Transasia. Von Karachi nach Beijing. Ludwig Witzani
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Aber der Wert des Döblin´schen Reisebuches erschöpft sich nicht nur in seiner literarischen Qualität. In der Distanz der Jahre ist es selbst ein historisches Dokument geworden. Wer wissen will, wie das multikulturelle Polen früher, vor dem Zweiten Weltkrieg ausgesehen hat, kommt um dieses Buch nicht herum.
Mit anderen Worten: Manche Reisebücher werden schneller als man denkt, „historisch“, d. h. sie werden zu Zustandsbeschreibungen von Ländern, Werten und Präferenzen, die sich schon wieder weiterentwickelt haben. Sind sie deswegen wertlos und veraltet? Keineswegs, vor allem dann nicht, wenn sich in ihnen bereits die Triebkräfte nachweisen lassen, die sich erst später voll entfalten sollten.
So erging es mir mit der vorliegenden Reise, die mich in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts in knapp zwei Monaten von Karachi am Arabischen Meer quer durch Asien in die chinesische Hauptstadt Beijing führte.
In Pakistan genoss ich die traditionell warmherzige Gastfreundschaft einer mohammedanischen Gesellschaft, spürte aber auch bereits sehr deutlich, wie sich Teile der Bevölkerung religiös sensibilisierten, um nicht zu sagen: fanatisierten. Der Glasboden der Normalität trug mich noch, als ich mich auf eigene Faust durch Pakistan bewegte. Nur dann und wann habe ich ein Knirschen vernommen, dessen Bedrohlichkeit mir erst im Nachhinein klar wurde.
Und schließlich führte die Reise weiter nach China, einem Land, das nach den schrecklichen Verheerungen des Maoismus damals gerade erwachte und sich anschickte, seine ungeheuren produktiven Kräfte zu sammeln. Die Großstädte, die damals wie von Zauberhand gelenkt, am Rande der zentralasiatischen Wüsten entstanden, die Entfesselung der chinesischen Wirtschaftskräfte, die gigantischen Infrastrukturprojekte, die die chinesische Eisenbahn bis nach Tibet führten, waren damals gerade erst zu ahnen, ebenso wie die ausgefeilten Techniken der totalen Überwachung, die dem modernen China einen so beunruhigenden Anstrich geben.
Die Perspektiven, von denen aus diese Veränderungen beobachtet und beschrieben werden können, sind ganz unterschiedlich, aber sicher gehört die unmittelbare sinnliche Erfahrung eines Reisenden mit ins Bild, auch wenn er vor Ort noch nicht alles versteht, was ihm widerfährt. „Transasia“ bedeutet in diesem Sinne nicht nur eine Reise quer durch Asien, sondern auch das unmittelbare Erlebnis der großen asiatischen Transformation, die in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts Fahrt aufnahm.
Die Grundlage des vorliegenden Buches bilden Reisetagebücher, die ich während der Reise tagtäglich mit einer gewissen obsessiven Beharrlichkeit führte. Nur an wenigen Stellen erlaube ich mir einen Sprung in die Zukunft respektive die Gegenwart, um die Entwicklungen anzudeuten, die sich damals bereits vor Ort bemerkbar machten. Wie idyllisch war das pakistanische Swat Valley in den 1990er Jahren, welche Agonien durchlitten seine Bewohner während der Veitstänze mörderischer Islamlisten nur einige Jahre später. Wie verhalten war der Groll der Uiguren gegen die chinesische Fremdherrschaft, ehe sich daraus ein gewalttätiger Widerstand entwickelte.
Auch wer sich für das Reisen im Allgemeinen und die kulturgeschichtlichen Höhepunkte dieser Regionen im Besonderen interessiert, sollte in dem vorliegenden Buch fündig werden. Denn die Mogulpaläste von Lahore oder die Buddha Grotten von Dunhuang veraltern ebenso wenig wie das Grab des ersten Kaisers in Xian oder die Erinnerungen an große untergegangene Zivilisationen wie Mohenjo Dao am Indus.
Aus Gründen der Diskretion habe ich alle Namen von Personen, die in diesem Buch auftauchen, geändert. Bei vielen meiner pakistanischen Gesprächspartner bin ich mir ohnehin nicht sicher, ob sie die blutigen Exzesse der Taliban-Ära und des Afghanistankrieges (als Täter oder Opfer) überstanden haben.
Um am Ende noch einmal auf Alfred Döblin zurückzukommen: Döblin hat das „ich“ in seinen Romanen immer gehasst, aber in seiner Reisebeschreibung kommt er ohne das „ich“ nicht aus. Die Subjektivität des Reisenden bei der Schilderung einer Reise ist also unhintergehbar und in all ihren Vor- und Nachteilen immer gegenwärtig: sowohl was ihre narrative Dimension wie ihre wertenden Positionierungen betrifft.
Und zum Schluss noch ein Warnung. Der Autor hat sein Herz an die Geschichte verloren und beleuchtet hier und da das Gewordene recht ausführlich. Sicherheitshalber sind darum an verschiedenen Stellen des Buches „Warnhinweise“ vermerkt, die es nicht geschichtsaffinen Lesern erlauben, die Vergangenheit zu überspringen und gleich in der Gegenwart fortzufahren.
Mit diesen Einschränkungen begrüße ich den Leser auf der langen transasiatischen Reise von Karachi nach Beijing und wünsche gute Reise.
Im Jahre 1924 reiste Alfred Döblin für zwei Monate durch Polen und veröffentlichte seine Eindrücke in einem Reisebuch. Dieses Buch „Reisen durch Polen“ ist heute noch in zweifacher Hinsicht lesenswert. Zum ersten wegen der Genauigkeit seiner Beobachtungen, der Prägnanz des Stils und der Treffsicherheit der Metaphern. Wer wollte beanspruchen, hier mithalten zu können?
Aber der Wert des Döblin´schen Reisebuches erschöpft sich nicht nur in seiner literarischen Qualität. In der Distanz der Jahre ist es selbst ein historisches Dokument geworden. Wer wissen will, wie das multikulturelle Polen früher, vor dem Zweiten Weltkrieg ausgesehen hat, kommt um dieses Buch nicht herum.
Mit anderen Worten: Manche Reisebücher werden schneller als man denkt, „historisch“, d. h. sie werden zu Zustandsbeschreibungen von Ländern, Werten und Präferenzen, die sich schon wieder weiterentwickelt haben. Sind sie deswegen wertlos und veraltet? Keineswegs, vor allem dann nicht, wenn sich in ihnen bereits die Triebkräfte nachweisen lassen, die sich erst später voll entfalten sollten.
So erging es mir mit der vorliegenden Reise, die mich in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts in knapp zwei Monaten von Karachi am Arabischen Meer quer durch Asien in die chinesische Hauptstadt Beijing führte.
In Pakistan genoss ich die traditionell warmherzige Gastfreundschaft einer mohammedanischen Gesellschaft, spürte aber auch bereits sehr deutlich, wie sich Teile der Bevölkerung religiös sensibilisierten, um nicht zu sagen: fanatisierten. Der Glasboden der Normalität trug mich noch, als ich mich auf eigene Faust durch Pakistan bewegte. Nur dann und wann habe ich ein Knirschen vernommen, dessen Bedrohlichkeit mir erst im Nachhinein klar wurde.
Und schließlich führte die Reise weiter nach China, einem Land, das nach den schrecklichen Verheerungen des Maoismus damals gerade erwachte und sich anschickte, seine ungeheuren produktiven Kräfte zu sammeln. Die Großstädte, die damals wie von Zauberhand gelenkt, am Rande der zentralasiatischen Wüsten entstanden, die Entfesselung der chinesischen Wirtschaftskräfte, die gigantischen Infrastrukturprojekte, die die chinesische Eisenbahn bis nach Tibet führten, waren damals gerade erst zu ahnen, ebenso wie die ausgefeilten Techniken der totalen Überwachung, die dem modernen China einen so beunruhigenden Anstrich geben.
Die Perspektiven, von denen aus diese Veränderungen beobachtet und beschrieben werden können, sind ganz unterschiedlich, aber sicher gehört die unmittelbare sinnliche Erfahrung eines Reisenden mit ins Bild, auch wenn er vor Ort noch nicht alles versteht, was ihm widerfährt. „Transasia“ bedeutet in diesem Sinne nicht nur eine Reise quer durch Asien, sondern auch das unmittelbare Erlebnis der großen asiatischen Transformation, die in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts Fahrt aufnahm.
Die Grundlage des vorliegenden Buches bilden Reisetagebücher, die ich während der Reise tagtäglich mit einer gewissen obsessiven Beharrlichkeit führte. Nur an wenigen Stellen erlaube ich mir einen Sprung in die Zukunft respektive die Gegenwart, um die Entwicklungen anzudeuten, die sich damals bereits vor Ort bemerkbar machten. Wie idyllisch war das pakistanische