Der Untertan. Heinrich Mann

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Der Untertan - Heinrich Mann

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schreckliche Drohungen darin. Er hatte den Gedanken an die Katastrophe immer hinausgeschoben, und jetzt war sie da. Er mußte sich setzen.

      »Nämlich«, begann Göppel, »ich komme, weil es Agnes gar nicht gut geht.«

      »Ohl« machte Diederich mit verzweifelter Heuchelei. »Was fehlt ihr denn?« Herr Göppel wiegte bekümmert den Kopf. »Das Herz will nicht; aber es sind natürlich nur die Nerven ... Natürlich«, wiederholte er, nachdem er vergeblich gewartet hatte, daß Diederich es wiederhole. »Und nun wird sie mir melancholisch vor Langeweile, und ich möchte sie aufheitern. Ausgehen darf sie nicht. Aber kommen Sie doch mal wieder zu uns, morgen ist Sonntag.«

      ›Gerettet!‹ fühlte Diederich. ›Er weiß nichts.‹ Vor Freude ward er zum Diplomaten, er kratzte sich den Kopf. »Ich hatte es mir schon fest vorgenommen. Aber jetzt muß ich dringend nach Haus, unser alter Geschäftsführer ist krank. Nicht mal meinen Professoren kann ich Abschiedsbesuche machen, morgen früh reise ich gleich ab.«

      Göppel legte ihm die Hand auf das Knie. »Sie sollten es sich überlegen, Herr Heßling. Seinen Freunden schuldet man manchmal auch was.«

      Er sprach langsam und hatte einen so eindringlichen Blick, daß Diederich wegsehen mußte. »Wenn ich nur könnte«, stammelte er. Göppel sagte: »Sie können. Überhaupt können Sie alles, was hier in Frage kommt.«

      »Wieso?« Diederich erstarrte im Innern. »Sie wissen wohl, wieso«, sagte der Vater; und nachdem er seinen Stuhl ein Stück zurückgeschoben hatte: »Sie denken doch hoffentlich nicht, daß Agnes mich hergeschickt hat? Im Gegenteil, ich hab ihr versprechen müssen, daß ich gar nichts tue und Sie ganz in Ruhe lasse. Aber dann hab ich mir überlegt, daß es doch eigentlich zu dumm wäre, wenn wir beide noch lange umeinander herumgehen wollten, so wie wir uns kennen, und wie ich Ihren seligen Vater gekannt habe, und bei unserer Geschäftsverbindung und so weiter.«

       Diederich dachte: ›Die Geschäftsverbindung ist gelöst, mein Bester.‹ Er wappnete sich.

      »Ich gehe gar nicht um Sie herum, Herr Göppel.«

      »Na also. Dann ist ja alles in Ordnung. Ich verstehe wohl: der Sprung in die Ehe, den tut kein junger Mann, besonders heute, ohne erst mal zu scheuen. Aber wenn die Geschichte so glatt liegt wie hier, nicht wahr? Unsere Branchen greifen ineinander, und wenn Sie Ihr väterliches Geschäft ausdehnen wollen, kommt Ihnen Agnes' Mitgift sehr gelegen.« Und in einem Atem weiter, indes seine Augen abirrten: »Momentan kann ich zwar nur zwölftausend Mark flüssig machen, aber Zellulose kriegen Sie, soviel Sie wollen.«

      ›Siehst du wohl?‹ dachte Diederich. ›Und die zwölftausend müßtest du dir auch pumpen – wenn du sie noch kriegst.‹ – »Sie haben mich mißverstanden, Herr Göppel«, erklärte er. »Ich denke nicht ans Heiraten. Dazu wären zu große Geldmittel nötig.«

      Herr Göppel sagte mit angstvollen Augen und lachte dabei: »Ich kann noch ein übriges tun ...«

      »Lassen Sie nur«, sagte Diederich, vornehm abwehrend.

      Göppel ward immer ratloser.

      »Ja, was wollen Sie dann überhaupt?«

      »Ich? Gar nichts. Ich dachte, Sie wollten was, weil Sie mich besuchen.«

      Göppel gab sich einen Ruck. »Das geht nicht, lieber Heßling. Nach dem, was nun mal vorgefallen ist. Und besonders, da es schon so lange dauert.«

      Diederich maß den Vater, er zog die Mundwinkel herab. »Sie wußten es also?«

      »Nicht sicher«, murmelte Göppel. Und Diederich, von oben: »Das hätte ich auch merkwürdig gefunden.«

      »Ich habe eben Vertrauen gehabt zu meiner Tochter.«

      »So irrt man sich«, sagte Diederich, zu allem entschlossen, womit er sich wehren konnte. Göppels Stirn fing an, sich zu röten. »Zu Ihnen hab ich nämlich auch Vertrauen gehabt.«

      »Das heißt: Sie hielten mich für naiv.« Diederich schob die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich zurück.

      »Nein!« Göppel sprang auf. »Aber ich hielt Sie nicht für den Schubjack, der Sie sind!«

       Diederich erhob sich mit formvoller Ruhe. »Geben Sie Satisfaktion?« fragte er. Göppel schrie: »Das möchten Sie wohl! Die Tochter verführen und den Vater abschießen! Dann ist Ihre Ehre komplett!«

      »Davon verstehen Sie nichts!« Auch Diederich fing an, sich aufzuregen. »Ich habe Ihre Tochter nicht verführt. Ich habe getan, was sie wollte, und dann war sie nicht mehr loszuwerden. Das hat sie von Ihnen.« Mit Entrüstung: »Wer sagt mir, daß Sie sich nicht von Anfang an mit ihr verabredet haben. Dies ist eine Falle!«

      Göppel hatte ein Gesicht, als wollte er noch lauter schreien. Plötzlich erschrak er, und mit seiner gewöhnlichen Stimme, nur daß sie zitterte, sagte er: »Wir geraten zu sehr in Feuer, dafür ist die Sache zu wichtig. Ich habe Agnes versprochen, daß ich ruhig bleiben will.«

      Diederich lachte höhnisch auf. »Sehen Sie, daß Sie schwindeln? Vorhin sagten Sie, Agnes weiß gar nicht, daß Sie hier sind.«

      Der Vater lächelte entschuldigend. »Im guten einigt man sich schließlich immer. Nicht wahr, mein lieber Heßling?«

      Aber Diederich fand es gefährlich, wieder gut zu werden.

      »Der Teufel ist Ihr lieber Heßling!« schrie er. »Für Sie heiß ich Herr Doktor!«

      »Ach so«, machte Göppel, ganz starr. »Es ist wohl das erstemal, daß jemand Herr Doktor zu Ihnen sagen muß? Na, auf die Gelegenheit können Sie stolz sein.«

      »Wollen Sie vielleicht auch noch meine Standesehre antasten?« Göppel wehrte ab.

      »Gar nichts will ich antasten. Ich frage mich nur, was wir Ihnen getan haben, meine Tochter und ich. Müssen Sie denn wirklich so viel Geld mithaben?«

      Diederich fühlte sich erröten. Um so entschlossener ging er vor. »Wenn Sie es durchaus hören wollen: Mein moralisches Empfinden verbietet mir, ein Mädchen zu heiraten, das mir ihre Reinheit nicht mit in die Ehe bringt.«

      Sichtlich wollte Göppel sich nochmals empören; aber er konnte nicht mehr, er konnte nur noch das Schluchzen unterdrücken.

       »Wenn Sie heute nachmittag den Jammer gesehen hätten! Sie hat es mir gestanden, weil sie es nicht mehr aushielt. Ich glaube, nicht mal mich liebt sie mehr: nur Sie. Was wollen Sie denn, Sie sind doch der erste.«

      »Weiß ich das? Vor mir verkehrte bei Ihnen ein Herr namens Mahlmann.« Und da Goppel zurückwich, als sei er vor die Brust gestoßen: »Nun ja, kann man das wissen? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.«

      Er sagte noch: »Kein Mensch kann von mir verlangen, daß ich so eine zur Mutter meiner Kinder mache. Dafür hab ich zuviel soziales Gewissen.« Damit drehte er sich um. Er hockte nieder und legte Sachen in den Koffer, der geöffnet dastand.

      Hinter sich hörte er den Vater nun wirklich schluchzen und Diederich konnte nicht hindern, daß er selbst gerührt ward: Durch die edel männliche Gesinnung, die er ausgesprochen hatte, durch Agnes' und ihres Vaters Unglück, das zu heilen ihm die Pflicht verbot, durch die schmerzliche Erinnerung an seine Liebe und all diese Tragik des Schicksals ... Er hörte, gespannten Herzens, wie Herr Göppel die Tür öffnete und schloß, hörte ihn über den Korridor

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