Die Colonie. Gerstäcker Friedrich
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Nicht ganz den freundlichen Eindruck machte seine Gattin, obgleich man auch ihr auf den ersten Blick ansah, daß sie sich stets in guter Gesellschaft bewegt habe. Sie hatte das Kalte, Zurückhaltende ihres Mannes, ohne dessen milde Freundlichkeit, und der mißtrauische Blick ihres kleinen grauen Auges, mit dem sie jeden Fremden, ja selbst Leute, die sie lange als Nachbarn kannte, betrachtete, munterte eben nicht zu einem freundlichen Zusammenleben mit ihr auf. Uebrigens war sie eine noch recht hübsche, stattliche Frau, von vielleicht sieben- oder achtunddreißig Jahren, und die einzige Meinungsverschiedenheit, welche je zwischen ihr und ihrem Gatten auftauchte, war die, daß sie sich mehr dem geselligen Leben der Colonie hinzugeben wünschte.
So nachgebend dieser aber auch in jeder andern Beziehung sein, mochte, an dieser Klippe scheiterte selbst jede Bitte von Frau und Tochter. Was ihnen das eigene Haus an Bequemlichkeit, ja selbst hier und da an einem versteckten Luxus bieten konnte, dazu reichte er mit Freuden die Hand und erfüllte selbst jeden nur geahnten Wunsch; aber über die Grenze seines kleinen Besitzthums ging er nicht hinaus, und sogar das zufällige Lichten der Pflanzenmauer, die seinen kleinen Klosterhof umschloß und, durch den Sturm niedergebrochen, sein Haus der Aussicht öffnete, schien ihn zu geniren und zu stören. Er versäumte wenigstens keine Stunde am nächsten Morgen, die zerrissene Lücke durch eine Anpflanzung /62/ anderer junger Palmen und Büsche zu ersetzen, die freilich jetzt Zeit brauchten, bis sie die nöthige Höhe wieder erreichten, aber doch wenigstens den untern Theil des Hauses deckten.
Es war an dem nämlichen Sonntag-Nachmittage, daß der Direktor Sarno mit den beiden Freunden Könnern und Günther den schmalen Weg hinausritten, der zu der sogenannten „Meierei" führte, und erst als sie in die Nähe des kleinen, freundlich gelegenen Hauses kamen, hielt der Director sein Pferd an und sagte, mit dem Arm in eine früher gehauene Schneuße hinein deutend:
„Sehen Sie, Herr von Schwartzau, dies ist die zweite alte Linie, die damals von jenem Stümper ausgeschlagen wurde. Wenn Sie nur Ihren Taschencompaß herausnehmen, sehen Sie schon, welchen Bock jener gescheidte Herr geschossen, der es möglich machte, die Variation auf die verkehrte Seite vom Pol zu legen. Die ganze Vermessung ist dadurch vollkommen werthlos geworden und muß neu gemacht werden. Die nächstgelegenen sechs Colonien gehören aber jenem Herrn in dem Hause da drüben, der sich einen ziemlich bedeutenden Landstrich hier erworben, nur um, wie es scheint, keinen nahen Nachbar zu bekommen, denn was er selber bis jetzt urbar gemacht, ist sehr unbedeutend. Jedenfalls müssen wir aber dessen Grenzen mit bestimmen, damit wir wissen, wo das noch freie Land beginnt, und ich möchte diesen District, wie jenen südlich von der Ansiedelung, am liebsten zuerst in Angriff genommen haben. Diesen hier nehmen Sie also vielleicht gleich morgen vor, denn von hier aus streckt sich eine ziemlich ausgedehnte Hochebene mit nur leiser Steigung dem nächsten Bergrücken zu, und Sie können hier eine tüchtige Anzahl Varas2 den Tag ablegen."
„Und ist der Wald sehr dicht?"
„Nicht übermäßig. Ich will Ihnen Ihr Amt auch nicht zu schwer machen und einen zu breiten Ausschlag verlangen, gründlich müssen die Linien aber gelegt und die Bäume besonders so markirt werden, daß die hiesige Vegetation nicht die Spuren in ein paar Jahren wieder verwächst und vernichtet - wir sprechen darüber noch heut Abend, ob wir Theer mit Buchstaben von weißer Oelfarbe oder vielleicht gar /63/ Blechplatten nehmen, was freilich bedeutend mehr Kosten macht."
„Und wie viel Leute glauben Sie, daß ich mit mir nehmen soll?"
„Kommen Sie, wir reiten einmal ein kurzes Stück in den Wald hinein, der sich dort hinüber ziemlich gleich bleibt," erwiderte der Director, „Sie können es dann selber leicht beurtheilen. Sparen Sie lieber nicht mit den Leuten, wenn Sie dadurch rascher vorwärts rücken, denn Sie vermessen ja dafür auch so viel mehr, und ich garantire Ihnen, daß Sie hier, um nur das Nothwendigste fertig zu bringen, drei volle Monate scharfe Arbeit haben. Je mehr wir aber in möglichst kurzer Zeit beenden, desto besser ist es; denn wenn uns die neuen Ansiedler erst noch auf den Hals kommen, und ich weiß nicht, wo ich sie unterbringen soll - dann ist es mit dem Frieden hier vorbei." Mit diesen Worten wandte er sein Pferd und ritt in einen schmalen Seitenpfad, von Günther gefolgt, hinein, während Könnern noch in dem breiten Wege hielt und sich Meier's stille und trauliche Heimath betrachtete. Es lag ein ganz eigener Zauber über dem Platze, dem die hier vollkommen tropische Vegetation durch angepflanzte Palmen, Farrn und die wunderliche Baumform der Pinien einen noch viel größeren Reiz verlieh.
Gern wäre er auch einmal zu dem Hause hinüber geritten, die Insassen desselben kennen zu lernen, denn daß der Alte so vollkommen menschenscheu sein sollte, glaubte er noch nicht recht. Aber er durfte seine Gesellschaft nicht zu weit aus den Augen verlieren, und der Director wie Schwartzau waren viel zu sehr in ihr „Terrain" vertieft, um sich in diesem Augenblicke um etwas Anderes zu kümmern, als Nord und Süd und Ecken und Fronten. Günther hatte dazu seinen kleinen Compaß herausgenommen und visirte damit, als sie den Pfad entlang ritten, dicht an einer viel interessanteren Front vorüber, wie sie die bestgelegene Colonie hätte bieten können, ohne sie auch nur zu sehen, nämlich an einem reizenden jungen Mädchen, das, vielleicht sechs Schritt von dem Pfade entfernt, mit einem Buche in der Hand unter /64/ einer halb natürlichen, halb durch Kunst hergestellten Laube saß und, ohne sich zu rühren, die vorbeireitenden und in tiefem Gespräche begriffenen Männer beobachtete.
Sie würde sich in der That lieber ganz zurückgezogen haben, hätte sie nicht gefürchtet, durch eine Bewegung ihre Gegenwart zu verrathen. Jetzt erst, als sie vorüber und schon halb von den Büschen verdeckt waren, richtete sie sich empor und drehte den Kopf um, ihnen nachzusehen.
In diesem Augenblicke passirte Könnern die versteckte Laube. Mit keinem solchen Interesse an der Vermessung des Bodens, und in der alten Gewohnheit des Jägers, das Auge jedem sich regenden Punkte rasch zuzuwenden, entdeckte er kaum die liebliche, jetzt verlegen erröthende Gestalt, als er auch unwillkürlich sein Pferd anhielt und achtungsvoll die Jungfrau grüßte.
War aber für ihn nicht die geringste Veranlassung gewesen, hier zu halten, so besaß er entweder in dem Momente nicht Geistesgegenwart genug, seinem Thiere wieder rasch den Sporn zu geben, oder die freundliche Erscheinung fesselte ihn so, daß er sich nicht gleich wieder losreißen konnte und wollte, und nur, um sich aus einer peinlich werdenden Situation zu bringen, sagte er verlegen:
„Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten, Sie gestört zu haben, Señora, aber ich vermuthete hier in der That Niemanden mitten im Walde."
„Sie haben mich nicht gestört," erwiderte Elise mit ihrem gewinnenden Lächeln, denn die Verlegenheit des jungen Fremden war ihr keineswegs entgangen; „ich fürchte nur, daß Ihre vorangerittenen Freunde den Weg verfehlt haben, denn dieser Pfad führt allein wenige hundert Schritte in den Wald hinein und endet dann in einem verworrenen, von Schlingpflanzen durchwachsenen Dickicht, durch das sie mit ihren Pferden nicht dringen können."
„Also müssen sie wieder diesen Weg zurück?" fragte Könnern, sichtlich darüber erfreut, denn er bekam dadurch eine Entschuldigung, sie hier zu erwarten.
„Allerdings," erwiderte das Mädchen - „wollen Sie denn zur Kolonie hinunter?" /65/
„Wenn Sie das kleine Städtchen meinen, nein. Wir kommen eben daher und sind nur auf einem Spazierritte, auf dem die beiden Herren da vorn das Terrain recognosciren, um nöthige Vermessungen vorzunehmen."
Die Jungfrau, welche, als sie der Fremde anredete, aufgestanden war, verbeugte sich leicht und schwieg, und Könnern, der nicht den geringsten Anhaltspunkt sah, das Gespräch in schicklicher Weise fortzusetzen, grüßte noch viel verlegener als vorher, und folgte jetzt den beiden Freunden, die er gleich darauf an der von Elisen angedeuteten