Trolle, Rechthaber, Provokateure. Ilka-Maria Hohe-Dorst
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Mittlerweile hat der Anfänger mit Staunen verfolgt, welche Lawine er mit ein paar reinen Herzens geschriebenen Versen ausgelöst hat, und entschließt sich, dem Forum schleunigst und für immer Adieu zu sagen.
Der Empfindsame
Bekanntlich verfügen poetische Naturen über ein besonders hohes Maß an Empfindsamkeit. Wenn nicht, wären sie nicht in der Lage, ihr feinstes Beobachten der Natur und des innersten Wesens des Menschen literarisch so zu beschreiben, dass der Leser nickt und denkt: „Ja, genauso ist es. Darin finde ich meine eigenen Erkenntnisse und Gefühle wieder.“
Der empfindsame Poet nimmt die Außenwelt jedoch nicht nur als Subjekt mit äußerst scharfen Sinnen wahr, sondern auch das Einwirken der Welt auf seine Person und somit als Objekt. Das kann, je nach dem Grad seiner Sensitivität, in einem Lyrik-Forum zum Problem werden, erst recht dann, wenn ein Hobbydichter weit von den Höhen des Olymps entfernt ist und ihm das in mehr als nur einer Kritik zwar freundlich, aber deutlich hingedrückt wird.
Der idiosynkratisch (= überempfindlich) veranlagte Foren-Dichter, den man auch mit der poetischen Metapher „Mimose“ beschreiben könnte, hält vor allem eine Grundregel nicht ein, die für jeden Literaten verbindlich sein sollte, nämlich Kritik an seinem Werk nicht mit Kritik an seiner Person gleichzusetzen.
Für die dichtende Mimose ist belehrende oder gar missbilligende Kritik an ihrem Werk verheerend, weil sie diese Kritik immer persönlich nimmt, egal wie vorsichtig sich der Kritiker ausdrückt. Holpert der Rhythmus in einem Vers, ist ein Reim missglückt, hat die Mimose versehentlich das Strophenschema nicht eingehalten, oder hat sie willkürlich von Jamben zu Trochäen und umgekehrt gewechselt … egal, was die Kritiker ihr fachlich und sachlich vorwerfen, sie übersetzt es in Angriffe auf ihre Person und ist beleidigt. Für sie steht fest: „Die hauen alle nur deshalb auf mich ein, weil sie gehässig und neidisch sind.“
So deutlich wehrt sich die Mimose jedoch nicht, sondern begnügt sich mit einem Kurzkommentar wie zum Beispiel „aber alle meine Freunde finden mein Gedicht toll“ und schließt ihren Blütenkranz, fest entschlossen, ihn nie mehr zu öffnen, egal wie hell die Forensonne am nächsten und übernächsten Tag wieder scheinen möge.
Das ist die introvertierte Form des empfindsamen Dichters. Es gibt aber auch die extrovertierte Form, der etwas Pathologisches anhaftet. Das ist der Überempfindsame, der jedes neu präsentierte Gedicht eines anderen Users wie mit dem Stethoskop darauf abhört, ob es als Satire auf seine Person gemeint sein könnte. Natürlich hat dieser Überempfindsame ein unschlagbares Talent, so oft er will einen Beweis dafür zu finden, dass ein bestimmter Vers nur dazu erdacht wurde, ihn in niederträchtiger Weise zu karikieren oder ihm mit der Sprachkeule das geniale Gehirn zu zerschmettern.
Natürlich hält die Mimose dem Widerspruch, sich mittels ihrer Werke der Forenwelt zu öffnen, sich aber gleichzeitig von ihr abzuschirmen, um keine Schrammen davonzutragen, nicht lange stand und stellt ihre Aktivität entweder ganz ein oder wagt nur noch hier und da, ein paar Blütenblätter aufzuklappen, um nachzusehen, ob das Forenpublikum sich zu ihren Gunsten entwickelt haben könnte – und klappt die zarten Blättchen ganz schnell wieder zu.
Der Erzieher
Der Mensch ist ein komplexes Wesen, wie wir nicht erst seit Freud, Jung und Adler wissen, sondern schon aus dem philosophischen Gedankengut der Antike. Er hat eine Seele, die verwundbar ist und im Falle eines schweren Angriffs irreparablen Schaden nehmen kann, der sich oft auch auf seine körperliche Gesundheit negativ auswirkt.
In hohem Maße empfindsam sind bekanntlich die Seelen der schreibenden Zunft, weshalb sie besonderen Schutzes bedürfen, erst recht, wenn es sich um die Gefühle blutjunger Anfänger handelt. Aber auch ältere Poeten können trotz ihrer Lebenserfahrung und so manchen weggesteckten Hiebs noch das Gleichgewicht verlieren, wenn ihr literarisches Werk mit hämischen Bemerkungen übergossen wird. Dann ist schnelle Reaktion angesagt und dem Angreifer ein Bollwerk entgegenzusetzen, das ihn daran erinnert, was gute Manieren, Taktgefühl und Respekt vor seinen Mitmenschen bedeuten.
Diese Aufgabe übernimmt der Erzieher. In einem ersten Schritt mahnt er den oder die Angreifer, auf ihre Tonart zu achten und in ihren Kommentaren nicht persönlich zu werden, denn es gehe um die Beurteilung des Textes, nicht des Autors. Natürlich stößt der Erzieher auf Unverständnis, denn schließlich habe man ja nichts anderes als den Text kommentiert und dem Autor lediglich ein paar gute Ratschläge gegeben, wie zum Beispiel, noch mal in die Schule zu gehen und erst dann wieder Texte einzustellen, wenn die Rechtschreibung besser sitzt. Außerdem solle sich der Erzieher aus der Sache heraushalten, wenn er selbst nichts über den Text zu schreiben wisse.
Doch jetzt kommt der Erzieher richtig in Fahrt, konzentriert sich auf den vermeintlichen Anführer der Kommentatoren und bezichtigt ihn der Niedertracht und Gefühllosigkeit: So könne man mit Menschen nicht umgehen, dem hämischen Kommentator gehe es in Wahrheit nur darum, sich auf Kosten des Autors zu profilieren, womit lediglich erreicht werde, dass dieser den Mut verliert und sich aus dem Forum zurückzieht.
Der Kommentator wehrt sich, indem er dem Erzieher rät, nicht zu übertreiben, sondern auf dem Teppich zu bleiben und sich um seine eigenen charakterlichen Unzulänglichkeiten zu kümmern, denn damit habe er für den Rest des Jahres genügend zu tun.
Der jetzt sichtlich beleidigte Erzieher greift zu seiner nächsten Waffe und unterstellt dem Kommentator Mobbing, worauf dieser, jetzt tatsächlich mit einer milden Häme gegenüber dem unwissenden Widersacher, eine ausführliche Definition des Begriffs „Mobbing“ abliefert, zumindest, wie er ihn versteht: Mobbing werde immer von einer Gruppe betrieben, käme niemals offen, sondern von hinten durch die Brust ins Auge, so dass der Gemobbte dies erst nach einiger Zeit bemerke, und habe zum Ziel, das Opfer zu vernichten. Er aber, der Kommentator, habe für sich alleine und völlig offen gesprochen und sich auf die Qualität des Textes beschränkt, die nun mal zu wünschen übriglasse.
Der Erzieher, nicht bereit, klein beizugeben, droht dem Kommentator, bis zum Tag des Weltuntergangs schützend seine Hände über den gemobbten Autor zu halten (der übrigens auf die Fehde bislang mit keinem Piep reagiert hat) und für den guten Umgang der Hobbydichter miteinander solange zu kämpfen, bis das Forum einer Neuauflage des „Knigge“ gleiche.
Tatsächlich hat der Erzieher die Nerven, seine Drohung wahrzumachen und einen Diskussionsfaden unter jenem Titel zu eröffnen, den einst das Buch des Freiherrn Knigge schmückte: „Über den Umgang mit Menschen.“ Um die Diskussion in seinem Sinne in Gang zu bringen, verdonnert der Erzieher seine Entourage, also Forenfreunde und Familienmitglieder, dazu, ihn kräftig mit ihren Beiträgen zu unterstützen, um endlich dem Anstand im Forum zum Sieg zu verhelfen. So entsteht eine hitzige Debatte, in der sich die gegnerischen Parteien, allen voran der Erzieher und der des Mobbings bezichtigte Kommentator, gegenseitig Psychogramme aufstellen, die nicht gerade ein günstiges Bild ihrer charakterlichen Ausstattung abgeben. Unter diesen Bedingungen ebbt der Streit selten von selbst ab, so dass sich der Administrator gezwungen sieht, den Diskussionsfaden zu löschen oder wenigstens zu schließen, um der Sache Einhalt zu gebieten.
Nicht schlecht ist das