Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

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die Vorzüge der südafrikanischen Schutzmacht dick unterstrich, die es ermöglichte, dass südafrikanische Ärzte im Hospital ihren Dienst ableisteten, glitt das Gespräch vom eigentlichen Thema einer persönlichen Aussprache so weit ab, dass Dr. Ferdinand es schon als beendet betrachtete, während der Direktor ganz als Bure weiter sprach. Das Wort „Besatzungsmacht“ nahm er nicht in den Mund. Er ließ sich nicht aufhalten, während Dr. Ferdinand beim Zuhören ihm auf den Mund und dem verglasten, aufgehängten Präsidenten ins Gesicht sah. Es kam ihm vor, als hätte er einen Gärtner in der Uniform des Colonels vor sich, der die schönsten Blumen auf einem Beet aus burischer Erde aufgezogen hatte. Dabei hätte er nicht Unrecht, denn die blumigen Verzierungen seiner Sätze kamen ja aus der burisch gedüngten Gedankenerde. Dass die dahinfließende Satzfolge zum Thema der Aufwertung der südafrikanischen „Schutzmacht“ in den Augen und im Bewusstsein der schwarzen Bevölkerung nicht frei von Schnörkeln und spiraligen Wiederholungen war, das paste zum Schreibtischarzt, der nicht um eine Diagnose zu ringen und den Patienten unter den miserablen Bedingungen zu behandeln hatte; es passte nicht zum uniformtragenden Offizier, der mit knappen Worten zu sagen hatte, was Sache war, dem die Befehlsform näher war als die epischen Verschweifungen. Dr. Ferdinand konnte sich zugute halten, dass er den Direktor bei seinen gedehnten und geschmückten Ausführungen über die Bedeutung der Burenmacht in Uniform nun mehr als Zivilisten kennen gelernt hatte. Wie dem auch war, dieses Gespräch war vor einigen Tagen, und endete mit dem Ergebnis, dass der Direktor ihm eigentlich und „expressis verbis“ seine persönliche Unterstützung nicht zusichern konnte, da das Gespräch schon vorher in die pretorianische Schieflage abgerutscht war. Alles war weiß, was der Direktor sagte, obwohl die Wirklichkeit draußen schwarz war. Dr. Ferdinand trennte das weiße vom schwarzen Sehen, als ihm die schwarzen Menschentrauben auf dem vom Uringeruch überzogenen Platz vor dem Hospital vor Augen standen. Das Bild mit dem Schwarz-Weiß-Kontrast formte er aus in eine Käthe-Kollwitz-Skulptur von der sitzenden Mutter, die ihren Kopf über das schlafende Kind senkt, das sie mit ihren Armen an sich drückt. Ihm kam Beethovens „Eroica“ ins Ohr, als er versuchte, die Skulptur so in Richtung Pretoria zu stellen, dass sie die größte Sichtwirkung auf die Machtversessenen und -verkrampften in den Hochburgen der burischen Herrschaft ausüben und nicht gleich calvinistisch oder anders weiß überstrichen werden konnte. Die Stellprobe verlief negativ, da ihm der Hammer der Politik so sehr auf den Kopf schlug und ihm unter Kopfschmerzen ins Hirn hämmerte, dass er sich davon überzeugen musste, dass da selbst eine Käthe-Kollwitz-Skulptur, und wenn es die mit den gefallenen Söhnen war, vor denen man ergriffen knien konnte, bei den Weißen, die sich für die Macht erblinden ließen, auch nichts ausrichtet.

      Diesmal ging die Tür von innen auf, und Dr. Witthuhn lief mit rotem Kopf und dem leicht gestörten Gehabe der ihm eigenen Zerstreutheit, als wären seine Gedanken doch nicht ganz bei der Sache, im Bogen auf die Sekretärin zu, wobei er die Rückenlehne eines kippenden Stuhles mitnahm. Er legte ihr einen Zettel mit handnotierten Namen auf die Tastatur der elektrischen Schreibmaschine, wodurch einige Tasten gedrückt und unsinnige Buchstaben auf dem Papier eines fast fertig getippten Schreibens erzeugt wurden. Die ungehörigen Buchstaben wurden weiß über pinselt, der Brief fertig getippt und vom Superintendenten samt seinen Schönheitsfehlern großzügig unterschrieben. Er ging zurück, nahm Dr. Ferdinand mit ins Büro, wo die Klimaanlage klapperte und stöhnte, setzte sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch, drehte sich unruhig darauf nach links und rechts, während die Sekretärin rein und raus ging, beim letzten Gang die geleerte Teetasse mit bekleckerter Untertasse mitnahm, sich freundlich verabschiedete und die Tür zum Sekretariat offen stehen ließ. Den Zettel mit den handnotierten Namen wollte sie am nächsten Morgen in Angriff nehmen. „Bitte, vergessen Sie nicht, morgen gleich damit anzufangen, denn die Sache eilt!“, rief ihr Dr. Witthuhn nach. Dr. Ferdinand hatte auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz genommen, als sein Freund den Hörer abnahm und mit einem seiner Kinder in Südafrika sprach. Er mischte die Sprachen zwischen Afrikaans, Englisch und Deutsch. Das Telefonat zog sich länger hin, so dass Dr. Ferdinand genügend Zeit hatte, das Erlebnis mit dem Tagtraum über die Verwaltungsärsche im Pyramidenbau, also das, was sich imaginär vor der verschlossenen Bibliothekstür abgespielt hatte, irgendwie auf eine Reihe zu bringen. Gesetzten Falles, spekulierte er herum, der draufschlagende weiße Hammer hätte keine Wirkung mehr, da der lange pretorianische Hammergriff, den so viele fassten, aus ihren Händen gerutscht oder durch einen wuchtigen Gegenschlag gebrochen war, dann wären diese Weißärsche die Ersten, die sich auf ihren Drehstühlen drehten und dem sinkenden Schiff den Rücken kehrten, um mit den ersten Frühzeichen des Machtwechsels, der diesmal am nördlichen Horizont zu erwarten war, wieder die Ersten zu sein, die sich die eingesessenen Schreibtischposten bis in die oberen Etagen sicherten. Weil sie unter dem alten System an Gewicht zugenommen hatten, sollte es im neuen System so bleiben, denn mit einer Gewichtsabnahme waren diese gepuderten Ärsche ganz und gar nicht einverstanden. Für sie war daher das Einfachste, was sich in der Vergangenheit immer wieder bewährt hatte, sich auf den Drehstühlen ohne viele Worte so zu drehen, dass sie beim Sonnenaufgang nach Norden sahen, um sich mit dem neuen Machtanstieg frühzeitig vertraut zu machen, während sie den Sonnenuntergang mit dem sinkenden Schiff im Süden durch ein Achselzucken abhakten. Da es sich, wie so oft bei einem Systemwechsel, um eine Drehung von einhundertachtzig Grad handelte, sollte es ökonomisch vertretbar und baustatisch möglich sein, die südliche Fensterseite, wo bereits alles weggeguckt war, nach Norden zu setzen, indem der ganze Pyramidenbau samt den zum Norden schielenden Etagenarschlöchern in seiner Höhenachse um einhundertachtzig Grad gedreht wird. An der Lichtseite wollten sie schon sitzen bleiben. Um der Macht weiterhin in die Augen sehen zu können, waren sie bereit, den alten pretorianischen Blick gegen den Nordblick auszutauschen. Sie waren auch bereit, auf Nachfrage zu versichern, dass sie den alten, überholten, pretorianischen Blick, wenn überhaupt, dann nur unfreiwillig ausgeführt hatten, um einem Disziplinarverfahren aus dem Wege zu gehen. Auf jeden Fall legten die Wegscheißer den größten Wert darauf, mit den aktuellen Machtzentren auf allen Etagen in Verbindung zu bleiben, so wie es in der Vergangenheit auch gewesen war. In der Dunkelheit des Ungewissen ließ sich schlecht schreiben. Da gab es zu viele Unsicherheiten, die ihrer hörig-ungehörigen Schreibtätigkeit nur schädlich waren und Raum zu falschen Verdächtigungen geben konnten. Mit einem Verdacht wollten sie nun gar nichts am Hut haben. Der gleitende Übergang hatte die höchste Priorität. Was unter dem Hut war, das konnte etwas ganz anderes sein, wenn sich die Ärsche an den Stammtischen etwas zuraunten oder wegkniepten. Für die Ärsche ging es in allererster Linie um den eigenen Vorteil, der musste rechtzeitig gesichert sein, bevor die anderen kamen, denen eine solche Fenstersicht zur Früherkennung verwehrt war. Mit Fachkenntnissen, einer akademisch ausgewiesenen Expertise oder gar mit Wahrheit hatte das alles im eigentlichen Sinne nichts zu tun, das wussten die Ärsche haargenau. Sie drückten an den Seiten weg, was wegzudrücken war, und scheuten vor böswilligen Diffamierungen an jenen Außenseitern weiß Gott nicht zurück, die sich mit wirklichen Fachkenntnissen und echten akademischen Qualifikationen um den gleichen Posten bewarben. Dr. Ferdinand überlegte schmunzelnd, wie weit es die Ärsche beim fairen Wettbewerb gebracht hätten. Aber wenn es um die nackte Existenz ging, kannten sie keinen Spaß mehr. Was auch kommen sollte, ihre Etagenpositionen setzten sie nicht aufs Spiel. Der Arsch lehnte jede Art von Skrupeln ab, wenn es um Macht und Machtpolitik ging. Selbst dann, wenn er anderer Überzeugung war, wenn er überhaupt eine hatte, wovon in Ausnahmefällen allerdings berichtet wurde. Das erklärte seine schier willenlose Bereitschaft, für jedes System mit dem Kopf herzuhalten und dabei die Hand aufzuhalten, mochten die Ideologien noch so gegensätzlich sein. Mit dem gleichen Eifer und der gleichen Hirnlosigkeit in puncto berechtigter Kritik, und in gleicher Weise, weil er eben ein Arschloch war, wollte er weiter wie verordnet schreiben und die dienstlichen Anordnungen ohne Nachdenken oder Kopfzerbrechen weiter verfassen. Wie der Pfusch des Verfassten unten ankam, ob und wie es realisierbar war, das interessierte ihn nicht. Allein maßgebend war, dass der abgefasste Text systemkonform war, keinerlei Zweifel aufkommen ließ und ihn im Aufzug der Karriere, wo die tägliche Bespiegelung stattfand, nicht behinderte. Eines war nicht zu übersehen, nämlich dass die Ärsche aufs regelmäßige ausgiebige Essen angewiesen waren und jede Art einer fettarmen Diät ablehnten, weil das dem Image des verlässlichen Schreibarsches abträglich war. Von daher war es eine Binsenwahrheit, dass mit leeren Hosen kein Respekt zu erwarten war, auf den die Ärsche nun einmal angewiesen waren, und seine nicht zu übersehende Bedeutung durch ständiges Pudern und Parfümieren unterstrichen. Da das von Dr. Ferdinand

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