwei Männer da drin so böse aus?“ Dietrich stand wortlos mit starrem Blick da, während der langgestreckte Wagen mit den beiden schwarz gekleideten Insassen langsam an den Kindern vorbei glitt. Der Junge hatte schonmal ein solches Fahrzeug gesehen. Es war zu Hause im Fernsehen, bei einem dieser Filme, die die Eltern und der Opa gerne sahen. Unvermittelt sprach Dietrich seine Gedanken aus: „Johanna, das war ein Totenauto. Die kommen, wenn jemand gestorben ist. Aber was machen die hier bei uns?“ Johanna ergänzte: „Komm, wir laufen schnell heim und erzählen es. Komm, beeile dich. Vielleicht weiß Mama und Opa noch gar nicht, dass etwas passiert ist.“ Die Kinder rannten so schnell sie konnten Richtung Birkenhof. Ganz außer Atem bogen sie kurze Zeit später auf das Hofgelände ein, wo sie erstaunt feststellten, dass das Auto ihres Papas bereits vor dem Haus stand. Johanna, die hinter Dietrich hergerannt war, rief erschöpft ihrem Bruder zu: „ Da ist ja Papas Auto. Ist er nicht auf der Arbeit?“ Bevor der Junge antworten konnte, sahen er und seine Schwester, dass ihre Eltern mit ernstem Gesicht aus dem Haus kamen und zielstrebig auf die Kinder zugingen. Rudolf bückte sich zu den Kleinen herunter, während Johanna fragte: „Habt ihr das schwarze Auto gesehen, mit den beiden Männern?“ Der Vater antwortete: „Ja, …das Auto war bei uns…Opa Karl ist tot, …er ist heute früh gestorben. Er hatte ein sehr ,sehr krankes Herz.“ Mit ganz leiser Stimme fragte Johanna, während ihr Bruder mit nach unten gesenktem Kopf zu weinen anfing: „Ist der Opa jetzt im Himmel?“ Mutter Johanna nickte wortlos, dabei liefen ihr Ströme von Tränen aus den Augen. Selbst Vater Rudolf konnte seine Tränen nicht zurück halten und weinte bitterlich. Der Todesfall von Karl war ein schwerer Schlag für die gesamte Familie, denn er war immer auf dem Hof anwesend gewesen. Niemand war es je gewohnt, dass Karl nicht da war und somit gab es stets beim Ruf nach Vater, Karl oder Opa eine Antwort. Diese Antwort war nun verstummt, nie mehr würde sie jemand auf dem Hof hören. Alle trauerten. Am meisten litt jedoch seine Tochter Marianne unter dem Verlust des Vaters, der mit Mitte sechzig bereits sterben musste. Besonders schlimm war es für sie, wenn morgens ihr Mann und die Kinder aus dem Hause gingen und sie alleine auf dem Hof war. Nach einigen ernsten Gesprächen beschlossen die Eheleute Wenk, dass sie sich von dem Großteil der Tiere des Hofes trennen wollten. Marianne traute sich die ganze Arbeit, die mit den Schweinen, Kühen und Rindern einher ging, alleine, ohne Karl, nicht zu. Das Füttern, melken und ausmisten wäre ihr vielleicht noch möglich gewesen, aber alles drumherum, die ganze Feldarbeit mit Gras, Heu, Stroh und vielem unerwartetem mehr, war einfach zu viel. Und Rudolf war als Anzugträger für echte Arbeit, wie Karl zu Lebzeiten öfters zu Marianne gesagt hatte, nicht gemacht. So kam es, dass sie innerhalb weniger Wochen, das gesamte Vieh, mit Ausnahme der Hühner, an andere Landwirte und einen Metzger verkauften. Die Hühner wollten alle behalten, denn sie sorgten dafür, dass sowohl im Inneren des Hofes als auch um das Wohnhaus und die Stallanlagen herum, den ganzen Tag über munteres Leben herrschte. Davon abgesehen bereitete es den Kindern Spaß, mit dem Korb die Hühnereier einzusammeln und mit dem Federvieh Nachlauf zu spielen, wenn man sie erschreckte. Zudem verdiente sich die Familie durch den Verkauf des Großteiles der Hühnereier etwas Geld hinzu, dass freilich durch den Einkauf des Hühner- Körnerfutters wieder ausgegeben wurde. So schwer es auch war, die Zeit und das Leben mussten auch ohne Karl weitergehen. Und es ging auch weiter. Marianne genoss es sogar allmählich, das mit dem Verkauf vieler Tiere wesentlich mehr Freizeit zur Verfügung stand. Ein Umstand, den sie früher gar nicht kannte. Die lange Zeit der Sommerferien 1976 nutzte die ganze Familie, um den Hof ein wenig zu renovieren, vor allem kamen an den trostlos trist wirkenden Holzwänden der Ställe und der Scheune, freundlich strahlende Farben zum Einsatz. Dietrich und Johanna halfen fleißig mit beim Anstreichen. Niemals vorher hatten die Kinder ein solches Gefühl des Stolzes in sich, wie in diesen Ferien. Jede neu gestrichene Wand, jede Tür und jedes Geländer, erzeugte bei den Kleinen einen regelrechten Freudeausbruch, denn sie merkten unmittelbar, dass sie wirklich etwas sinnvolles und sichtbares erschaffen konnten. Fast waren das achtjährige Mädchen und ihr zehnjähriger Bruder ein wenig traurig, als ihre Malerarbeiten und auch die Sommerferien zu Ende gingen. Doch auch das neubegonnene Schuljahr wurde rasch wieder zur Alltagsnormalität mit seinen tagtäglich gleichen Abläufen. Jeden Morgen gingen die Beiden zusammen zur Bushaltestelle, kamen jedoch immer öfter zu getrennten Zeiten heim, denn Dietrich hatte an mehreren Tagen in der Woche länger Schulunterricht als Johanna.
Das neue Schuljahr war noch keine zwei Wochen alt, als Johannakurz nach zwölf Uhr mittags aus dem Bus stieg, ihren mit dem Schulbus weiter fahrenden Schulkollegen zuwinkte und Richtung Birkenhof den Fußmarsch heimwärts antrat. Es war ein heißer Sommertag und Johanna hatte ihre dünne Strickjacke, die sie am Morgen noch anhatte, im Inneren des Schulranzens verstaut. Sie trug einen knielangen, gelbfarbigen Rock und ein weißes T-Shirt, das hüftlange Haar hatte ihr am Morgen Mutter Marianne zu einem Zopf geflochten. Schon aus einiger Entfernung konnte Johanna erkennen, dass ihr ein dunkel gekleideter Mann, der etwas weißes in der Hand hielt, …vielleicht ein Stück Papier, entgegen kam. Er hatte eine kurze Hose und ein kurzärmliges Hemd an und war unglaublich dick und weißhäutig. Für das Mädchen war dieser Mensch, bei dem sie vergeblich einen Hals suchte, ein Fremder, denn sie kannte im Grunde alle Personen, die in der Elternhausumgebung wohnten, vor allem weil es nicht viele waren. Die Achtjährige näherte sich Schritt für Schritt dem schweren Mann, der bestimmt einen Kopf größer als Vater Rudolf war. Der Unbekannte war mittlerweile stehen geblieben und sah suchend in die lichte Hecke, die sich unmittelbar neben dem asphaltierten Weg befand. Dabei pfiff er und rief: „Terry, …bist du da drin? Terry, …Terry?“ Als Johanna sich ihm auf wenige Meter genähert hatte, drehte er sich dem Kind entgegen und sagte, während er weiter näher kam: „Hallo, ich suche meinen Hund. Hast du ihn gesehen? Hier habe ich ein Bild von ihm.“ Der Übergewichtige hielt dem Mädchen einen Zettel hin, auf dem ein weißer, struppiger Hund abgebildet war und sagte weiter: „Er ist schon öfters abgehauen, …und jedes Mal fand ich ihn hier. Diesen Weg kennt er.“ „Meinen sie, er ist in der Hecke oder da hinten zwischen den Bäumen?“, fragte Johanna und ging währenddessen ein paar Schritte nach vorne, bis sie, begleitet von dem Mann, in den schattenerfüllten Randbereich der weitflächigen Hecke eintrat. „Da ist er! Da hinten“, rief der Fremde plötzlich, „siehst du ihn?“ Johanna kniff suchend die Augen zusammen und sah in die Richtung, in welche der Mann mit der rechten