Sechs Erzählungen. Helmut H. Schulz
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So kam es heraus, diese Dame bearbeitete die Leserbriefseite meiner Zeitung. Da schaltete ich mich sofort ein, sagte, ich sei Edmundas Freundin und natürlich würde sie solche Ratschläge erteilen können, da sie in ihrer Freizeit gelegentlich schriftstellere, zu bescheiden allerdings, um davon ein Aufheben zu machen. Man versteht, ich mußte etwas übertreiben, um dem Kind behilflich zu sein, es war sogar ein Glück, daß ich zufällig an diesem Tage im Geschäft war.
Und so kam Edmunda zur Journalistik, und deshalb blättere ich viel in meiner Zeitung. Nicht daß ich die Ratschläge Edmundas alle befolgte, sie widersprechen sich allzu häufig. Ernst, dem ja die geistige Erziehung Edmundas oblag - er ist von Beruf Korrektor und der deutschen Sprache mächtiger als mancher Redakteur -, griff mit Freuden ein. Zweimal in der Woche fuhr er abends in die hübsche kleine Neubauwohnung, die Edmunda mittlerweile bekommen hatte, und die beiden dokterten an den Antworten herum. Sie schrieben bald über alles, auch über Sachen; von denen sie wenig verstanden. Sie gaben Tipps, den Gebrauch von Steilwandzelten betreffend, stellten Urlaubs- und Reiserouten zusammen, schrieben über Koch- und Eßgewohnheiten, über schnelle Brüter und Haushaltsmaschinen, über Waschmittel und pflegeleichte Textilien.
Eine Flut von Briefen Scheidungswilliger oder -unwilliger erreichte uns. Die EE's, so nannten sie sich, verfuhren proportional, etwa dreißig Prozent ließen sie passieren, dem Rest rieten sie, die Ehe unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, weil sie ihren Sinn noch nicht verloren habe.
Mir wurde dieser Unfug suspekt, aber die Karriere Edmundas war schon nicht mehr aufzuhalten. Ich fragte mich, was versteht das Mädchen' von Liebe, Ehe, Kindern, schnellen Brütern? Ich mußte Edmunda verheiraten, sobald als möglich. In Rundfunksendungen hörte ich Edmundas Stimme, sie klang merkwürdig fremd, dunkler oder voller, ich weiß nicht, wie. Edmunda teilte Wissenswertes über Küchentechnologien mit, auch im Werbefernsehen trat sie auf, stand hinter oder vor ihren Küchenfronten, führte Maschinen vor, Grillgeräte, Mixgeräte, Mühlen, Rührwerke, Schälmaschinen, Toaster mit Auswerfeinrichtung, Marke Mysterium; Waschmaschinen, Kühlschränke. Zuletzt sah ich sie mit der Serie Lotos, Körper- und Schönheitspflege - Edmunda, die vor drei Jahren noch keinen Lippenstift von einem Zimmermannsblei unterscheiden konnte.
Offen gestanden, ich bin zwischen Baum und Borke geraten, schwanke hin und her zwischen Zustimmung und Ablehnung, auch empfinde ich dieses merkwürdige Schuldgefühl, eine unterdrückte Neugier auf Sachen, die ich noch nicht kenne. Scheelen Blickes betrachte ich meinen alten Kühlschrank, meine alte Waschmaschine, nur verfüge ich nicht über Edmundas Einkommen. Mein Girokonto hält mit ihrem längst nicht mehr Schritt. Freundlich bietet mir Edmunda ihre Hilfe an. »Bediene dich, Tante«, sagt sie, »ich verdanke dir ja alles, tu so, als wäre alles dein Eigentum.«
Das ist hübsch von dem Kind, zeugt von ihrem unschuldigen Herzen, aber ich als Tante kann das doch nicht annehmen, es würde dumm aussehen, so als ob ich Edmunda ausnutzte. Was Kosmetika betrifft, wovon ich etwas verstehe, kann ich nur raten, Wasser tut es auch; heiß und kalt, ist es noch immer die sicherste Kosmetik. »Aber Tante«, sagt Edmunda, »das wissen wir auch, aber was sollen die Damen mit ihrem Geld machen? Siehst du.«
Solch ein Gesichtspunkt ist mir nicht fremd.
Eines Tages, ich hatte einen Herrn für Edmunda interessieren können, besuchte ich Edmunda in ihrer hübschen kleinen Neubauwohnung. Ich Dussel glaubte damals immer noch an die gespielte Schüchternheit Edmundas. Mit verheultem Gesicht hockte Edmunda im Sessel, obwohl unten ihr neuer Fiat-Polski stand, das muß man sich vorstellen, und sah recht häßlich aus. »Wenn dein Publikum dich so sehen könnte!«, dachte ich, aber das Mitleid überwog, kurzum, ich kühlte ihr das Gesicht mit Wasser, die sicherste Schönheitshilfe, wie schon gesagt, und brachte das Kind schließlich zum Sprechen. Es war das alte Lied. Irgendein älterer Kerl hatte sie vernascht, war natürlich verheiratet, hatte etwas von zerrütteter Ehe gefaselt und Schwierigkeiten, die der Scheidung angeblich im Wege stünden. Edmunda, die dumme kleine Gans, war darauf hereingefallen.
»Höre zu, Kleines«, sagte ich, »ich als deine Tante und ältere Freundin habe wohl das Recht, dir zu raten. Wer hoch steigt, wird tief fallen. So weit ist es glücklicherweise noch nicht, unten steht dein Auto, hier oben ist deine hübsche kleine Wohnung. Ehebruch in dem Sinne kennen wir nicht. Bist du zu dem Kerl ins Bett gestiegen, hat es Folgen gehabt, auch kein Beinbruch mehr. Wie verhältst du dich? Wie wahrst du dein Gesicht? Nimm mich, ich weise noch heute jede Woche drei Annäherungsversuche zurück. Ich habe meinen Ernst, nicht die Welt, nein, also laß den Kerl von der Bühne abtreten, heirate, ich habe einen Mann für dich in petto.«
»Nein«, sagte Edmunda, »ich will den und keinen anderen, es ist so kompliziert, weißt du, der Frau beizubringen, daß er sie nicht mehr liebt.«
Wir redeten eine Stunde und länger, ich brühte Kaffee und aß Kuchen, bis Edmunda sagte, »iß doch nicht soviel, Tante.« Mir blieb der Kuchen im Halse stecken, Edmunda gab mir zurück, was ich ihr eingebläut hatte. Gut, sagte ich, hol dir dein Glück, mein Kind, auf mich kannst du immer rechnen.
Das war wieder nett, wie Edmunda mich an sich drückte, dankbar.
An irgendeiner Fachschule nahm Edmunda ein Studium auf, ich glaube an einer Handelsfachschule. Sie quartierte sich tagelang bei uns ein, Ernst half ihr bei den Schularbeiten. Selbstlos brachte er ihr dieses Opfer, ich muß sagen, recht verstand ich das alles nicht mehr. Wozu plagte sich das Kind noch? Hatte sie es nicht geschafft? War sie nicht weiter gekommen als andere in ihrem Alter? Wozu also erneute Anstrengungen? Die beiden saßen häufig bis in die Nacht auf, ich lag im Bett und schlief. Im Einschlafen hörte ich manchmal Schallplattenmusik, Gelächter, und ich dachte, die beiden machen eine Pause, sollen sie.
Ernst äußerte, das Kind wachse ihm immer mehr ans Herz, und niemand könne den Reizen der Jugend auf die Dauer widerstehen, am wenigsten ein Mann, wenn es sich um junge Mädchen handele.
Um Edmunda zu zerstreuen, auch um sie von dem Kerl abzubringen, zu dem sie, wie ich annahm, noch Beziehungen unterhielt, reisten wir gemeinsam an die See. Im Quartier mußten wir die Meldescheine ausfüllen, und ich bemerkte, daß dieser Empfangszwerg Edmunda für Ernsts Frau hielt und mich für die Schwiegermutter. Das war an und für sich nur lustig, der Urlaub war es weniger. Ich füllte den Strandkorb aus, Edmunda und Ernst saßen nebeneinander in einem anderen. Ernst in getigerter Badehose, ein stämmiger, leicht glatzköpfiger Endvierziger, der seinen Bauch verloren hatte, wie ich feststellte. Edmunda im Badeanzug mit Kettchen um den Bauch, wie ich es sie gelehrt hatte. Manchmal spielten die beiden mit einem Ball, manchmal schwammen sie weit raus, bis zur Boje. Ich drehte mich, um und schlief.
Was blieb mir übrig?
Ernst klagte ja immer über Ausfallserscheinungen, um das böse Wort Impotenz zu vermeiden.
Um es kurz zu sagen, ich bin kein Freund von langen Reden, seine Impotenz erstreckte sich nicht auf Edmunda. Ich war das Opfer meiner Erziehungsmethode geworden. Ernst stieg zu seiner angeheirateten Nichte ins Bett, und Edmunda war geschmacklos genug, das zuzulassen, vielleicht noch zu provozieren. Das ist die nackte Wahrheit und der blanke Hohn auf alle die guten Ratschläge, die die EE's anderen Leuten erteilten. Tief gekränkt teilte ich meiner Schwester diesen Sachverhalt mit, ein sauberes Paar, aber meine Schwester, mit der ich nie auf gutem Fuße stand, schrieb zurück, ihre Tochter sei jetzt sechsundzwanzig und müsse allein entscheiden, was sie zu tun und zu lassen habe. Sie, meine Schwester, billige das nicht, aber sie sehe auch keine Möglichkeit einzuschreiten.
Groß