Alptraum Wissenschaft. Anne-Christine Schmidt

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Alptraum Wissenschaft - Anne-Christine Schmidt

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für wunderschöne Blütenpflanzen werden überregelmäßigst von dröhnenden, stinkenden Maschinen platt gemäht. Schmetterlinge, Bienen und Käfer können ja auf die riesigen Rapsfelder ausweichen, wo Millionen gelbe Blüten blühen, auch wenn sie mehr Chemiegift als Nektar enthalten. Ich mag jetzt nicht daran denken, dass das tonnenweise verspritzte Gift von klugen Chemikern (welche auch Naturwissenschaftler sind) erfunden worden ist. Wunderschön gewachsene Bäume werden im Zuge maßloser Verschneidungswut durch ohrenbetäubend dröhnende Motorsägen verstümmelt. Kein Feldheckenrain, kein Wald- oder Wegesrand darf seine Ästchen herausstrecken. Man muss nur einmal eines der einstmals herrlichen großen Alpentäler besuchen, um vor den Leistungen von Wissenschaft und Technik zu erschaudern: aufgrund der Hochgebirgsumgebung ballen sich neben den großen Flüssen in dichter Aneinanderdrängung Hochspannungsmasten und –leitungen, Straßen und Eisenbahnschienen, um die gesamten breiten Täler Österreichs in nur als Transitstrecke zu ertragende Landstriche zu verwandeln. Alles, was der moderne Wohlstandsmensch zu seinem unglücklichen Dasein benötigt, verunstaltet hier in geballter Form die Landschaft. Die überall flehentlich herbei geschriene Verbesserung der Infrastruktur führt nur noch zu noch mehr Umweltzerstörung. „Unser Wohlstand beruht auf ökologischer Plünderung.“ [14] Die Unverantwortbarkeit all der ein bequemes, wohlstandsüberfülltes Leben ermöglichenden wissenschaftlich-technischen Errungenschaften „wurde über Jahrzehnte hinweg mit Vorstellungen von Fortschritt und Freiheit übertüncht“ [14]. Konrad Lorenz spricht vom „Irrglauben an den sogenannten Fortschritt“ [12]. „Im blinden Fortschrittswahn hat die Nachkriegsgeneration versagt. Wir haben die Natur vergewaltigt, statt uns ihr weise einzuordnen; wir sind Sklaven statt Meister unseres Schicksals geworden.“ [13]

      I.IV Das ungrüne Pflanzeninstitut mit dem Drogenhersteller

      Ein Professor aus dem Forschungszentrum, wo ich vor Kurzem promovierte, berichtete mir über mein neues Institut, dass es als eines der führendsten Institute auf seinem Forschungsgebiet gilt und von einer dieser in den Forschungseinrichtungen von Zeit zu Zeit auftauchenden Evaluierungskommissionen sehr gut bewertet (evaluiert) worden ist. Dieser ausgezeichnete offizielle Ruf lockte mich an und ließ mich auf einen guten Einstieg in die neu erworbene Postdoc-Stelle hoffen. Großen Stolz verspürte ich damals noch, die aufwändigen Großgerätschaften endlich selbst betreuen zu dürfen, nachdem ich als Doktorandin immer nur das Startmessknöpfchen und den Steuercomputer berühren durfte. Als erstes aber galt es, sich mit neuen Messknöpfen und auf dem Computerbildschirm blinkenden Symbolen der umfangreichen Bedienungsprogramme anzufreunden. Hatte man sich nach einer Weile an die Symbole und deren Anordnung auf dem Bildschirm gewöhnt und damit den Kopf frei geschaufelt für darüber hinausgehende Gedanken, währte das Glück nur kurze Zeit, denn bald flatterte eine von der Gerätefirma aufgedrängte neue Version des Computerprogrammes herein, und es blieb einem nichts weiter übrig, als die Gerätebedienung mittels der neuartigen Software zu aktualisieren und sich auf veränderte Anordnungen und Bildchen umzustellen. Das neue Bedienungsprogramm erbrachte angeblich eine Reihe ganz bedeutsamer neuartiger Optionen, auf die man eigentlich verzichten konnte und die das tägliche Benutzen der Messgeräte nur noch komplizierter und aufwändiger gestaltete.

      Als Nachdoktorand (was die deutsche Übersetzung von „Postdoc“ bedeutet) verdiente man endlich auch ein volles Gehalt, nachdem man als Doktorand nur den halben Tag bezahlt worden war. Ein ungeschriebenes Gesetz lautete, dass man trotzdem den vollen Tag arbeitete und weit über eine Vierzigstundenwoche hinaus, damit man mit der Bearbeitung des Promotionsthemas vorankam. Dieser Umstand wurde von den Vorgesetzten gern damit begründet, dass man den halben Tag für die beherbergende Forschungseinrichtung arbeitete, während die zweite Tageshälfte der eigenen Qualifikation diente. Dieses Argument hinkte, denn in nichtnaturwissenschaftlichen, vornehmlich in rein ingenieurtechnischen Bereichen wurden bereits damals auch für Doktoranden volle Stellen bezahlt. Dieser Umstand verstärkte sich in den letzten Jahren, weil Absolventen vieler technischer Studiengänge weitaus besser honorierte Beschäftigungen in Industriebetrieben finden und sich kaum einer mit einer halben Stelle an einem universitären Forschungsinstitut begnügen muss. Um Promovenden in technischen Fachrichtungen anzulocken, muss also volles Gehalt geboten werden. Also bestimmt nicht etwa irgendeine hehre Qualifikationsmoral die Bezahlung von Promovierenden, sondern allein die industrielle Wirtschaft. Gerade solche technischen Zweige wie die Automobilindustrie, welche einige der größten Umweltverschmutzungen verursachen, bieten ihren Ingenieuren die größten Gehälter.

      Während meiner Doktorandenzeit dachte ich nie über meine Bezahlung nach. Ich verglich mich nicht mit anderen. Im Nachhinein mutet die halbe Bezahlung jedoch ungerecht an. Man arbeitete in demselben, meist in einem größeren Umfang wie die promovierten Wissenschaftler und wie die technischen Doktoranden. Wo war denn die Grenze zu ziehen zwischen dem, was man für die Forschungseinrichtung erledigte, und dem, was einer persönlichen Weiterbildung diente? Unter dem Gesichtspunkt, was man im späteren Berufsleben von dieser zu erwerbenden Qualifikation an verheerenden Schwierigkeiten und Nachteilen zu erwarten hatte, erscheint jene Begründung umso absonderlicher. Zum grundsätzlichen Berufsbild eines Wissenschaftlers gehört eine immerwährende Weiterbildung, ganz gleich, ob man sich bereits im promovierten Status befindet oder noch als Promovierender agiert. Meine gesamte Tätigkeit gehörte einem Projekt, welches die Universität gemeinsam mit dem außeruniversitären Forschungszentrum abrechnete.

      Mein erster postdoktoraler Arbeitstag im für mich noch neuen, fremden Institut verpasste mir sogleich einen unerwarteten Kulturschock, da ich nun im immerhin promovierten und unter mehreren Bewerbern ausgewählten Zustand gar keinen Büroarbeitsplatz zugeordnet bekam, obwohl ich es schon seit meiner Diplomandenzeit gewöhnt war, über einen eigenen Schreibtisch und Ablagemöglichkeiten für Ordner, Bücher und dergleichen zu verfügen. Außerdem nahm sich keiner der mir im Bewerbungsgespräch und zum Vorstellungsvortrag begegneten Wissenschaftler Zeit, mir überhaupt konkrete Aufgaben zu erteilen oder fachliche Einweisungen zu vermitteln. Das einzige, was man mir in die Hand drückte, war ein unfertiges Manuskript über einen Teil der vor meiner Ankunft in der Arbeitsgruppe gelaufenen Experimente. Die verschiedenen Arbeitsgruppen, die zum neu zu entdeckenden Forschungszentrum gehörten, bestanden aus einer Vielzahl junger, befristet eingestellter Doktoranden und Postdoktoranden, den ebenfalls hauptsächlich noch jüngeren Arbeitsgruppenleitern vornehmlich westdeutscher Herkunft und etlichen, sich im mittleren Alter befindlichen Laborantinnen. Wie gewohnt stammten die Professoren ausschließlich aus den alten Bundesländern. Sie waren zwar nicht solch bösartige Gestalten, wie sie mir an späteren Orten begegneten, aber sie waren verdammt langweilig. Das Ziel meiner Tätigkeit war ihnen nur mühsam und stückchenweise über Wochen hinweg zu entlocken und blieb letztlich nicht richtig greifbar. Immerhin war ich auf einem bereits drei Jahre gelaufenen Forschungsprojekt eingestellt worden, welches ich nun weiterführen sollte. Daher war ich auf vorangegangene Erfahrungen und Ergebnisse angewiesen. Letztlich bestand das Forschungsziel darin, Reaktionen des pflanzlichen Stoffwechsels auf Schwermetallbelastungen auf molekularer Ebene aufzudecken. Dieser breit gefasste Ansatz bediente sich verschiedener analytischer Techniken: dazu gehörten diverse massenspektrometrische Verfahren zur Strukturanalytik wie auch gelelektrophoretische Proteintrennverfahren. Den Messungen ging eine umfangreiche Prozedur zur Extraktgewinnung aus schwermetallexponierten Pflanzen voraus. Zur Auswertung der komplexen Massenspektren und der zweidimensionalen Elektropherogramme standen computerbasierte Programme zur Verfügung.

      Einer der Arbeitsgruppenleiter erzählte mir stolz, dass er direkt aus Kalifornien hier her gekommen war. An fachlichen oder gar menschlichen Inspirationen, die er von dort mitgebracht hätte haben können, ließ er mich leider nicht teilhaben. Ein Auslandsaufenthalt wird im Lebensweg eines Wissenschaftlers sehr hoch gehandelt. Aus diesem Grunde drängte mich auch mein späterer Habilitationsinitiator immerzu zu einem solchen Unterfangen, denn bei Bewerbungen auf Professorenstellen achten die Berufungskommissionen sehr auf die so genannte Auslandserfahrung als nahezu unabdingbares Kriterium der Eignung habilitierter Wissenschaftler für die Besetzung einer Professur. Eine anschließende Arbeitsplatzgarantie gewährt der zumeist über ein Stipendium finanzierte Auslandsaufenthalt nicht. Als ich klagte, mich würde bestimmt starkes Heimweh überkommen, schlug er vor, ich könne doch jedes Wochenende nach

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